Fordert Änderung der Rechtsprechung zur Durchsetzung familienfreundlicher Arbeitszeiten: Silke Clasvorbeck
Fordert Änderung der Rechtsprechung zur Durchsetzung familienfreundlicher Arbeitszeiten: Silke Clasvorbeck

In besonderen Lebenslagen kann sich für Beschäftigte die Frage stellen, ob und inwiefern die bisherige Dauer und Lage der Arbeitszeit verändert werden kann. Dafür sind unterschiedliche Gründe denkbar, wobei die Kinderbetreuung im Vordergrund steht. Bei Teilzeitarbeit wegen Kinderbetreuung ist es oft besonders wichtig, auch die Lage der Arbeitszeit verändern zu können.

 

Diese Möglichkeit sieht § 8 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) vor, allerdings im Zusammenhang mit einem Antrag auf Reduzierung der Arbeitszeit. Dies stellt für die Situation nach Rückkehr aus der Elternzeit sicher ein ausreichendes Mittel dar. In der Praxis stellt sich aber oft zu einem späteren Zeitpunkt die Frage, ob bei Änderungen der Betreuungszeiten in der Kindertagesstätte, Einschulung oder ähnlichen Veränderungen im persönlichen Bereich nur eine andere Lage der Arbeitszeit begehrt werden kann, und zwar ohne weitere Reduzierung. Fraglich ist dabei, ob die Lage der Arbeitszeit mit einem Antrag nach § 8 TzBfG und einer entsprechenden Klage isoliert begehrt werden kann oder ob ein Verteilungsverlangen immer mit einem Verringerungsverlangen verknüpft sein muss.

 

Unzureichende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts

 

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit einer Entscheidung aus dem Jahr 2008 der Möglichkeit einer isolierten Klage auf Neuverteilung der Arbeitszeit zugestimmt. Dies allerdings nur dann, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Verringerungs- und Verteilungsverlangen besteht. Im konkreten Fall hatten sich Arbeitgeber und Beschäftigte vor Ende der Elternzeit bereits auf eine Reduzierung der Arbeitszeit verständigt, konnten allerdings keine Einigkeit über die Lage der Arbeitszeit erzielen.
Hier stellt sich die Frage, wann ein solcher Zusammenhang noch bejaht werden kann. Zu den Erfordernissen des zeitlichen Zusammenhangs äußert sich das Gericht nicht weiter. Die Fälle, in denen bei Rückkehr aus der Elternzeit eine Vereinbarung zur Reduzierung der Arbeitszeit getroffen wurde und der Beschäftigte zu einem späteren Zeitpunkt, wie etwa bei Wechsel des zu betreuenden Kindes von der Kindertagesstätte in die Schule, auf eine andere Lage der Arbeitszeit angewiesen ist, werden bedauerlicherweise nicht erfasst sein.
Das BAG hat in der Entscheidung auch auf den Gesetzeszweck der Förderung der Teilzeitarbeit abgestellt. Es hat daraus geschlossen, dass eine möglichst weitgehende Flexibilisierung sowohl der Dauer als auch der Verteilung der Arbeitszeit verlangt wird. Und es beruft sich für das Recht auf eine bestimmte Neuverteilung der reduzierten Arbeitszeit zudem auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 6 Grundgesetz (GG) und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es wird berücksichtigt, dass die Erfüllung familiärer Pflichten häufig eng an bestimmte Termine und Zeiten geknüpft ist.
Den Beschäftigten wird also durchaus eine größere Zeitsouveränität zugestanden. Dennoch muss die Rechtsprechung des BAG wohl so verstanden werden, dass die isolierte Klage auf Neuverteilung der Arbeitszeit eine Ausnahme für den Fall eines unmittelbaren Zusammenhangs sein soll.
Wegen der bestehenden Unklarheiten sollten die Betroffenen einen Antrag auf Neuverteilung der Arbeitszeit mit einer Reduzierung der Arbeitszeit verbinden. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz regelt keine Mindestverringerung und auch das Bundesarbeitsgericht sieht die Notwendigkeit der Festlegung eines Mindestreduktionsumfangs nicht. Deshalb kann sicher auch eine Abstufung von einer Stunde pro Woche gewählt werden.

 

Anspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit aus § 106 Gewerbeordnung (GewO)

 

Auch wenn sich grundsätzlich aus § 8 TzBfG kein Anspruch auf isolierte Geltendmachung der Lage der Arbeitszeit ableiten lässt, so gibt es dennoch Hoffnung für den betroffenen Arbeitnehmerkreis. Denn aus einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rostock lässt sich eine Tendenz der Rechtsprechung erkennen, einen Anspruch auf familiengerechte Gestaltung der Arbeitszeit aus der Vorschrift des § 106 GewO und der Ausübung des Direktionsrechts nach billigem Ermessen abzuleiten.
Ausgangspunkt ist, dass der Arbeitgeber bei der Bestimmung der Lage der Arbeitszeit nach Möglichkeit auch auf die Personensorgepflichten der Beschäftigten Rücksicht nehmen muss, sofern betriebliche Gründe oder berechtigte Belange anderer Arbeitnehmer nicht entgegenstehen. Das Gericht stellte dabei fest, dass im Falle einer alleinerziehenden Mutter eines Kleinkindes den Arbeitgeber verstärkte Fürsorgepflichten treffen. Dies könne sogar dazu führen, dass der Arbeitgeber der gewünschten Lage der Arbeitszeit zustimmen muss. Auch hier berücksichtigte das Gericht die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 6 GG. Der Arbeitgeber wurde verurteilt, die Klägerin nur in der gewünschten Zeit zu beschäftigen.
Dem Urteil des LAG Rostock kommt besondere Bedeutung zu. Aber auch andere Gerichte haben auf die Berücksichtigung der familiären Belange bei der Bestimmung der Lage der Arbeitszeit abgestellt. Familiäre Interessen der Beschäftigten gelten als schützenswert und es wird ein Anspruch auf familienfreundliche Verteilung der Arbeitszeit anerkannt.

 

Ratschlag für die Praxis

 

Was also tun, wenn der Arbeitgeber nicht bereit ist, die Arbeitszeit zu ändern?
Hat der Beschäftigte keine andere Möglichkeit, als zu der gewünschten Zeit zu arbeiten, empfiehlt sich, auf Zustimmung des Arbeitgebers zur gewünschten Lage der Arbeitszeit zu klagen. Dies ist im Falle der Kinderbetreuung dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer an feste Betreuungszeiten gebunden ist und außerhalb dieser keine andere Betreuungsperson zur Verfügung steht.
Wenn nicht sicher ist, ob dies dargestellt werden kann, sollte auf § 8 TzBfG und einen Antrag auf Verringerung und Neuverteilung der Arbeitszeit zurückgegriffen werden. Letztendlich dürften die Arbeitnehmer über den Anspruch aus § 8 TzBfG auf der sichereren Seite sein, so dass dieser Weg gewählt werden sollte, wenn eine (weitere) Verringerung der Arbeitszeit in Kauf genommen werden kann. Einschränkend ist dabei im Rahmen des TzBfG die zweijährige Ausschlussfrist zu beachten. Der Beschäftigte kann eine erneute Verringerung der Arbeitszeit frühestens nach Ablauf von zwei Jahren verlangen, nachdem der Arbeitgeber einer Verringerung zugestimmt oder sie berechtigt abgelehnt hat.

 

Blick in die Zukunft

 

§ 8 TzBfG stellt eine rechtliche Möglichkeit für Arbeitnehmer dar, die ihre Arbeitszeit wegen notwendiger Kinderbetreuung verringern müssen. Er bietet aber zumindest im derzeitigen Stand der Rechtsprechung keine umfassenden Möglichkeiten, um familiengerechte Arbeitszeiten zu erlangen oder an geänderte Situationen anpassen zu können. Wir hoffen und erwarten, dass das BAG seine familienfreundliche Rechtsprechung fortführt und konsequent zumindest mehr Ausnahmen zulässt, in denen eine isolierte Klage auf Neuverteilung der Arbeitszeit möglich ist.
Zudem sind die Tendenzen zu begrüßen, wonach andere Wege speziell für die familiengerechte Gestaltung der Arbeitszeit gesucht werden. Die Deutsche Gerichtsbarkeit hat erkannt, dass die Vorgaben aus Art. 6 GG zum Schutz der Familie sowie die Gleichberechtigung von Mann und Frau nur dann konsequent umgesetzt werden können, wenn Begriffe wie „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ernst genommen werden.

 

Silke Clasvorbeck

Rechtssekretärin - Bielefeld

Rechtliche Grundlagen

Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsgesetz - TzBfG)

§ 8 Verringerung der Arbeitszeit

(1) Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat, kann verlangen, dass seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit verringert wird.

(2) Der Arbeitnehmer muss die Verringerung seiner Arbeitszeit und den Umfang der Verringerung spätestens drei Monate vor deren Beginn geltend machen. Er soll dabei die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit angeben.

(3) Der Arbeitgeber hat mit dem Arbeitnehmer die gewünschte Verringerung der Arbeitszeit mit dem Ziel zu erörtern, zu einer Vereinbarung zu gelangen. Er hat mit dem Arbeitnehmer Einvernehmen über die von ihm festzulegende Verteilung der Arbeitszeit zu erzielen.

(4) Der Arbeitgeber hat der Verringerung der Arbeitszeit zuzustimmen und ihre Verteilung entsprechend den Wünschen des Arbeitnehmers festzulegen, soweit betriebliche Gründe nicht entgegenstehen. Ein betrieblicher Grund liegt insbesondere vor, wenn die Verringerung der Arbeitszeit die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßige Kosten verursacht. Die Ablehnungsgründe können durch Tarifvertrag festgelegt werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen über die Ablehnungsgründe vereinbaren.

(5) Die Entscheidung über die Verringerung der Arbeitszeit und ihre Verteilung hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer spätestens einen Monat vor dem gewünschten Beginn der Verringerung schriftlich mitzuteilen. Haben sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht nach Absatz 3 Satz 1 über die Verringerung der Arbeitszeit geeinigt und hat der Arbeitgeber die Arbeitszeitverringerung nicht spätestens einen Monat vor deren gewünschtem Beginn schriftlich abgelehnt, verringert sich die Arbeitszeit in dem vom Arbeitnehmer gewünschten Umfang. Haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Verteilung der Arbeitszeit kein Einvernehmen nach Absatz 3 Satz 2 erzielt und hat der Arbeitgeber nicht spätestens einen Monat vor dem gewünschten Beginn der Arbeitszeitverringerung die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit schriftlich abgelehnt, gilt die Verteilung der Arbeitszeit entsprechend den Wünschen des Arbeitnehmers als festgelegt. Der Arbeitgeber kann die nach Satz 3 oder Absatz 3 Satz 2 festgelegte Verteilung der Arbeitszeit wieder ändern, wenn das betriebliche Interesse daran das Interesse des Arbeitnehmers an der Beibehaltung erheblich überwiegt und der Arbeitgeber die Änderung spätestens einen Monat vorher angekündigt hat.

(6) Der Arbeitnehmer kann eine erneute Verringerung der Arbeitszeit frühestens nach Ablauf von zwei Jahren verlangen, nachdem der Arbeitgeber einer Verringerung zugestimmt oder sie berechtigt abgelehnt hat.

(7) Für den Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit gilt die Voraussetzung, dass der Arbeitgeber, unabhängig von der Anzahl der Personen in Berufsbildung, in der Regel mehr als 15 Arbeitnehmer beschäftigt.


Gewerbeordnung - GewO

§ 106 Weisungsrecht des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.