Veranstaltung des DGB Rechtsschutzes
Campus Arbeitsrecht - Forum 1: Arbeitszeit im Gesundheitswesen
Das Forum 1 beschäftigte sich mit dem Themenkomplex „Arbeitszeit im Gesundheitswesen“. Unter der Moderation von Gert Groppel von der DGB Rechtsschutz GmbH referierten Prof. Dr. Jens Schubert, Prof. Dr. Felix Welti und Tobias Michel.
Das Forum 1 beschäftigte sich mit dem Themenkomplex „Arbeitszeit im Gesundheitswesen“. Unter der Moderation von Gert Groppel von der DGB Rechtsschutz GmbH referierten Prof. Dr. Jens Schubert, Prof. Dr. Felix Welti und Tobias Michel.
Anspruch und Wirklichkeit- Arbeitszeit im Gesundheitswesen
Besonders praxisrelevant ist das große Thema „Arbeitszeit“ im Bereich des Gesundheitswesens. In der Branche Gesundheitsversorgung und Pflege arbeiten über 10 % aller Beschäftigten in Deutschland und werden ca. 10 % des gesamten Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet.
Spezifische Probleme in dieser Branche sind die zum Teil überlangen Dienste vor allem in Krankenhäusern und die Schichtdienste sowie oftmals personelle Engpässe.
Die Gesundheitsbranche ist darüber hinaus gekennzeichnet durch teilweise nur geringe Tarifbindung. So sind beispielsweise in der ambulanten Pflege lediglich etwa 20 % der Betriebe an Tarifverträge gebunden.
Arbeitszeitrecht ist Gesundheitsschutz
Prof. Jens Schubert (ver.di) hat zunächst den Fachbereich 3 als größten ver.di-Fachbereich vorgestellt. Weit über 50 % der Beschäftigten in der Branche sind weiblich, was nach Einschätzung von Jens Schubert offenbar mit einer bestimmten Einstellung von Arbeitgebern verbunden ist: Es werde oft davon ausgegangen, dass die Beschäftigten im Wesentlichen intrinsisch motiviert sind, dass heißt, dass die Arbeit ausgeführt wird, ohne dass Druck oder Anreiz von außen erfolgen müssten. Es herrscht die Einstellung, „die (Pflegekraft) wird die Patient*innen schon nicht liegen lassen“.
Die Arbeitszeit im Gesundheitswesen ist geprägt durch die zahlreichen Ausnahmevorschriften und Tariföffnungsklauseln im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) – zum Beispiel die Verkürzung der Ruhezeiten (§ 5 ArbZG), die Verlängerung des Ausgleichszeitraums für die durchschnittliche Arbeitszeit und andere Öffnungsklauseln in § 7 ArbZG sowie die Ausnahmevorschriften zur Sonn- und Feiertagsarbeit.
Speziell in der Situation dieses Fachbereiches plädierte Jens Schubert für einen Nachhaltigkeitsansatz im Arbeitszeitrecht unter der Prämisse, dass es beim Arbeitszeitrecht in erster Linie um Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer*innen geht.
Sozialrecht beeinflusst den arbeitsrechtlichen Rahmen
Anschließend stellte Prof. Dr. Felix Welti den sozialrechtlichen Rahmen dar, der auch die Arbeitszeit im Gesundheitswesen stark beeinflusst.
Zunächst wies er hier auf die Doppelrolle der Gewerkschaften im Gesundheitswesen hin: Die Gewerkschaften sind sowohl die Interessenvertretung der Beschäftigen im Gesundheitswesen als auch Interessenvertretung aller (anderen) Beschäftigten in ihrer Rolle als Teil der Selbstverwaltung der Sozialversicherung.
Die finanziellen Mittel der Sozialversicherungsträger sind letztlich abhängig vom Arbeitseinkommen aller Beschäftigten. Somit hat die Relation zwischen Arbeitseinkommen und Kapital Einfluss auch auf die verfügbaren Mittel der Sozialversicherung.
Die Wirtschaftlichkeit ist ein allgemeiner Grundsatz im Sozialrecht (§ 68 SGB IV). Dieser sozialrechtliche Grundsatz der Wirtschaftlichkeit ist jedoch nicht mit betriebswirtschaftlicher „Wirtschaftlichkeit“ zu verwechseln. Das Sozialrecht ist hierbei geprägt durch
- Marktpreisbildung (vor allem im Bereich der Arzneimittel und sonstiger Sachleistungen),
- Festpreisentgelte (Fallpauschalen) und
- verhandelte Vergütungen (in der Regel für Pflege- und Rehaeinrichtungen und in der Behindertenhilfe) sowie
- Ausschreibungen
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind Arbeitsvergütungen, die durch Tarifverträge geregelt werden, grundsätzlich nicht als „unwirtschaftlich“ im sozialrechtlichen Sinne zu bewerten.
Insofern besteht im Gesundheitsbereich im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen immer ein direkter Zusammenhang sowie eine Wechselbeziehung zwischen Arbeitsrecht und Sozialrecht. Die arbeitsrechtlichen Bedingungen, insbesondere auch was die Arbeitszeit angeht, werden auch von sozialrechtlichen Vorgaben (Personalschlüssel / Fachkraftquote / Qualitätskontrolle durch den MDK) beeinflusst.
Der Realitäts-Check (oder -Schock)
Schließlich ging Tobias Michael (Autor der „Schichtplanfibel“) auf die Wirklichkeit der Arbeitszeit in der Gesundheitsbranche ein.
Die Souveränität der Arbeitszeit ist speziell im Krankenhaus klar hierarchisch gegliedert, von den Chefärzt*innen über das ärztliche Personal, das Pflegepersonal bis zu den Patient*innen.
Tobias Michael hob im Zusammenhang mit der Arbeitszeit vor allem die Rolle der Arbeitnehmervertretungen hervor. Obwohl die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung auch für die Dienstplangestaltung gilt, werde die Mitbestimmung bei der Dienstplanung in der Praxis lediglich in 20 – 30 % der Einrichtungen tatsächlich ausgeübt. Oft scheitere die Mitbestimmung bereits aus faktischen Gründen, weil die Betriebs- und Personalräte sich nicht in der Lage sähen, die Dienstplanerstellung zu prüfen und zu kontrollieren.
Das sei ein Grund dafür, dass von Arbeitgebern die Möglichkeiten des Arbeitszeitrechtes teilweise bis zur „Schmerzgrenze“ oder darüber hinaus ausgenutzt würden. So werde von Arbeitgeberseite vorgerechnet, dass gesetzlich eine Maximalfolge von 32 Beschäftigungstagen (inkl. Rufbereitschaft) zulässig ist, bevor ein einziger freier Tag eingeplant werden muss.
Auch die „Monstranz“ des ArbZG, der 8-Stunden-Tag, stelle im Krankenhaus reine Theorie dar.
Abschließend blieb das Fazit, dass der zum Teil schwache Organisationsgrad in Einrichtungen des Gesundheitswesens ein wesentlicher Grund dafür ist, dass Arbeitszeitsouveränität hier kaum zu gewährleisten ist. Nachhaltige im Sinne gesundheitsverträglicher Arbeitszeiten im Gesundheitsbereich können nur durch kollektivrechtliche Regelungen durchgesetzt und gesichert werden.
Für die anschließende Diskussion unter Moderation von Gerd Groppel (DGB Rechtsschutz GmbH) blieb leider nur wenig Zeit, trotzdem konnten noch mehrere Fragen aus der Praxis, die den Teilnehmer*innen unter den Nägeln brannten, besprochen und beantwortet werden.
Lesetip für die Praxis (umfassend und trotzdem verständlich und praxisorientiert):
Die Schichtplanfibel beantwortet die wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit Schichtarbeit