Rechtsmissbrauch von Befristungen bei der Deutschen Post (Bildquellenangabe:	siepmannH  / pixelio.de)
Rechtsmissbrauch von Befristungen bei der Deutschen Post (Bildquellenangabe: siepmannH / pixelio.de)

Die Gewerkschaft ver.di kämpft schon seit Jahren gegen die Befristungspraxis der Deutschen Post. Aktuell spitzt sich die Situation zwischen der Gewerkschaft und dem gewinnträchtigen DAX-Konzern immer mehr zu: die Deutsche Post versucht zahlreiche befristet beschäftigte Paketzusteller in ihre Billigtochter DHL Delivery GmbH abzuschieben und betreibt damit Tarifflucht. Dort werden die Beschäftigten nämlich nach dem Tarifvertag der Spedition- und Logistikbranche vergütet, was wesentlich niedriger ausfällt, als die Vergütung nach dem Haustarifvertrag der Deutschen Post AG.    


Seit Anfang des Jahres laufen im Großraum Hannover sehr viele Verfahren, in denen die Beschäftigten ihre Befristungsverträge gerichtlich überprüfen lassen. Und dies mit dem Ziel bei der Deutschen Post AG beschäftigt zu bleiben und nicht zu der Billigtochter wechseln zu müssen. Die Befristungen vieler von diesen Beschäftigten sind bis zu dreizehnmal verlängert worden. Die Befristungen erfolgten anfangs ohne Sachgrund, danach mit fadenscheinigen Begründungen wie Vertretung von anderen Mitarbeitern. Bemerkenswert ist dabei die Tatsache, dass die Vertretung von einem bestimmten Kollegen gleich für fünf andere vollzeitbeschäftigte Mitarbeiter der Befristungsgrund war. Es gibt also doch unersetzbare Arbeitnehmer in dieser Welt!


Ein Befristungsgrund hat uns jedoch wirklich sprachlos gemacht. 

 „Abrufkraft – Das Arbeitsverhältnis beginnt und endet mit jeder Beschäftigung“

So einen Fall hatte das Büro Hannover der DGB Rechtsschutz GmbH noch nie: Ca. 1.400 befristete Verträge hatte unsere Mandantin mit der Deutschen Post abgeschlossen, bis sie sich bei ihrer Gewerkschaft Hilfe gesucht hat. Sie ist seit dem Jahr 2007 bei der Deutschen Post als Briefsortiererin beschäftigt. In ihrem Arbeitsvertrag war als Befristungsgrund angegeben „Abrufkraft – Das Arbeitsverhältnis beginnt und endet mit jeder Beschäftigung“. 


§ 12 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) regelt die Erbringung der Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall und nennt es „Arbeit auf Abruf“. Es ist eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, bei der eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit vereinbart werden muss. Fehlt eine Festlegung der wöchentlichen Arbeitszeit, gilt eine Arbeitszeit von zehn Stunden als vereinbart. Das bedeutet, dass auch wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in einer bestimmten Woche überhaupt nicht einsetzt, die zehn Stunden für diese Woche trotzdem zu vergüten sind (Annahmeverzug). Auch gelten diese zehn Stunden pro Woche als Mindestmaß  bei Urlaub und Entgeltfortzahlung.


Unsere Kollegin hatte während ihrer Beschäftigung seit 2007 keinen Urlaub und keine Entgeltfortzahlung bekommen. Wenn sie angerufen und eingesetzt wurde, war sie kranken- und unfallversichert, nach dem Feierabend und bis zum nächsten Einsatz nicht mehr. Diese Rechtsfolge erreichte die Deutsche Post AG mit Hilfe einer Rahmenvereinbarung, die bei der Einstellung unterschrieben wurde. Dort hieß es: „…durch den Abschluss dieser Rahmenvereinbarung und die in Einzelfällen erfolgenden Beschäftigungen soll ein Dauerteilzeitarbeitsverhältnis auch in Form eines Abrufarbeitsverhältnisses gemäß § 12 TzBfG nicht begründet werden“. Die Arbeitnehmerin sollte nur „in eine Liste der Interessenten für Arbeitseinsätze aufgenommen werden“ und „im Bedarfsfalle in der Lage und bereit sein … Arbeiten bei der Deutschen Post AG zu erledigen“. Dabei war die Deutsche Post AG nicht verpflichtet, ihr Beschäftigungsangebote zu machen und die Arbeitnehmerin nicht verpflichtet, diese anzunehmen. 

Zirka 1.400 befristete Arbeitsverträge seit Beginn der Beschäftigung im Jahr 2007

So ähnlich ist es bei freien Mitarbeitern wie freie Journalisten oder Dozenten. Arbeitsleistung, die auf Abruf in Form einzelner Aufträge erbracht wird, ist nichts Neues. Solche Rahmenvereinbarungen sind also grundsätzlich legal. Nicht jedoch die tatsächliche Handhabe in diesem Fall. Unsere Mandantin wurde wie ein ganz normaler Arbeitnehmer fast jede Woche mit zum Teil nur wenigen Stunden pro Tag eingesetzt. Vor dem jeweiligen Arbeitsbeginn musste sie in einer Liste eine Unterschrift ableisten, wobei sie sich keine Gedanken darüber machte, wofür das gut war.  


Auf unseren Vorhalt im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht, dass die Klägerin nicht in Besitz einzelner angeblich abgeschlossener Arbeitsverträge ist, legte die Gegenseite Unterlagen vor, wonach die Beschäftigte allein im Jahr 2014 ca. 200 einzelne Arbeitsverträge mit der Deutschen Post AG abgeschlossen hatte. Nur dazu diente die Unterschrift vor dem jeweiligen Arbeitsbeginn. Hochgerechnet auf sieben Jahre Beschäftigung müssten es ungefähr 1.400 Arbeitsverträge sein, jeweils auf einen Tag befristet.

Und die Moral von der Geschicht…Befristungen sind rechtsmissbräuchlich

Das Gericht teilte unsere Rechtsansicht, dass diese Art von Befristung für einen Tag mit einer solchen Häufigkeit rechtsmissbräuchlich ist. Nicht alles was legal ist, darf in einem derartigen Ausmaß zur Ausbeutung der Arbeitnehmer*innen eingesetzt werden. Der Wunsch unserer Kollegin nach einem vollwertig sozialversicherungspflichtigen unbefristeten Teilzeitarbeitsverhältnis mit einer 15 Stundenwoche wurde prompt im Wege eines gerichtlichen Vergleichs erfüllt. 


Bundesweit gibt es leider sehr viele Beschäftigte bei der Deutschen Post AG mit solchen Rahmenvereinbarungen. Meistens sind es Arbeitnehmer*innen, die nicht in einer Gewerkschaft organisiert sind und daher aus Unkenntnis oder aus Kostengründen ein solches gerichtliches Verfahren nicht anstreben. Mit dem gewerkschaftlichen Rechtsschutz hat man diese Sorgen nicht.


Es bleibt spannend, wie die anderen Verfahren vor dem Arbeitsgericht Hannover ausgehen. Der Kammertermin ist im Juli und die Prozessbeschäftigung bis zu diesem Termin ist auch schon gesichert.

 

Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge Gesamtausgabe hier