Das Arbeitsgericht Weiden hat die Klage eines Arbeitgebers abgewiesen, der seinen Arbeitnehmer auf Schadensersatz in Höhe von 481.558,11 € verklagt hatte. Das Gericht überzeugte die Argumentation des Arbeitgebers nicht.
Schäden durch Überschreitungen der Toleranzwerte
Der beklagte Mitarbeiter ist Mitglied der IG Metall und war bei der Klägerin, einer Produzentin von Aggregateträgern als Qualitätsmanager beschäftigt, das Arbeitsverhältnis war aufgrund der Kündigung des Mitarbeiters am 28.02.2014 beendet worden.
Im Rahmen seiner Tätigkeit hatte der Mitarbeiter einen Prüfplan für die Produktion von Aggregateträgern erstellt. Zur Überprüfung der Messgenauigkeit wurde eine stationäre 3D-Messmaschiene eingesetzt. Außerdem wurden manuelle Messungen durchgeführt.
In der Folge kam es zu Maßabweichungen außerhalb der Toleranzwerte. Der Arbeitgeber machte hierfür den Mitarbeiter verantwortlich und verklagte ihn auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 481.558,11 €. Es sei seine Aufgabe gewesen, die Einhaltung der Messgenauigkeit zu überprüfen.
Schuldet der Arbeitnehmer Schadensersatz?
Der beklagte Arbeitnehmer habe gegen seine Pflichten verstoßen, indem er die Messungen nicht überwacht und die Produktion trotz der ihm bekannten Abweichungen nicht gestoppt habe. Er habe deshalb grob fahrlässig, wenn nicht sogar bedingt vorsätzlich gehandelt. Ihm hätte klar sein müssen, dass der Kunde die erheblichen Abweichungen nicht tolerieren würde.
Er habe auch keinerlei Gegenmaßnahmen getroffen, um die fehlerhafte Produktion zu beheben, sondern alle Anzeichen und Hinweise ignoriert.
Durch die Fehlleistung des Beklagten sei dem Unternehmen ein Verkaufspreis von 125.147,44 € entgangen, hinzu kämen Sortier- und Transportkosten sowie ein entgangener Folgeauftrag über 375.180 €.
Arbeitsgericht: Schadensersatz nicht plausibel
Das Arbeitsgericht Weiden hat wegen des Geschehensablaufs und der vom Arbeitnehmer bestrittenen Verantwortlichkeit zwei Zeugen vernommen, deren eidesstattliche Versicherungen die Klägerin dem Gericht vorgelegt hatte.
Das Gericht war daraufhin weder davon überzeugt, dass der Beklagte für die Überwachung der Produktqualität verantwortlich war, noch dass er entgegen eindeutiger Hinweise notwendige Gegenmaßnahmen unterlassen habe. Der Schadensersatzanspruch wurde daher abgelehnt.
Auf Hinweis der Prozessvertreterin des beklagten Arbeitnehmers, Monika Schober aus dem DGB-Rechtsschutz Büro in Weiden, kam das Gericht zu der Einsicht, dass die Klägerin sich in ihrem Sachvortrag nicht schlüssig verhalten hatte.
Arbeitgeber ändert Vorwurf
Der Hauptvorwurf an den beklagten Arbeitnehmer, er habe die Hinweise der Laufkontrolle auf fehlerhafte Bohrungen wider besseres Wissen freigegeben, war in der Klageschrift nicht einmal erwähnt worden.
Hauptvorwurf in der Klageschrift war noch gewesen, dass der beklagte Arbeitnehmer die maschinellen Messprotokolle erstellt und auf seiner Festplatte abgespeichert habe, ohne Abhilfemaßnahmen zu ergreifen. Diese Behauptung wurde jedoch fallen gelassen, nachdem der Beklagte mitgeteilt hatte, er könne die betreffende Maschine überhaupt nicht bedienen. Das Gericht sah darin eine Änderung des Sachvortrags im Kernbereich.
Wieder andere Ausführungen der Klägerin wertete das Gericht als zu pauschal, so dass auch die nicht geeignet waren, einen Schadensersatzanspruch zu stützen.
Für die Prozessbevollmächtigte Schober ein klares Zeichen: „Nachdem ein Schaden in der Produktion entstanden ist, brauchte man dafür einen Sündenbock. Mein Mandant sollte für den Schaden an den Pranger gestellt werden.“
Zeugenaussagen zerbröseln
Auch die Aussagen der Zeugen waren nach der Befragung durch das Gericht und die Prozessbevollmächtigte Schober nicht mehr so eindeutig, wie dies anfangs schien.
Hatte eine Zeugin noch an Eides statt erklärt, der Beklagte habe ihr gegenüber erklärt, man könne trotz Messungenauigkeit so weiterarbeiten, so musste sie auf Befragen einräumen, dass dies nicht der Fall war. Sie war nur davon ausgegangen, dass der Beklagte dies einem anderen Mitarbeiter gegenüber geäußert habe.
Auch fiel dem Gericht ins Auge, dass die eidesstattlichen Versicherungen sowohl textlich, als auch optisch sehr ähnlich waren, was ein Indiz dafür ist, dass es sich um abgesprochene Aussagen handelt.
Auch der andere Zeuge überzeugte das Gericht nicht. Dieser sei in sich widersprüchlich gewesen, er habe nicht aus eigenem Erleben geschildert, sondern von der Üblichkeit auf die Gegebenheit geschlossen.
IG Metall Mitglied muss nicht zahlen
Auch wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, dürfte dem Industriemeister ein großer Stein vom Herzen gefallen sein. Denn er muss den geltend gemachten Schaden nicht zahlen. Wichtig hierfür war, dass sich seine Prozessvertreterin intensiv mit den Behauptungen der Arbeitgeberin auseinandergesetzt hat.
Monika Schober betont: „Es lohnt sich insbesondere bei langer Prozessdauer und mehreren Schriftsätzen, den Vortrag der Gegenseite genau zu analysieren und auch auf kleine Ungereimtheiten und Widersprüche hinzuweisen.“ Dies gelte auch für die informatorische Befragung der Gegenseite, die in das Protokoll aufgenommen werden. Auch hier ist entscheidend, dass die Aussagen vollständig und richtig dokumentiert sind. Dazu Monika Schober:„Keine Scheu vor einer Protokollrüge.“
Selbst bei Vorlage von zunächst sehr belastenden eidesstattlichen Versicherungen ist nach Schobers Erfahrung noch nicht alles verloren: „Zum einen kann man versuchen, mit Hinweis auf einen Ausforschungsbeweis, die Einvernahme des Zeugen zu verhindern. Aber auch die Zeugeneinvernahme selbst kann durch eine entsprechende Befragung und Hinweise an das Gericht auf die Art und Weise, wie der Zeuge die Fragen beantwortet hat, ein neues Bild ergeben. So kann zum Beispiel auch die Frage, wie eine eidesstattliche Versicherung zustande kam, positives für uns erbringen.“
Bloß weil ein Zeuge etwas aussagt, muss es noch lange nicht wahr sein. Der Bundesgerichtshof geht sogar vom Gegenteil aus: Jede Aussage gilt so lange als unwahr, bis diese Vermutung sich angesichts der Zahl und Qualität der Realitätskriterien in der Aussage nicht mehr aufrechterhalten lässt (sogenannte Nullhypothese, Beschluss vom 30.Juli 1999 – 1 StR 618/98).
Anmerkung: Warum sich die Gewerkschaftsmitgliedschaft lohnt
Ein erfreulicher Ausgang eines leidigen Verfahrens. Es scheint ein tief sitzendes menschliches Bedürfnis zu sein, für ein Unglück jemanden verantwortlich machen zu können – den sprichwörtlichen Sündenbock. So scheint es hier gewesen zu sein und es ist beruhigend, dass diese Rechnung des Arbeitgebers nicht aufgegangen ist.
Für einen anwaltlich vertretenen Arbeitnehmer wäre das „dicke Ende“ aber nun dennoch gekommen: Nach dem Arbeitsgerichtsgesetz trägt jede Partei die Kosten für die Rechtsvertretung selbst, unabhängig vom Ausgang des Prozesses.
Einerseits reduziert dies das Risiko des Arbeitnehmers, denn auch wenn er verliert muss er nicht fürchten, den Rechtsanwalt des Arbeitgebers bezahlen zu müssen. Er bleibt aber in jedem Fall auf seinen eigenen Kosten sitzen.
Und das kann in einem solchen Fall beträchtlich sein. Bei grober Schätzung müsste der beklagte Arbeitnehmer hier fast 10.000 € Anwaltskosten zahlen. Eine stolze Summe, zumal wenn man im Recht ist.
Diese Kosten sind für Gewerkschaftsmitglieder bereits im Beitrag enthalten, so dass man gut geschützt ist, wenn der eigene Arbeitgeber einen zum Sündenbock machen will.
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