In seinem Urteil vom 4. August 2015 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) die so genannte „Spätehenklausel“ für unwirksam erklärt, nach der Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung für Witwen/Witwer ausgeschlossen sind, wenn die/der  versorgungsberechtigte Mitarbeiter*in die Ehe nicht vor der Vollendung seines 60. Lebensjahres geschlossen hat

Witwe streitet um Anspruch auf Betriebsrente

Die Klägerin war die Witwe eines im April 1947 geborenen und im Dezember 2010 verstorbenen ehemaligen Mitarbeiters der Beklagten. Diesem waren Leistungen der betrieblichen Altersversorgung einschließlich einer Witwenversorgung zugesagt worden. 

Die maßgebliche Pensionsregelung enthielt eine „Spätehenklausel“, nach der zusätzliche Voraussetzung für die Zahlung der Witwen-/Witwerrente ist, dass der versorgungsberechtigte Mitarbeiter die Ehe vor der Vollendung seines 60. Lebensjahres geschlossen hat. 

Diese Voraussetzung erfüllte der verstorbene Ehemann der Klägerin nicht: Die Ehe war erst am 8. August 2008 geschlossen worden, zu diesem Zeitpunkt war er bereits 61 Jahre alt. Die Beklagte weigerte sich deshalb, eine Witwenrente an die Klägerin zu zahlen. 

BAG erklärt Klausel für unwirksam

Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte jetzt vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die „Spätehenklausel“ ist unwirksam, weil  der verstorbene Ehemann der Klägerin durch diese Klausel unmittelbar wegen des Alters benachteiligt wurde.

Die Benachteiligung sei auch nicht gerechtfertigt gewesen. Das Gesetz die Festlegung von Altersgrenzen und damit eine Ungleichbehandlung in Einzelfällen zu. So auch bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit.

Diese Regelung erfasst, soweit es um Altersgrenzen als Voraussetzung für den Bezug von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung geht, jedoch nur die Alters- und Invaliditätsversorgung, nicht jedoch die Hinterbliebenenversorgung und damit auch nicht die Witwen-/Witwerversorgung.

Da die „Spätehenklausel“ zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der versorgungsberechtigten Arbeitnehmer führte, sei diese unwirksam, die Klägerin hat Anspruch auf die Witwenrente. 

Anmerkung: Absehbar

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts überrascht nicht, steht es doch in einer Reihe von Urteilen, die Ungleichbehandlungen streng beschränkt. Zwar lässt das AGG Ausnahmen zu, das BAG hat hier aber zu Recht festgestellt, dass eine solche nicht vorliegt.

Der Hintergrund der gesetzlichen Regelung ist, dass man den Zugang zum Beispiel zur Betriebsrente nicht unbegrenzt möglich sein soll, sondern bei Mitarbeitern, die erst in einem gewissen Alter in den Betrieb und dessen Versorgungssysteme einsteigen, dies aus ökonomischen Gründen nicht mehr möglich sein soll.

Dies ist bei der Hinterbliebenenversorgung gerade nicht der Fall. Diese knüpft nur an den Status als Witwe/Witwer an und nicht an Betriebszugehörigkeit. Für den Arbeitgeber kann es egal sein, ob die Ehe lang oder kurz bestanden hat. Er hat insoweit kein schutzwürdiges Interesse. 

Schließt der Arbeitnehmer allerdings erst nach Erhalt seines betrieblichen Ruhegeldes die Ehe, können Versorgungsvorschriften die Zahlung einer späteren Witwen- und Witwerrente ausschließen, heißt es in einem weiteren BAG-Urteil vom 15. Oktober 2013 (Az.: 3 AZR 707/11).

Die Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts zur Entscheidung des Bundesarbeitsgericht können sie hier nachlesen

Im Praxistipp § 10 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Rechtliche Grundlagen

§ 10 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) - Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters

§ 10 AGG Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters

Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein. Derartige unterschiedliche Behandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:
1.
die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlohnung und Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Beschäftigten und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen,
2.
die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile,
3.
die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung auf Grund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder auf Grund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand,
4.
die Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen von Beschäftigten und die Verwendung von Alterskriterien im Rahmen dieser Systeme für versicherungsmathematische Berechnungen,
5.
eine Vereinbarung, die die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der oder die Beschäftigte eine Rente wegen Alters beantragen kann; § 41 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch bleibt unberührt,
6.
Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes, wenn die Parteien eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung geschaffen haben, in der die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt worden sind, oder Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen haben, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind.