Mindestlohn sieht anders aus: Keine Verrechnung mit Sachbezügen (Bildquellenangabe: Jakub Sproski  / pixelio.de)
Mindestlohn sieht anders aus: Keine Verrechnung mit Sachbezügen (Bildquellenangabe: Jakub Sproski / pixelio.de)

Der Betreiber eines Kinos in Nürnberg hielt sich für besonders pfiffig und teilte seinen Mitarbeiter*innen mit, man werde zwar den gesetzlichen Mindestlohn zahlen, vom Stundenlohn in Höhe von 8,50  werde jedoch ein Betrag in Höhe von 1,44 € abgezogen: Die bisher üblichen Sachleistungen in Form von freiem Eintritt ins Kino und Verzehr würden auf den Mindestlohn angerechnet.

Kino, Solarium, Sauna – Sachleistung statt Lohn

Der mittelfränkische Kinobetreiber war jedoch nicht der einzige, dem diese kreative Form der Verrechnung eingefallen ist. Sonnenstudios rechnen mit Solariumsgutscheinen gegen, Spaßbäder mit Gutscheinen für den Saunabesuch. Die Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen, die Kreativität mancher Arbeitgeber scheint unbegrenzt zu sein.

Gemeinsam ist den Versuchen jedoch vor allem eines: Sie sind illegal. Eine Umgehung des Mindestlohns durch Sachleistungen ist unzulässig! Nur unter engen Voraussetzungen dürfen Arbeitgeber Arbeitnehmern statt Geld mit Sachleistungen vergüten.

Wohnraum, Gemüse, Kohle – die klassischen Sachleistungen 

Der Gedanke der sogenannten Naturalentlohnung stammt aus der Zeit vor der industriellen Revolution: So erhielten die Landarbeiter erhielten noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen sogenannten Deputatlohn. Statt Entgelt wurde eine freie Wohnung, Kleinvieh oder die Nutzung von Obst- und Gemüsegarten eingeräumt. 

Diese Form der Vergütung war insbesondere in ländlichen Regionen praktisch, in denen sich das Geld noch nicht als universelles Zahlungsmittel durchgesetzt hatte. Und es bot für beide Seiten Vorteile: Der Arbeitgeber konnte die Arbeitsleistung mit Dingen entlohnen, die ohnehin vorhanden waren und der Arbeitnehmer musste Dinge, die er ohnehin zum Leben benötigte, nicht erst im Geschäft kaufen.

Tarifvertrag regelt Anspruch auf zwei Liter Bier täglich 

Mit der Industrialisierung und der zunehmend arbeitsteiligen Produktion nahm die Bedeutung des Deputatlohns ab. Man findet ihn aber heute noch in den Branchen, die Waren für den Bedarf des täglichen Lebens produzieren.

Früher weit verbreitet war die Deputat-Kohle für Bergarbeiter. Diese Form der Sachleistung („Hausbrand“) ist aber mit aufgrund der sinkenden Bedeutung sowohl des Bergbaus, als auch der Kohle als Brennstoff rückläufig. Wer verheizt heute noch Kohle im heimischen Ofen?

Von größerer Bedeutung sind die Deputate dagegen in der Verbrauchsgüterindustrie, wo oft Mitarbeiterrabatte gewährt werden und in der Lebensmittelbranche. Manche  Hersteller von Schokolade gewähren den Mitarbeitern sogar unbegrenztes Naschen in der Produktion – wahrscheinlich ist die Versuchung ohnehin zu groß, als dass man es sinnvoll verbieten könnte. 

Ein weiterer Klassiker hingegen ist der „Haustrunk“ in der Getränke-Industrie, der insbesondere im Brauereiwesen zu finden ist. Für die körperlich schwer arbeitenden Brauer bot sich das ohnehin vorhandene Bier als Durstlöscher an. Noch heute findet sich dieser Anspruch, etwa im  Brauer-Manteltarifvertrag für das Sauer- und Siegerland. Danach erhalten gewerbliche und technische Mitarbeiter pro Arbeitstag 2,5 Liter Bier, Angestellte zwei Liter. Allerdings muss das Bier nicht pro Tag getrunken werden, der Tarifvertrag sieht ein Haustrunk-Konto vor.

Moderne Lohngestaltung nach Mindestlohn unzulässig

Mit diesen Fällen hat die gegenwärte Umgehungspraxis nichts zu tun und ist auch rechtlich nicht haltbar. Nach den Vorschriften der Gewerbeordnung ist das Arbeitsentgelt grundsätzlich in Euro zu berechnen und auszuzahlen.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer können zwar Sachbezüge als Teil des Arbeitsentgelts vereinbaren, aber nur, wenn dies dem Interesse des Arbeitnehmers oder der Eigenart des Arbeitsverhältnisses entspricht. Hier mag man natürlich vermuten, dass ein Mitarbeiter eines Kinos selber auch gerne Filme schaut, aber man müsste es schon im Einzelfall nachweisen. Ob jeder Mitarbeiter eines Solariums sich selbst gerne unter die künstliche Sonne legt, ist zumindest fraglich.

Die bekannt gewordenen Fälle sind jedenfalls alle so gelagert, dass keine lebensnotwendigen Sachbezüge angerechnet werden, sondern eher Vergnügungen. Es ist natürlich eine schöne Sache, wenn man kostenlos Filme gucken kann, aber wichtiger wäre es natürlich, erst mal die Miete für die Wohnung zahlen zu können.

Anrechenbar nur Selbstkosten oberhalb der Pfändungsgrenze

Außerdem darf der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach der Gewerbeordnung Waren in Anrechnung auf das Arbeitsentgelt nur dann überlassen, wenn die Anrechnung zu den durchschnittlichen Selbstkosten erfolgt und dies vorher auch so vereinbart wurde. Der Solariumsbesitzer mag also den verbrauchten Strom in Rechnung stellen, aber der Kinobetreiber wird sich schwer tun darzulegen, welche Kosten entstehen, wenn ein Mitarbeiter einen Film anschaut, der ohnehin gezeigt wird. 

Keinesfalls darf der Arbeitgeber den Marktpreis verlangen und den Mitarbeiter damit zum Zwangskunden machen. 

Relevant ist schließlich, dass der Wert der Sachbezüge oder die Anrechnung der überlassenen Waren auf das Arbeitsentgelt darf die Höhe des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts nicht übersteigen. Anders gesagt, der unpfändbare Teil des Arbeitsentgelts muss dem Arbeitnehmer immer zur freien Verfügung bleiben. Nach gegenwärtigem Stand sind dies für einen ledigen Arbeitnehmer ohne Kinder 1.049,90 € netto. Das Einkommen nach Mindestlohn liegt für eine 40-Stunden-Woche bei entsprechender Versteuerung bei 1.076, 24 € und damit nur knapp über dem pfändbaren Betrag. Die meist in Teilzeit und auf Minijob-Basis arbeitenden Aushilfen dürften weit unterhalb dieser Grenzen liegen.

Kohle statt Kino

Arbeitnehmer müssen eine Anrechnung von Sachbezügen auf den Mindestlohn also nicht hinnehmen und können auf Auszahlung der Vergütung in Geld bestehen. Sollte der Arbeitgeber dennoch auf diese Form der Vergütung bestehen, lohnt sich der Gang zur Gewerkschaft, die dann gerichtlichen Rechtsschutz erteilt. Im eingangs geschilderten Fall war nicht einmal das notwendig: Auf Druck der Gewerkschaft ver.di gab der Arbeitgeber schnell nach. Es habe sich „lediglich um einen Vorschlag“ gehandelt.

 

§ 107 Gewerbeordnung  - GewO - Berechnung und Zahlung des Arbeitsentgelts im Praxistip:

Rechtliche Grundlagen

Gewerbeordnung - GewO

§ 107 GewO - Berechnung und Zahlung des Arbeitsentgelts

(1) Das Arbeitsentgelt ist in Euro zu berechnen und auszuzahlen.
(2) Arbeitgeber und Arbeitnehmer können Sachbezüge als Teil des Arbeitsentgelts vereinbaren, wenn dies dem Interesse des Arbeitnehmers oder der Eigenart des Arbeitsverhältnisses entspricht. Der Arbeitgeber darf dem Arbeitnehmer keine Waren auf Kredit überlassen. Er darf ihm nach Vereinbarung Waren in Anrechnung auf das Arbeitsentgelt überlassen, wenn die Anrechnung zu den durchschnittlichen Selbstkosten erfolgt. Die geleisteten Gegenstände müssen mittlerer Art und Güte sein, soweit nicht ausdrücklich eine andere Vereinbarung getroffen worden ist. Der Wert der vereinbarten Sachbezüge oder die Anrechnung der überlassenen Waren auf das Arbeitsentgelt darf die Höhe des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts nicht übersteigen.
(3) Die Zahlung eines regelmäßigen Arbeitsentgelts kann nicht für die Fälle ausgeschlossen werden, in denen der Arbeitnehmer für seine Tätigkeit von Dritten ein Trinkgeld erhält. Trinkgeld ist ein Geldbetrag, den ein Dritter ohne rechtliche Verpflichtung dem Arbeitnehmer zusätzlich zu einer dem Arbeitgeber geschuldeten Leistung zahlt.