Richtungsweisende Entscheidung: BAG stärkt Rechte gesundheitlich nur beschränkt einsatzfähiger Schichtarbeiter*innen! Hans-Martin Wischnath
Richtungsweisende Entscheidung: BAG stärkt Rechte gesundheitlich nur beschränkt einsatzfähiger Schichtarbeiter*innen! Hans-Martin Wischnath

Mit Urteil vom 9. April 2014 hat das Bundesarbeitsgericht für Recht erkannt, dass bei einer Krankenschwester, die aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten mehr leisten kann, nicht von einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit auszugehen ist und sie Anspruch auf eine nachtschichtfreie Beschäftigung hat. 

Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zu Grunde:

Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus der sog. Vollversorgung mit etwa 2.000 Mitarbeiter*innen. Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1983 als Krankenschwester im Schichtdienst tätig. Arbeitsvertraglich ist sie im Rahmen begründeter betrieblicher Notwendigkeiten zur Leistung von Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht- und Schichtarbeit verpflichtet. Nach einer Betriebsvereinbarung ist eine gleichmäßige Planung ua. in Bezug auf die Schichtfolgen der Beschäftigten anzustreben. Das Pflegepersonal bei der Beklagten arbeitet im Schichtdienst mit Nachtschichten von 21:45 Uhr bis 06:15 Uhr. Die Klägerin ist aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, Nachtdienste zu leisten, weil sie medikamentös behandelt wird.

Nach einer betriebsärztlichen Untersuchung schickte der Pflegedirektor die Klägerin am 12. Juni 2012 nach Hause, weil sie wegen ihrer Nachtdienstuntauglichkeit arbeitsunfähig krank sei. Die Klägerin bot demgegenüber ihre Arbeitsleistung - mit Ausnahme von Nachtdiensten - ausdrücklich an. Bis zur Entscheidung des Arbeitsgerichts im November 2012 wurde sie nicht beschäftigt. Sie erhielt zunächst Entgeltfortzahlung und bezog dann Arbeitslosengeld.

 

Die auf Beschäftigung und Vergütungszahlung für die Zeit der Nichtbeschäftigung gerichtete Klage war beim Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts, ebenso wie in den Vorinstanzen, erfolgreich. Die Klägerin ist weder arbeitsunfähig krank noch ist ihr die Arbeitsleistung unmöglich geworden. Sie kann alle vertraglich geschuldeten Tätigkeiten einer Krankenschwester ausführen. Die Beklagte muss bei der Schichteinteilung auf das gesundheitliche Defizit der Klägerin Rücksicht nehmen. Die Vergütung steht der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu, weil sie die Arbeit ordnungsgemäß angeboten hat und die Beklagte erklärt hatte, sie werde die Leistung nicht annehmen.

Hans-Martin Wischnath – Frankfurt/Main

 

Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichtes, Nr. 16/14

Rechtliche Grundlagen

Bedeutung für Beschäftigte im Schichtdienst:

Diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes hat überall dort Bedeutung wo Beschäftigte im Schichtdienst eingesetzt werden.

Arbeitgeber werden nicht mehr argumentieren können, dass eine Teil-Arbeitsunfähigkeit (hier: Unmöglichkeit der Erbringung von Nachtdiensten) automatisch zur Annahme einer Voll-Arbeitsunfähigkeit führt und der Arbeitgeber daher nicht mehr zum Einsatz des Mitarbeiters verpflichtet ist.

Das BAG hat die Rechte der gesundheitlich nur beschränkt einsatzfähigen Arbeitnehmer deutlich gestärkt. Im Schichtdienst beschäftigte Arbeitnehmer*innen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht (mehr) in der Lage sind Nachdienst zu versehen, jedoch weiterhin außerhalb von Nachtschichten die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbringen können, sollten dem Arbeitgeber, der sie nicht weiter beschäftigen will, unbedingt ihre Arbeitskraft für Tätigkeiten außerhalb der Nachtschicht anbieten, um im Falle der Nichtannahme des Arbeitskraftangebots Vergütungsansprüche gegenüber den in Annahmeverzug gesetzten Arbeitgeber durchsetzen zu können