Beschäftigte verlieren durch den Wechsel von Vollzeit zu Teilzeit keine während der Vollzeittätigkeit erworbenen Urlaubsansprüche. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat am heutigen Tag bestätigt, dass der bereits erworbene Urlaubsanspruch vollständig erhalten bleibt, wenn eine vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmerin in eine Teilzeitbeschäftigung mit Verteilung der Arbeitszeit auf weniger Wochenarbeitstage als zuvor wechselt.
Die klagende Arbeitnehmerin, Frau Bianca Brandes, war zunächst in Vollzeit im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche beschäftigt. Im Jahr 2010 konnte sie wegen eines schwangerschaftsbedingten Beschäftigungsverbotes und während der Zeiten ihres Mutterschutzes 22 Urlaubstage nicht nehmen. Ab Mitte Dezember 2011 arbeitete sie nur noch im hälftigen Umfang, und zwar drei Tage pro Woche. Zu dieser Zeit waren weitere sieben Arbeitstage Urlaub offen. Die Arbeitszeitverringerung nahm das Land Niedersachsen zum Anlass, die bereits erworbenen Urlaubsansprüche entsprechend dem Verhältnis der neuen Zahl zur alten Zahl der Arbeitstage zu kürzen.
Die Kürzung des Resturlaubs um 12 Tage nach Mutterschutz und Elternurlaub wollte Frau Brandes nicht hinnehmen. Eine entsprechende Klage wurde von der DGB Rechtsschutz GmbH beim Arbeitsgericht Nienburg (Weser) erhoben. Das Gericht vertrat in einem Beschluss vom September 2012 die Auffassung, dass die für Frau Brandes ungünstige Umrechnungsmethode gegen das Europarecht verstoße und legte daher dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg die Frage vor, wie diese Umrechnung vorzunehmen ist. Das erstinstanzliche Verfahren wurde für mehrere Monate ausgesetzt.
Am 13.06.2013 beantwortete der EuGH die Vorlagefrage des erstinstanzlichen Gerichts zugunsten von Frau Brandes und stellte ein weiteres Mal heraus, dass der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen ist (C-415/12, Brandes). Darüber hinaus konnte sich Frau Brandes auf zuvor ergangene Entscheidungen des EuGH berufen (vgl. 22.04.2010, C-486/08, Tirol und vom 08.11.2012, C-229/11 und 230/11, Heimann und Toltschin). Danach ist die Quotierung erworbener Urlaubsansprüche beim Übergang von Voll- zu Teilzeitbeschäftigung schlichtweg europarechtswidrig.
Folgerichtig ist dann vom Arbeitsgericht Nienburg (Weser) festgestellt worden, dass der Wechsel von Vollzeit in Teilzeit und die damit einhergehende Änderung der Verteilung der Arbeitszeit auf weniger Arbeitstage in einer Kalenderwoche nicht zur Folge habe, dass sich der Umfang des zuvor im Rahmen der Vollzeitbeschäftigung erworbenen Urlaubsanspruchs verkürzt. Insbesondere wurde vom erstinstanzlichen Gericht darauf hingewiesen, dass die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts mit Unionsrecht nicht vereinbar sei (Arbeitsgericht Nienburg [Weser} vom 19.12.2013, 2 Ca 257/12 Ö).
Das Land Niedersachsen wollte dies nicht akzeptieren. Es legte Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ein. Offensichtlich möchte das Land Niedersachsen weiterhin europarechtswidrig die bislang geübte Praxis beibehalten. Die Berufung wurde nunmehr vom Landesarbeitsgericht Niedersachsen abgewiesen (LAG Niedersachsen vom 11.06.2014, 2 Sa 125/14). Der Rechtsstreit ist damit aber noch nicht beendet, da die Revision zugelassen wurde. Noch im Gerichtssaal kündigten die anwesenden Vertreter des Landes Niedersachsen an, dass nun das Bundesarbeitsgericht angerufen werden soll. Abgesandte des niedersächsischen Finanzministeriums erklärten, dass dies auch im Interesse der Tarifgemeinschaft der Länder geschehe, da man weitere finanzielle Belastungen der öffentlichen Haushalte vermeiden müsse.
Thomas Schlingmann, Nienburg (Weser)
Die vollständige Entscheidung der LAG Niedersachsen vom 11.06.2014, 2 Sa 125/14 gibt es hier zum Download
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