Das Bundesarbeitsgericht (BAG) ist als oberstes Gericht für Angelegenheiten des Arbeitsrechts eine prägende Kraft in Deutschland. Denn gerade im Arbeitsrecht spiegeln sich zum einen wirtschaftliche Interessen, zum anderen auch gesellschaftliche Entwicklungen. Es war und ist Aufgabe des Gerichts, hier jeweils nicht nur juristisch richtige, sondern auch nachvollziehbare und sachgerechte Entscheidungen zu treffen.
Arbeitsrecht betrifft alle
Die Bedeutung des Arbeitsrechts ergibt sich aus der zentralen Bedeutung des Arbeitsverhältnisses für eine Vielzahl von Menschen. Die Entscheidungen von Strafgerichten mögen zwar anschaulich und faszinierend sein, mit dem Leben der meisten Menschen hat dies nichts zu tun. Anders im Arbeitsrecht, denn nur wenige erwachsende Menschen haben in ihrem Leben noch keinen Arbeitsvertrag unterschrieben. Wenn das BAG also eine Entscheidung trifft, etwa zur Frage, ob und wann der Erholungsurlaub (Urteil vom 07.08.2012, 9 AZR 353/10) verfällt, so geht das fast alle direkt an.
Auch die wirtschaftliche Tragweite der Entscheidungen ist nicht hoch genug zu bewerten. Wenn das BAG entscheidet, dass die Gewerkschaft CGZP nicht tariffähig und die von ihr abgeschlossenen Tarifverträge ungültig sind, hat dies Auswirkungen auf hunderttausende von Arbeitsverträgen von Leiharbeitern. Diese haben dann Anspruch auf den vollen Lohn, nicht nur den geringeren Tariflohn – Millionensummen insgesamt (zuletzt Beschluss vom 22.05.2012, 1 ABN 27/12) !
Das BAG als „Ersatzgesetzgeber“
Eine besondere Herausforderung des BAG besteht darin, dass der Gesetzgeber zunehmend weniger willens und in der Lage ist, diese brisanten Fragen selbst zu lösen, wie es seine Aufgabe wäre. Dies gilt insbesondere für die jüngere Vergangenheit, wo der Gesetzgeber nicht einmal mehr in der Lage ist, eine vom EuGH wegen Altersdiskriminierung für unwirksam befundene Vorschrift (§ 622 Abs. 2 S. 2 BGB) auch formell zu streichen.
Selbst in Zeiten, in denen noch um arbeitsrechtliche Regelungen gestritten wurde, etwa in den sechziger und siebziger Jahren, blieben wesentliche Aspekte ungeregelt. Es ging beim BAG nie nur um Auslegung, sondern oft genug auch um Rechtsfindung und Fortentwicklung. So hat es das gesamte Streikrecht aus Art. 9 III GG hergeleitet.
Auch wenn der Gesetzgeber sich mit unbestimmten Rechtsbegriffen behalf, war es das BAG, dass diese mit Leben füllte, wie die umfangreiche Rechtsprechung zu § 1 KSchG zeigt, wonach eine Kündigung rechtsunwirksam ist, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.
Zu den Versäumnissen zählt weiterhin, dass es bis heute kein Arbeitsgesetzbuch gibt, dass die Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien regelt, sondern nur eine Vielzahl von Einzelgesetzen.
Das BAG in der Kritik
In dieser Rolle als Ersatzgesetzgeber war das BAG immer wieder der Kritik ausgesetzt, wenn es im Spannungsfeld zwischen richterlicher Rechtsfortbildung und „ judicial self-restrainment“ zu sehr in die eine oder die andere Richtung ausgebrochen war. So entschied es bei der Frage der Urlaubsabgeltung, dass auch bei langzeitig erkrankten Mitarbeitern der Urlaub nach 15 Monaten verfällt (s.o.), ohne dass diese 15 Monate eine Stütze im Gesetz gefunden hätten.
Andererseits verwies das BAG in seiner Entscheidung zur Frage, ab wann Leiharbeit nicht mehr „vorübergehend“ ist (Entscheidung vom 10.12.2013, 9 AZR 51/13) an den Gesetzgeber und ließ damit Arbeitnehmer im Regen stehen, obwohl sich ein Verweis, etwa auf die sechs Monate der Probezeit, angeboten hätte.
Kritik erfährt das BAG andererseits immer dann, wenn sich Arbeitnehmer oder Arbeitgeberseite benachteiligt sehen, was zum Teil natürlich in der Natur der Sache liegt, Kritik von mindestens einer Seite ist dem BAG damit gewiss.
Vom Bienenstich zum Pfandbon
Dabei war und ist das BAG immer wieder in der Lage, auch seine eigene Rechtsprechung zu hinterfragen und zu ändern. So ging es jahrzehntelang davon aus, dass Straftaten zu Lasten von Kollegen oder dem Arbeitgeber stets eine fristlose Kündigung rechtfertigen können. Im Extremfall konnte dies auch schon mal ein einzelnes Stück Bienenstich sein (Urteil vom 17.05.1984, 2 AZR 3/83). Wikipedia: "Bienenstichfall"
Nachdem diese Rechtsprechung, insbesondere von Seiten der Gewerkschaften scharf kritisiert wurde und auch die gesellschaftliche Akzeptanz für derlei Bagatellkündigungen deutlich abgenommen hatte, änderte das BAG seine Rechtsprechung schließlich und stellte fest, dass bei langjähriger Beschäftigung keine Kündigung möglich ist, sondern zunächst eine Abmahnung notwendig ist (Urteil vom 10.06. 2010, 2 AZR 541/09).
Richterspruch mit „gesundem Menschenverstand“
Die Fähigkeit des BAG, seine Rechtsprechung den sich wandelnden gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen und die Auslegung des Rechts stets im „echten Leben“ wurzeln zu lassen, hängt nicht zuletzt mit der Besetzung der Senate zusammen.
Wie auch in den unteren Instanzen der Arbeitsgerichtsbarkeit sieht das Prozessrecht eine Beteiligung von ehrenamtlichen Richtern mit vollem Stimmrecht vor, wobei der eine von Arbeitgeberseite, der andere von der Gewerkschaftsseite gestellt wird. Bis hin zum Landesarbeitsgericht können diese beiden Richter sogar den juristisch ausgebildeten Vorsitzenden überstimmen.
So weit geht die Beteiligung am BAG zwar nicht, trotzdem haben die beiden Ehrenamtlichen auch im mit fünf Personen besetzten Senat volles Stimmrecht und damit einen gewaltigen Einfluss.
Richter in allen Instanzen schätzen ihre „ERis“, bringen sie doch Lebenserfahrung, praktische Kompetenz und „gesunden Menschenverstand“ in die Diskussion und schließlich auch in die Urteile. Die Qualität der obersten Rechtsprechung resultiert nicht zuletzt aus der Beteiligung von ehrenamtlichen Richtern, unter ihnen auch Rechtsschutzsekretäre der DGB Rechtsschutz GmbH.
Zum Schluss – Ein Ausblick
Das Bundesarbeitsgericht hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten zu einem wirkmächtigen Akteur entwickelt. Seine Stellung gründet dabei auf der juristischen Qualität und der sozialen Akzeptanz seiner Urteile.
Auch in Zukunft wird es darum gehen, beides in gleichem Maße zu berücksichtigen. Ein Blick auf die anstehenden Entscheidungen vermittelt dabei einen Eindruck, wie groß die Spannbreite der Themen ist.
So geht es in diesem Jahr noch um die die Frage, ob die gestaffelten Kündigungsfristen eine Altersdiskriminierung darstellen.
Spannend dürfte auch die Frage werden, ob eine muslimische Arbeitnehmerin ein Kopftuch tragen darf, und ob ein Pilot eine Mütze tragen muss.
Bei all den anstehenden Entscheidungen ist dem BAG ein glückliches Händchen zu wünschen, vor allem zum Wohl der Rechtssuchenden.
Dr. Till Bender - Onlineredakteur und Rechtsschutzsekretär - Nürnberg