Das LAG Berlin-Brandenburg zeigt mit seinem Urteil auf, wie Befristungen - insbesondere im öffentlichen Dienst - missbraucht werden. Gegenstand der Entscheidung ist eine Befristung nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), welches die Rechtsgrundlage für Befristungen der Arbeitsverträge wissenschaftlich oder künstlerisch tätiger Arbeitnehmer in öffentlich-rechtlichen wissenschaftlichen Einrichtungen ist.
Nebentätigkeit als Hilfskraft
Die Klägerin studiert bei der Beklagten, einer Universität, Informatik. Nach erfolgreichem Abschluss des Bachelor-Studiengangs im März 2017 führt die Klägerin ihr Studium im Masterstudiengang weiter. Seit September 2013 ist die Klägerin neben ihrem Studium als studentische Hilfskraft beschäftigt.
Grundlage für die Beschäftigung sind mehrere befristete Verträge. Den letzten Arbeitsvertrag vereinbarte die Klägerin mit der Beklagten im August 2016 mit Wirkung ab diesem Zeitpunkt. Im Arbeitsvertrag ist als Ende des Arbeitsvertrages der 30. Juni 2017 genannt. Weiter ist vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis im Falle der Exmatrikulation automatisch endet.
Gleiches soll bei Erreichen eines Hochschulabschlusses gelten. In diesem Fall endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Semesters, in welchem der Abschluss erreicht wurde. Der Arbeitsvertrag enthält zudem eine Verpflichtung, wonach die Klägerin die Personalabteilung über Exmatrikulation oder den abschließenden Prüfungstermin zu informieren hat.
Klägerin programmiert Software
Aufgabe der Klägerin war es, eine neu entwickelte Software in das Betriebssystem der Beklagten zu übertragen. Bei der Software handelt es sich um ein sogenanntes Content Management System. Es dient der Erstellung, Bearbeitung und Organisation von Inhalten und Informationen in Datennetzen.
Die Klägerin unterrichtete die Beklagte nicht über den im März 2017 erreichten Bachelor-Abschluss. Im März 2017 verlangte die Klägerin von der Beklagten die Entfristung des Arbeitsverhältnisses über den 30. Juni 2017 hinaus. Zur Begründung führte die Klägerin aus, das WissZeitVG sei auf das Arbeitsverhältnis nicht anwendbar. So sei sie nicht zum wissenschaftlichen Personal zu zählen.
Die Beklagte war demgegenüber der Meinung, das Arbeitsverhältnis sei mit Ablauf des 31.März 2017 beendet. Der Bachelor-Abschluss stelle einen Hochschulabschluss im Sinne der arbeitsvertraglichen Regelung dar.
Klägerin pocht auf Entfristung
Zudem sei das WissZeitVG anwendbar. Für eine wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne des Gesetzes genüge der Bezug der Tätigkeit zur Wissenschaft. Hierfür ausreichend sei, dass Mitarbeiter für die Beteiligung an allen sonstigen Dienstverpflichtungen eines Hochschullehrers in Frage kommen. Dies treffe auch auf die Tätigkeiten in der universitären Zentraleinheit Computer- und Medientechnik zu.
Diese diene nämlich keinesfalls allein der Verwaltung, sondern in erheblichem Umfang unmittelbar auch der Lehr- und Forschungstätigkeit des wissenschaftlichen Personals. Die Zentraleinheit Computer- und Medientechnik erbringe Dienstleistungen für alle Fachbereiche und damit letztlich für den Bereich Wissenschaft und Lehre.
An der Zentraleinheit fände Forschung und Lehre unmittelbar statt. Dies beginne mit der Lehre auf einer sogenannten „eLearning-Plattform“, und führe bis hin zu ausschließlich digitalen wissenschaftlichen Publikationen auf den Servern. Die Programmierung der hier vorgehaltenen Grundlagen stelle eine wissenschaftliche Betätigung dar. Für diese sei die Klägerin eingestellt worden.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg sieht keine rechtmäßige Befristung. Das WissenZeitVG ist nach Auffassung auch des LAG in diesem Fall nicht anwendbar.
Hintergrund: Wissenschaftliche Tätigkeit
Befristungen nach dem WissZeitVG setzten eine wissenschaftliche oder künstlerische (Hilfs-)Tätigkeit voraus. Die vertragsgemäße Beschäftigung muss auf die Erledigung spezifisch wissenschaftlicher Aufgaben gerichtet sein.
Dies ist etwa gegeben, wenn die wissenschaftliche Arbeit eines Wissenschaftlers unmittelbar unterstützt wird. An die Wissenschaftlichkeit sind keine besonderen Anforderungen zu stellen, es genügen hier auch Hilfstätigkeiten. Hierunter sind Tätigkeiten zu verstehen, mit denen der wissenschaftliche Mitarbeiter bei Forschung und Lehre anderen unterstützend zuarbeitet und damit hilft, die Aufgabe der jeweiligen Einrichtung zu erfüllen.
Als wissenschaftliche Mitarbeit kommt auch die Mitarbeit bei Dienstaufgaben eines Professors in Betracht. Hierzu zählt die Unterrichtstätigkeit, die Prüfungstätigkeit oder die Zusammenstellung wissenschaftlichen Materials.
Wissenschaftliche Tätigkeit ist abzugrenzen von technischen, verwaltungsmäßigen Tätigkeiten, etwa die Erledigung von Aufgaben im Sekretariat oder in der Bibliothek. Diese Unterscheidung ist maßgeblich für wissenschaftliche Hilfstätigkeiten. Die Möglichkeit einer Befristung rechtfertigt sich aus der Qualifikationsmöglichkeit des studentischen Mitarbeiters. Allerdings reicht die bloße Nutzung der Kenntnisse und Fähigkeiten eines Hochschulstudiums nicht aus, um die Tätigkeit zu einer wissenschaftlichen Dienstleistung zu machen.
LAG: Keine wissenschaftliche Tätigkeit
Nach Auffassung des LAG war die Klägerin nicht wissenschaftlich tätig. Die Klägerin wurde im Rahmen eines Projekts beschäftigt. Die Programmierung und Erweiterung der Software stellt aber nach Ansicht des LAG keine wissenschaftliche Tätigkeit dar. Diese Tätigkeit ist nicht auf die Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse oder zumindest auf die Erbringung von Hilfstätigkeiten hierzu gerichtet.
Vielmehr ist die Tätigkeit aufgrund bereits gewonnener EDV-Erkenntnisse rein verwaltungstechnischer Natur. So war die Klägerin nicht etwa einem Lehrstuhl zugeordnet, sondern einer zentralen Einrichtung der Beklagten. Die Beklagte hat zu keinem Zeitpunkt im Prozess dargelegt, dass diese zentrale Einrichtung selbst Forschung und Lehre betreibt.
Die Aufgabe der Klägerin erschöpft sich nach der Überzeugung des LAG darin, die bereits vorliegenden Erkenntnisse im EDV-Bereich schlicht umzusetzen und damit die Tätigkeit anderer Mitarbeiter zu erleichtern oder zu gestalten. Die von der Klägerin in ihrem Studium erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten machen die ausgeübte Tätigkeit aber dadurch nicht „wissenschaftlich“.
Argumente der Universität überzeugen nicht
Das Argument der Beklagten, die Klägerin liefere Arbeitsergebnisse, die die wissenschaftliche Tätigkeit der Hochschullehrer erleichtern würden, überzeugt das Gericht nicht. Die Klägerin war nur mit der technischen Umsetzung betraut. Ein eigener Beitrag zu wissenschaftlichen Erkenntnissen ist damit aber nicht verbunden.
Vielmehr fehlt es an der Nähe zu wissenschaftlichen Tätigkeiten. Würde man diese Nähe im vorliegenden Fall bejahen, wäre konsequenterweise jede studentische Hilfstätigkeit im Bereich der Universität eine „wissenschaftliche“ Hilfstätigkeit. Unter diesem Gesichtspunkt würde jede Tätigkeit dem Hochschulbetrieb, also den Dozenten und Studenten auf irgendeine Weise zugutekommen.
Die Klägerin wurde nicht zur Erbringung wissenschaftlicher Hilfstätigkeiten eingestellt. Dass die Klägerin der Beklagten das Erreichen des Bachelor-Abschlusses verschwieg, ist unschädlich, da die Klägerin nach wie vor studiert. Ein Masterstudiengang schließt sich sehr oft an einen Bachelor-Abschluss an.
Das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg ist hier im Volltext nachzulesen
Lesen sie auch
Befristungswahn in der Wissenschaft
Kettenbefristungen in der Wissenschaft können rechtsmissbräuchlich sein
Befristung bei Drittmittelprojekt wirksam
Das sagen wir dazu:
Dem Urteil des LAG Berlin – Brandenburg muss zugestimmt werden. Arbeitgeber legen bisweilen viel Fantasie für die Rechtfertigung von Befristungen an den Tag. Öffentliche Arbeitgeber finden sich hier in der ersten Reihe. Nirgendwo sonst die die Quote der befristeten Arbeitsverhältnisse so hoch wie im öffentlichen Dienst.
Zu begrüßen ist daher das Urteil des LAG. Das Gericht zieht – wie auch schon das Arbeitsgericht in der ersten Instanz – eine klare Trennlinie zwischen wissenschaftlicher Tätigkeit und der „normalen“ Verwaltungstätigkeit. Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Gesetzgeber mit dem WissZeitVG durchaus nachvollziehbare Ziele verfolgt.
Die Möglichkeit der wissenschaftlichen Qualifikation soll möglichst viele Menschen offen stehen – die fachliche Eignung einmal unterstellt. Akademische Ressourcen sind allerdings begrenzt. Assistenzstellen an Universitäten sollen möglichst zeitnah neu besetzt werden können. Derartige Arbeitsverhältnisse sind also per se nicht für eine dauerhafte Beschäftigung gedacht. Die Assistenzstelle endet etwa mit der Promotion. Etwaige nachfolgende Beschäftigungen als Dozent münden oft im einem Beamtenverhältnis.
Für die Befristung von Arbeitsverhältnissen im reinen Verwaltungsbereich ist das Gesetz aber nicht gedacht.
Rechtliche Grundlagen
§ 6 WissZeitVG
Befristete Arbeitsverträge zur Erbringung wissenschaftlicher oder künstlerischer Hilfstätigkeiten mit Studierenden, die an einer deutschen Hochschule für ein Studium, das zu einem ersten oder einem weiteren berufsqualifizierenden Abschluss führt, eingeschrieben sind, sind bis zur Dauer von insgesamt sechs Jahren zulässig. Innerhalb der zulässigen Befristungsdauer sind auch Verlängerungen eines befristeten Arbeitsvertrages möglich.
Das sagen wir dazu