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Heute vor 80 Jahren: Reichspogromnacht

Die Nationalsozialisten inszenierten 1938 die die sogenannten „Novemberpogrome“ gegen jüdische Mitmenschen. Am 09. November 1938 erreichte die menschenverachtende Hetze in der „Reichspogromnacht“ ihren Höhepunkt. Tausende jüdische Geschäfte wurden geplündert, unzählige Synagogen in Brand gesetzt. Etwa 100 Menschen jüdischen Glaubens ermordeten die Nazis allein an diesem Tag.

Jede Form von Rassismus verstößt gegen die Würde des Menschen. Copyright by Frank Ott - DGB Rechtsschutz GmbH
Jede Form von Rassismus verstößt gegen die Würde des Menschen. Copyright by Frank Ott - DGB Rechtsschutz GmbH

Am 07. November 1938 verübte der polnische Jugendliche Herschel Grynszpan in Paris einen Anschlag auf einen deutschen Botschaftsangestellten. Die Beweggründe für die Tat wurden nie aufgeklärt. Ein ursprünglich angedachter Prozess wurde nie durchgeführt. Herschel Grynszpan verbrachte man ohne Anklage und Urteil in ein Konzentrationslager, wo er höchstwahrscheinlich verstarb. Zwar hatte der Täter bei der ersten Vernehmung angegeben, er habe eigentlich den Botschafter wegen der Deportation der Eltern des Jugendlichen erschießen wollen. Wirkliche politische Motive ließen sich bei den Ermittlungen aber nicht finden. Nachdem sich der Verdacht erhärtete, es könne sich in Wahrheit um eine Beziehungstat handeln, ließen die Ermittlungsbehörden vorsorglich die Finger von einer Anklage.

Kein Volkszorn, sondern organisierter Terror

Den Tod des Angestellten am 09.11.1938 nutzten die Nationalsozialisten gleichwohl als „Beweis“ für die „Verschwörung des Weltjudentums gegen das deutsche Volk“. Bereits am Tag nach dem Attentat, ereifert sich die Parteizeitung der NSDAP, der "Völkische Beobachter" darüber, dass in Deutschland "Hunderttausende von Juden noch ganze Ladenstraßen beherrschen". Als der Tod des Botschaftsangehörigen am Abend des 09.November 1938 bekannt gegeben wurde, erklärte Propagandaminister Goebbels in einer Rede, wenn jetzt spontane Ausschreitungen gegen Juden entstünden, sei ihnen nicht entgegen zu treten.
 
Die massiven Ausschreitungen in der Reichspogromnacht waren aber alles andere als der Ausdruck spontanen Volkszorns. Belegt sind Befehle von Goebbels an die SA und die Gestapo, dass sämtliche jüdische Geschäfte sofort von SA-Männern in Uniform zu zerstören seien. Jüdische Synagogen seien sofort in Brand zu stecken, jüdische Symbole sicherzustellen. Und tatsächlich handelte es sich um von der SA geplante und durchgeführte Gräueltaten. Die Polizei griff nicht ein. Die Feuerwehren schützten nur die in Nachbarschaft der Synagogen und Geschäftshäuser jüdischer Kaufleute stehenden Gebäude.
 

Der Terror des nationalsozialistischen Staates zielte auf die Vernichtung von „Minderheiten“

Es blieb aber nicht bei den brutalen Übergriffen vom 09. November 1938. Viele Tote gab es in den folgenden Tagen. Mehr als 30.000 jüdische Männer verhafteten die Nazi-Schergen und verschleppen sie in Konzentrationslager. Die Reichsregierung gab indessen „den Juden“ die Schuld an den Zerstörungen. Es wurde ihnen eine „Sühneleistung“ von 1 Mrd. Reichsmark (nach heutigem Wert etwa 4 Mrd. €) auferlegt. Die Schäden an ihrem Eigentum mussten die betroffenen Juden auf eigene Kosten selbst beseitigen. Zudem wurde bestimmt, dass sämtliche Leistungen von Versicherungen an das Deutsche Reich abgeführt werden müssen.
 
Mit den organisierten Gewaltexzessen gegen Juden begann entfaltete sich der Naziterror mit aller Macht. Dieser richtete sich gegen alle, die die Nationalsozialisten für „unwert“ oder „schädlich“ für den „Volkskörper“ hielten und die es zu vernichten galt. Hierzu gehörten neben Juden psychisch kranke Menschen, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Behinderte oder Menschen slawischer Herkunft, um nur einige zu nennen.
 
Viele dieser Menschen wurden in den Vernichtungslagern bestialisch gequält und umgebracht. Der zweite Weltkrieg wurde im Osten auch von der deutschen Wehrmacht als Vernichtungskrieg geführt. Angehörige der in den besetzten Länder wohnenden slawischen Völker waren für die deutsche Propaganda „Untermenschen", die zu versklaven oder gleich umzubringen waren.
 

Rassistisch und antisemitisch war die Politik der Nazis von Beginn an

Die Nationalsozialisten herrschten in Deutschland seit Januar 1933. In atemberaubendem Tempo errichteten sie eine faschistische Diktatur. Alle Parteien bis auf die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) wurden verboten. Auch die Gewerkschaften zerschlugen die Faschisten bereits am 02.Mai 1933 und errichteten stattdessen die Deutsche Arbeitsfront (DAF), eine ständische Vertretung von Arbeiter, Angestellten und Unternehmern. Die DAF hatte wegen ihrer Größe zwar einen gewissen Einfluss. Eine echte Vertretung der abhängig Beschäftigten war sie aber nicht. Ihre eigentliche Aufgabe war es, die Interessengegensätze zwischen Kapital und Arbeit zu verschleiern. Oder, wie die Nazis es ausdrückten: sie diene der "Bildung einer wirklichen Volks- und Leistungsgemeinschaft, die dem Klassenkampfgedanken abgeschworen hat".
 
Bereits im ersten halben Jahr ihrer Herrschaft war es den Nazis somit gelungen, jede relevante gesellschaftliche Organisation auszuschalten, die eine nennenswerte Opposition hätte darstellen können. Der von den Nazis propagierten  „Volksgemeinschaft“ lag die Vorstellung zugrunde, es gebe innerhalb eines Volkes keine Interessengegensätze, insbesondere keine zwischen Kapital und Arbeit. Das deutsche Volk bilde vielmehr eine „Schicksalsgemeinschaft“, die als „reinste Ausprägung der arischen Herrenrasse“ dazu berufen sei, andere Völker zu unterwerfen.
 

Von Beginn ihrer Herrschaft an terrorisierten die Nazis jüdische Mitbürger

Die Ideologie der Faschisten ging davon aus, dass sich Menschen bestimmten Rassen zuordnen ließen und dass sich man aus dieser Zuordnung auf Charaktereigenschaften und Fähigkeiten schließen könne. Für diese Annahme gab es zwar zu keiner Zeit auch nur wirkliche Anhaltspunkte. Die Auffassung war aber seinerzeit seit dem 19. Jahrhundert weit verbreitet. Inzwischen ist bereits die Grundannahme, es gebe unterschiedliche Menschenrassen, widerlegt.
 
Die Deutungshoheit darüber, wer zum deutschen Volk gehört, behielten sich die Nazis freilich selbst vor. Nach ihrer Auffassung gab es so etwas wie „deutsches Blut“. Es sei existenziell, dass dieses Blut von schädlichen Einflüssen rein gehalten werde. Menschen jüdischen Glaubens seien keine Angehörigen des deutschen Volkes. Sie seien vielmehr „Volksschädlinge“, die sich nicht mit Deutschen vermischen dürften.
 
Von Anfang ihrer Herrschaft an verübten die nationalsozialistischen Terrorbanden  Anschläge gegen jüdische Menschen und Einrichtungen. Bereits im März 1933 fand die erste gezielte und organisierte antisemitische Aktion statt: ein von der Reichsregierung inszenierten Boykott jüdischer Geschäfte.
 

Die Nürnberger Gesetze schlossen Juden rechtlich aus der Gesellschaft aus

Die Reichsregierung verkündete im September 1935 drei Gesetze, die sich gezielt gegen die Teilhabe von Menschen richteten, die jüdischen Glaubens waren oder in deren Familien es Juden gegeben hatte. Im Blutschutzgesetz wurde die Eheschließung sowie der außereheliche Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Nichtjuden verboten. Es wurde der Straftatbestand der „Rassenschande“ eingeführt. Wer insoweit straffällig wurde, hatte mit Gefängnis oder sogar Zuchthaus zu rechnen. Das Reichsbürgergesetz teilte die Bürger des deutschen Staates in Reichsbürger und bloße Staatsangehörige ein. Reichsbürger, die allein die vollen staatsbürgerlichen Rechte besaßen, konnten  nach dem Gesetz nur „Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes“ werden. Schließlich wurde noch ein Reichsflaggengesetz verkündet.
 
Diese drei „Nürnberger Gesetze“ waren Grundlage vieler Verordnungen, die nach und nach jüdische Mitbürger von der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ausschloss. Es gab sogar eine Verordnung, nach der Juden automatisch ihre Staatsangehörigkeit verloren, wenn sie ins Ausland reisten. Besonders zynisch war, dass damit alle Juden ihre ohnehin schon spärlichen Rechte verloren, wenn sie zwangsweise ins Ausland deportiert wurden.
 
Auch vor Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze waren Juden zahlreichen Schikanen und Übergriffen ausgesetzt. Bereits ab März 1933 wurden viele Berufsverbote verhängt, die etwa jüdische Ärzte, Rechtsanwälte und Apotheker verdrängten. Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums ermöglichte die Entlassung von Menschen jüdischen Glaubens aus dem Staatsdienst. Hinzu kommen zahlreiche gewaltsame Exzesse und Boykottaufrufe gegen jüdische Geschäfte und Einzelpersonen, die auch nach damaligen Recht strafbar waren, die freilich aber nicht verfolgt wurden.

Es gibt keine menschlichen „Rassen“!

Der 09. November 1938 war ein Wendepunkt in der „Judenpolitik“ der Nationalsozialisten. Ihre bis dato ohnehin schon rassistische und menschenverachtende Politik radikalisierte sich. Organisierter Staatsterror zielte auf die vollständige Vernichtung aller Menschen, die nach Auffassung der Nazis als „Untermenschen“ schädlich für „das Volk“ waren und somit keine Lebensberechtigung hätten.
 
Die Wurzeln dieser Terrorpolitik finden sich im 19. Jahrhundert, als man begann, Menschen in Rassen einzuteilen. In der Biologie ist längst widerlegt, dass es menschliche Rassen gibt. Auch sozialwissenschaftlich verfolgt eine Einteilung der Menschen in unterschiedliche „Ethnien“, wie es modern heißt, überhaupt nur einen Zweck. Sie dient ausschließlich dazu, Menschen von der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen auszuschließen. Eine Politik, die im Holocaust enden kann, beginnt bereits dann, wenn sie Menschen die Teilhabe an der Gesellschaft aus Angst vor „Überfremdung“ verweigert!
 

Dietmar Christians, Rechtsschutzsekretär und Online-Redakteur, DGB Rechtsschutz GmbH,Hauptverwaltung - Frankfurt am Main
Autor*in:
Dietmar Christians
Online-Redakteur (ehemals Rechtsschutzsekretär)
Onlineredaktion - Hauptverwaltung - Frankfurt am Main