Streit um Hörhilfen: welches Gerät schuldet die Krankenkasse? Copyright by Adobe Stock/shurkin_son
Streit um Hörhilfen: welches Gerät schuldet die Krankenkasse? Copyright by Adobe Stock/shurkin_son

Frau K. ist hörgeschädigt. Daher stellte sie bei ihrer Krankenkasse den Antrag, ihr Hörgeräte zu zahlen. Nachdem sie sich von ihrem Hörgeräteakustiker hatte beraten lassen, suchte sie ein Gerät aus, das bessere Leistungen erbringt, aber auch wesentlich teurer war als das von der Krankenkasse empfohlene Gerät.

Krankenkasse will das teurere Hörgerät nicht zahlen

Die Krankenkasse weigerte sich, die Kosten zu übernehmen, und verwies darauf, dass das „Kassengerät“ für ein gutes Hörvermögen der Frau K. ausreiche.

Die Leistungen für Hilfsmittel müssten nach den gesetzlichen Regelungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürften das Maß des notwendigen nicht überschreiten. Wenn Frau K. ein besonders gut ausgestattetes und komfortables Hörgerät wünsche, müsse sie das selbst bezahlen.

Was ist: „erheblicher Gebrauchsvorteil“?

Frau K ging mit Hilfe der DGB Rechtsschutz GmbH Berlin vor Gericht und verlangte im Wege der einstweiligen Anordnung, dass die Krankenkasse sie mit dem von ihr ausgesuchten Hörgerät ohne Zuzahlung versorgte.

Dazu ist die Krankenkasse nur verpflichtet, wenn das teurere Gerät im Vergleich zum „Kassengerät“ erhebliche Gebrauchsvorteil aufweist. Das Gericht holte Sachverständigengutachten ein, die bestätigten, dass das teurere Hörgerät ein besseres Sprachverstehen ermöglicht, als es bei dem billigeren Gerät der Fall war. Das reichte dem Sozialgericht Berlin aber nicht aus, sodass es den Antrag abwies.

Landessozialgericht: Krankenkasse muss teureres Gerät zahlen

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg sah das jedoch anders. Die Krankenkasse dürfe ein fortschrittliches, technisch weiterentwickeltes Hilfsmittel nicht mit der Begründung ablehnen, dass das günstigere Hilfsmittel ausreichen würde, um die Behinderung auszugleichen.

Jeder behinderte Mensch, so das Landessozialgericht, habe den Anspruch auf einen unmittelbaren Behinderungsausgleich, also eine bestmöglichste Versorgung mit Hilfsmitteln, sodass er mit Nichtbehinderten „gleichziehen“ kann.

Wenn das teurere Gerät ein besseres Sprachverstehen ermögliche, sei es von der Krankenkasse zu finanzieren, auch wenn es deutlich teurer sei als das Kassengerät.

Krankenkasse kann sich nicht auf das Gebot der Wirtschaftlichkeit berufen

Die Krankenkasse könne sich erst dann auf das Wirtschaftlichkeitsgebot - also die Anweisung des Gesetzgebers, möglichst kostengünstig zu wirtschaften - berufen, wenn der/die Versicherte die Wahl zwischen zwei gleichwertigen Hilfsmitteln habe.

Im Falle der Frau K sei aber durch die Gutachten eindeutig belegt, dass das von ihr bevorzugte Modell erheblich leistungsfähiger sei als das günstigere Modell.

Krankenkasse hat Fürsorge- und Beratungspflichten

Außerdem hatte, so das Landessozialgericht weiter, die Krankenkasse gegenüber Frau K eine Beratungspflicht. Sie hätte wirtschaftlichere, das heißt billigere Geräte vorschlagen können, mit denen Frau K. ebenso gut wie mit dem von ihr gewählten System versorgt werden könnte.

Wenn die Krankenkasse die Auswahl dem Hörgeräteakustiker überlasse, müsse sie sich das gefallen lassen und könne nicht auf die Festbetragsregelung verweisen.

Versorgung mit Hörgerät im Eilverfahren nur ausnahmsweise möglich

Eine Besonderheit in diesem Verfahren war, dass Frau K eine Versorgung mit den Hörgeräten im Wege der einstweiligen Anordnung erreichen konnte. Auch hier fand das Landessozialgericht klare Worte: Der Erlass einer einstweiligen Anordnung käme nur ausnahmsweise in Betracht, da über den Anspruch eigentlich im Hauptsacheverfahren entschieden werden müsse.

Es sei aber zu erwarten, dass Frau K. auch im Hauptsacheverfahren erfolgreich wäre. Die vom Landessozialgericht eingeholten Gutachten und medizinischen Stellungnahmen besagten ausdrücklich, dass Frau K. mit dem von ihr gewählten Hörgerätesystem ein weitaus besseres Sprachverstehen habe, als es mit dem von der Krankenkasse bevorzugten Kassenmodell gewesen wäre. In diesem Falle, so das Landessozialgericht, sei der Erlass einer einstweiligen Anordnung gerechtfertigt.

Ergebnis: Frau K konnte mithilfe der Kolleg*innen der DGB Rechtsschutz Berlin erreichen, dass die Krankenkasse die von ihr gewählten Hörgeräte bezahlen musste.

Hier geht es zu dem Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg 

Das sagen wir dazu:

Leider kommen Streitfälle wie dieser häufiger vor: Der/die Hörgeschädigte, der Hörhilfen benötigt, wird von seiner Krankenkasse beziehungsweise der Rentenversicherung auf ein sogenanntes Kassengerät verwiesen, das der Festbetragsregelung entspricht. Die Krankenkasse muss nur dann ein teureres Modell finanzieren, wenn es einen „erheblichen Gebrauchsvorteil“ aufweist.

Rechtsprechung ist nicht einheitlichWas darunter zu verstehen ist, ist umstritten

Auch die Sozialgerichte urteilen hier höchst unterschiedlich: Das eine Sozialgericht kann eine automatische Lautstärkeregelung im Hörgerät als heute üblichen Stand der Technik ansehen, auf den ein/e Versicherte/r Anspruch hat, ein anderes Gericht kann diese Funktion als reine Bequemlichkeit ansehen, die keinen wesentlichen Gebrauchsvorteil darstellt.Die Entscheidungen der Sozialgerichte geben also oft die subjektive Einstellung des jeweiligen Gerichts wieder. Dabei sind auch durchaus regionale Unterschiede festzustellen. Was in Berlin-Brandenburg als angemessenes Hilfsmittel angesehen wird, kann in Sachsen durchaus anders beurteilt werden.

Klare Vorgaben durch das Bundessozialgericht

Dabei sind die Vorgaben des Bundessozialgerichts nach seiner ständigen Rechtsprechung klar: Die Krankenkassen schulden nach den gesetzlichen Regelungen einen möglichst vollständigen Behinderungsausgleich. Dazu gehört bei hörgeschädigten Menschen auch das Hören und Verstehen in großen Räumen und bei störenden Umgebungsgeräusch. Dabei müssen die Krankenkassen ihnen die nach dem Stand der Hörgerätetechnik jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung stellen. Leider ist diese Botschaft noch nicht bei allen Sozialgerichten angekommen.

Rechtliche Grundlagen

SGB V

§ 33 Hilfsmittel
(1) Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Die Hilfsmittel müssen mindestens die im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 2 festgelegten Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte erfüllen, soweit sie im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 1 gelistet oder von den dort genannten Produktgruppen erfasst sind. Der Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich hängt bei stationärer Pflege nicht davon ab, in welchem Umfang eine Teilhabe am Leben der Gemeinschaft noch möglich ist; die Pflicht der stationären Pflegeeinrichtungen zur Vorhaltung von Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln, die für den üblichen Pflegebetrieb jeweils notwendig sind, bleibt hiervon unberührt. Für nicht durch Satz 1 ausgeschlossene Hilfsmittel bleibt § 92 Abs. 1 unberührt. Der Anspruch umfasst auch zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels zu erbringende, notwendige Leistungen wie die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen. Ein Anspruch besteht auch auf solche Hilfsmittel, die eine dritte Person durch einen Sicherheitsmechanismus vor Nadelstichverletzungen schützen, wenn der Versicherte selbst nicht zur Anwendung des Hilfsmittels in der Lage ist und es hierfür einer Tätigkeit der dritten Person bedarf, bei der durch mögliche Stichverletzungen eine Infektionsgefahr besteht oder angenommen werden kann. Zu diesen Tätigkeiten gehören insbesondere Blutentnahmen und Injektionen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in seiner Richtlinie nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 bis zum 31. Januar 2020 die Tätigkeiten, bei denen eine erhöhte Infektionsgefährdung angenommen werden kann. Wählen Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen. § 18 Absatz 6a des Elften Buches ist zu beachten.
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