Außerordentliche Kündigung und Weiterarbeit? Da „beißt sich die Katze in den Schwanz“. - Hans-Martin Wischnath – Onlineredakteur – Frankfurt/Main
Außerordentliche Kündigung und Weiterarbeit? Da „beißt sich die Katze in den Schwanz“. - Hans-Martin Wischnath – Onlineredakteur – Frankfurt/Main

Die Klägerin war mit Schreiben vom 19.09.2013 gekündigt worden. Die Beklagte beendete das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis „außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum Ablauf des 31.03.2014“.

Begründet wurde die Kündigung auf einen von der Klägerin bestrittenen Vorfall vom 11.09.2013, wonach die Klägerin ihrer Vorgesetzten Frau T. eine Ohrfeige angedroht haben soll, beziehungsweise für den Fall, dass sie der Vorgesetzten die Ohrfeige nicht selbst verpassen könne, angedroht habe, dass ihr Sohn die Vorgesetzte ohrfeigen werde.

Tarifliche Unkündbarkeit

 

Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin, die bei der Beklagten als Reinigungskraft in einem Teilzeitbeschäftigungsverhältnis beschäftigt ist, finden die Vorschriften des TVöD Anwendung. Die Klägerin ist gemäß § 34 Abs. 2 TVöD altersgesichert, wonach Beschäftigten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, nach einer Beschäftigungszeit von mehr als 15 Jahren durch den Arbeitgeber nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden können.

Die Klägerin hielt die Kündigung für unwirksam und vertrat vor allem die Rechtsansicht, bei verhaltensbedingten Kündigungen sei gegenüber tariflich Altersgesicherten eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ausgeschlossen.

Urteil des Landesarbeitsgerichts

Wie auch das erstinstanzliche Gericht gab das LAG der Klägerin recht, da der ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist die tarifliche Alterssicherung der Klägerin gemäß § 34 Abs. 2 TVöD entgegenstehe.

Eine verhaltensbedingte, außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist, so das Berufungsgericht, komme gegenüber tariflich altersgesicherten Mitarbeitern nicht in Betracht, da eine solche Kündigung die kündigungsrechtlichen Grenzen zwischen kündbaren und geschützten Arbeitnehmern verwische und letztlich im Ergebnis die tariflich geschützten Arbeitnehmer den ungeschützten gleichstellen würde (BAG, Urteil vom 21. Juni 2012 -  2 AZR 343/11.  Dadurch würde vorliegend der Zweck des § 34 Abs. 2 TVöD unterlaufen.

Außerordentliche Kündigungen mit Auslauffrist nur in Einzelfällen

Der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist ist bei betriebsbedingten Kündigungen möglich, z.B. dann wenn Situationen eintreten, in denen eine ordentliche Kündigung zwar gerechtfertigt wäre, eine solche jedoch wegen der Alterssicherung nicht in Betracht kommt und eine dauerhafte Weiterbeschäftigung, gegebenenfalls bis zum Renteneintritt, zum Beispiel bei Betriebsstilllegungen, dem Arbeitgeber unzumutbar wäre. 

In diesen Fällen ist zur Meidung einer Benachteiligung des altersgesicherten Arbeitnehmers die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist anerkannt (BAG, Urteil vom 21. Juni 2012 – 2 AZR 343/11; BAG, Urteil vom 12. August 1999 - 2 AZR 923/98).

Kein Regel-Ausnahme-Verhältnis bei verhaltensbedingter Kündigung 

Bei verhaltensbedingten außerordentlichen Kündigungen mit sozialer Auslauffrist sieht dies jedoch völlig anders aus, da es dort  kein Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen einer ordentlichen Kündigung und einer außerordentlichen Kündigung gibt. Beide Kündigungsarten stehen gleichberechtigt nebeneinander. Lediglich die Schwere des Pflichtenverstoßes ist letztlich entscheidend, ob auf der zweiten Stufe der Interessenabwägung eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist noch zumutbar erscheint oder nicht. 

Auch eine durch eine Auslauffrist auszuräumende Schlechterstellung tariflich Altersgesicherter kann bei diesem Kündigungsgrund nicht eintreten. Deshalb hat das Bundesarbeitsgericht in seiner o.g. Entscheidung vom 21. Juni 2012 auch ausgeführt, dass es zweifelhaft erscheint, ob es mit dem Zweck der ordentlichen Unkündbarkeit zu vereinbaren ist, bei weniger schweren Pflichtverletzungen eine ordentliche Kündigung mit Auslauffrist zu ermöglichen, die der ausgeschlossenen ordentlichen Kündigung letztlich gleichkommt. Diesen Zweifeln hat sich das LAG angeschlossen und hält somit. bei verhaltensbedingten Kündigungen eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist für ausgeschlossen.

LAG: Weiterbeschäftigung zumutbar

Konkret auf den zur Entscheidung angestandenen Fall stellte das LAG fest, dass die Beklagte lediglich das Gewand einer außerordentlichen Kündigung wählte, um die tarifliche ordentliche Unkündbarkeit der Klägerin überwinden zu können. Da sie über die 

Einräumung einer sozialen Auslauffrist der Klägerin gegenüber zu erkennen gegeben hat, dass sie in ihrer subjektiven Eigenwertung an sich eine Weiterbeschäftigung jedenfalls bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist für zumutbar erachtete, muss sie sich hieran festhalten lassen.

Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung hat das LAG die Revision zugelassen.

Hans-Martin Wischnath – Onlineredakteur – Frankfurt/Main

 

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 25.6.2014, 4 Sa 35/14 (Volltext)

 

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 21. Juni 2012 – 2 AZR 343/11 (Volltext)

 

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 (Volltext)