Bundesarbeitsminister Heil hat jetzt Eckpunkte mit konkreten Vorschlägen für faire Arbeit in einer starken Plattformökonomie vorgelegt. Copyright by BMAS
Bundesarbeitsminister Heil hat jetzt Eckpunkte mit konkreten Vorschlägen für faire Arbeit in einer starken Plattformökonomie vorgelegt. Copyright by BMAS

Uber, Airbnb, Amazone, Liferando, Deliveroo: digitale Marktplätze bilden ein Geschäftsmodell ab, das für Viele die Zukunft der Wirtschaft repräsentiert. Fast enthusiastisch stellen Fürsprecher dieser Form der Wirtschaft deren Vorteile dar. Wer über die Plattformökonomie Waren und Dienstleistungen anbietet, hat geringere Kosten als der der stationäre Anbieter. Auf der anderen Seite können Kund*innen bequem von zu Hause aus zwischen Angeboten wählen.

Von „disruptiven Geschäftsmodellen“ ist insoweit die Rede, also von zerstörerischen Modellen. Als disruptiv versteht sich die Plattformökonomie, weil sie alte Geschäftsmodelle gleichsam zerstört und neue an deren Stelle setzt. In der Tat sind die Folgen digitaler Märkte heute schon spürbar, insbesondere in den Innenstädten.


Crowdwork ist Know-How zu Schleuderpreisen

Plattformökonomie betrifft aber nicht nur den Handel. Grob unterscheiden kann man hier drei Bereiche:

  • Transaktions-Plattformen. Hier geht es darum, Produkte zu vertreiben oder in `Internet of-Things-Plattformen` digitale Dienstleistungen in der Produktion anzubieten. Diese Plattformen werden auch als "multi-sided market" bezeichnet, übersetzt also etwa als „vielseitiger Markt“. Eine Unterart der Transaktions-Plattformen ist die "sharing economy". Hier geht es darum, gemeinsam Ressourcen zu nutzen.
  • Innovations-Plattformen. Hier geht es vor allem um Kommunikation und um den Austausch von Ideen. Es wird hier nicht an konkrete Projekte gearbeitet. Sie soll vielmehr ein „Ort der Kreativität“ sein.
  • Integrations-Plattformen. Diese stellen so etwas wie eine Kombination aus den beiden anderen dar.

Eine besondere Ausprägung von "sharing economy" stellt dabei „Cloudwork“ und „Crowdwork“ dar. Was hier geteilt wird, ist nichts Geringeres als Know How. Eine Internet-Plattform vermittelt Arbeitsprozesse eines Unternehmens einmalig an einen externen Dienstleister. Das bietet ungeahnte Möglichkeiten für Unternehmen, auf das kreative Potential vieler Menschen zuzugreifen und dabei noch in großem Umfang Kosten einzusparen.


Viele Kreative beteiligen sich, ohne dass sie dafür Geld bekommen.

Der Trick ist, über Onlineplattformen Kreativwettbewerbe anzubieten und dann das passende Ergebnis auszusuchen.  Unternehmen ersparen sich so teure Kreativ- und Entwicklungsabteilungen. Viele Kreative beteiligen sich, ohne dass sie dafür Geld bekommen. Denn der Auftraggeber entscheidet schließlich, welches Angebot er annimmt und bezahlt.
Internetplattformen können als Crowdwork aber auch einzelne Dienstleistungen vermitteln, etwa Personenbeförderungen, Lieferdienste und Reinigungsaufgaben. Häufig agieren die Auftragnehmer dann als Solo-Selbstständige. Der Plattform-Dienst will nicht die Pflichten eines Arbeitgebers übernehmen und schon gar nicht für irgendetwas haften. Diese Tätigkeit wird häufig als „Work on Demand“ oder als „Gigwork“ bezeichnet.

Das nächste Stichwort ist „Crowdfunding“, auf Deutsch also etwa „Schwarmfinanzierung“. Internetnutzer werden für stille Beteiligungen oder partiarische Darlehen gewonnen. Auf diesem Weg wird Geschäftskapital einfach und unbürokratisch vermehrt.


Es geht letztlich um Kapitalverwertung

Was über all dem schwebt, ist ein Geschäftsmodell, bei dem es darum geht, mit möglichst wenig Einsatz an Mitteln einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen. Philosophisch betrachtet, geht es bei der Plattformökonomie also gar nicht um etwas grundsätzlich Neues.
Die Geschichte des Kapitalismus war stets eine Geschichte von immer neuen Möglichkeiten, Kapital zu verwerten. Zu seinem Erfolg gehören Entwicklungsschübe auch bei der Technik. Für Karl Marx etwa hat die dynamische Entwicklung von Märkten und Technik erst die Bourgeoisie als Klasse hervorgebracht.

Zu Recht bezeichnen wir die Digitalisierung deshalb als Industrie 4.0.  Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel, das wussten bereits Marx und Engels: „Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen“, so beschrieben sie den Prozess im „Kommunistischen Manifest“.
Wer mag, kann das vertiefen bei der Lektüre unseres Artikels: „Karl Marx zum 200. Geburtstag“


Eine wirkliche Revolution ist das alles nicht

„Um den Erdball jagen“ geht heute mittels Internet und digitaler Medien einfach und kostengünstig. Was Marx und Engels indessen meinten, war das Bestreben des bürgerlichen Marktteilnehmers, mit allen Mitteln der Erste zu sein und der Konkurrenz davonzueilen. Nicht, weil man den sportlichen Wettbewerb liebt, sondern um am Markt überhaupt zu „überleben“.
Entscheidend ist, dass Plattformökonomie keine Revolution darstellt, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass sie an den Herrschaftsverhältnissen etwas ändert.

Und sie wird nichts daran ändern, dass die breite Masse ihre Existenz durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft sichern muss. Auf der anderen Seite lauern aber erhebliche Gefahren.
Die Gesetze des Kapitalismus erzwingen eine Tendenz zur Verelendung derjenigen, die nur durch ihre Arbeitskraft überleben können. Das haben bereits englische Nationalökonomen wie David Riccardo im 19. Jahrhundert erkannt. Die stetige Abnahme von Profitraten machen den Anteil, den Unternehmer an Arbeiter*innen zahlen können, immer kleiner. Letztlich wird  - nach Riccardo  - der Arbeitgeber nur gezwungen sein, Löhne in Höhe des Existenzminimums zu zahlen.


Nur starke Gewerkschaften und ein starkes Arbeitsrecht wirken der Verelendung entgegen

Was dagegen gewirkt hat, waren insbesondere die Gewerkschaften. Nur die Solidarität der abhängig Beschäftigten hat letztlich einen Sozialstaat erzwungen, in dem Gewerkschaften zu einem erheblichen Teil die Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt die Einkünfte der Beschäftigten mitbestimmen. Und in dem abhängig Beschäftigte über einklagbare Rechte verfügen und in dem Arbeitgebern Pflichten auferlegt werden, die Gesundheit und Wohlstand ihrer Beschäftigten sichern sollen.

Indessen ist der Sozialstaat zu keiner Zeit unumstritten gewesen. Demokraten, die sich selbst als „Freie“ bezeichnen, waren in unserem Land schon immer der Auffassung, dass Arbeitnehmer*innen ein zu großes Stück vom Kuchen „Profitrate“ abbekommen.


Plattformökonomien dürfen nicht dazu führen, dass der Sozialstaat seine Kraft verliert

Und jetzt erhebt mit der Plattformökonomie eine Medusa ihr fürchterliches Haupt, die für die Apologeten einer wirklich freien Marktwirtschaft willkommen sein dürfte. Um nicht missverstanden zu werden: es geht hier nicht darum, grundsätzlich gegen technische Erneuerungen zu sein. Auch neue Geschäftsmodelle will der Autor nicht gänzlich verdammen.

Das Geschäftsmodell darf aber nicht dazu führen, dass das Korrektiv „Sozialstaat“ seine Kraft verliert und letztlich nur noch Marktgesetze bestimmen. Unternehmerische Risiken dürfen nicht auf den „Arbeitnehmer“ abgewälzt werden. Die „Arbeitgeber“ dürfen weder Sozialversicherungsschutz, Mindestlohn, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaubsansprüche unterlaufen.
Aber genau das passiert in der Praxis. Auch die Regelungen des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) finden oft in Rechtsbeziehungen zwischen Plattformbetreibern und deren Beschäftigten keine Anwendung.


Die Gesetzgebung zum Schutz der arbeitenden Menschen läuft entlang der physischen Gegebenheiten der Industrialisierung

So stellt die Forschungsstelle „Arbeit der Zukunft“ im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung in einem „Working Paper“ vom Februar 2019 fest, dass unser Verständnis von Arbeit ist stark durch die Industrialisierung geprägt ist.  Die Gesetzgebung zum Schutz der arbeitenden Menschen liefe demzufolge entlang der physischen Gegebenheiten der Industrialisierung: Unternehmen, Betrieb, Arbeitsstätte, Organisation durch Weisung, Arbeitszeit u.s.w.
Plattformen seien auf diese Orte und diese Arbeitsorganisation kaum angewiesen, weshalb sie sich dem Arbeitsrecht entziehen könnten. Das Arbeitsrecht verliere damit seine Tatbestandsvoraussetzungen. Wenn diese fehlten, würden die Rechtsfolgen des Arbeitsrechts gar nicht erst ausgelöst.


Das heutige Arbeits- und Sozialrecht passt nur bedingt

Das Kündigungsschutzgesetz findet etwa in „Betrieben“ Anwendung, ebenso das Betriebsverfassungsgesetz. Die klassische Definition eines Betriebes als örtliche, technische und organisatorische Einheit zum Zwecke der Erstellung von Gütern und Dienstleistungen greift bei Plattformökonomien nicht.
Auch sozialrechtlich gibt es einige Probleme. Sozialversicherungspflichtig sind nach dem 4. Sozialgesetzbuch (SGB IV) vor allem Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Insbesondere beim Crowd- oder Cloudworking trifft diese Definition nicht so ganz.


Das Arbeitsministerium will die Rechte von Plattformtätigen gegenüber Arbeitsplattformen stärken

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat am 27. November 2020 Eckpunkte mit konkreten Vorschlägen für faire Arbeit in der Plattformökonomie vorgelegt. Eine Reihe von Maßnahmen sollen die Rechte von Plattformtätigen gegenüber Arbeitsplattformen stärken und für faire Bedingungen und mehr sozialen Schutz sorgen.

„Wir werden nicht zulassen, dass die Rechte von online-vermittelten Beschäftigten unter die Räder kommen, so wie wir das derzeit in den USA beobachten. Digitalisierung darf nicht mit Ausbeutung verwechselt werden. Allein auf die Selbstregulierung der Unternehmen zu setzen, wird nicht reichen. Hier sind wir als Gesetzgeber gefragt. Daher machen wir heute sehr konkrete Vorschläge, wie Schutzrechte gestärkt und faire Arbeitsbedingungen geschaffen werden können. Das heißt für mich auch, dass wir die gute Tradition der Sozialpartnerschaft auch in der digitalen Wirtschaft stärken. Denn sie ist zentraler Baustein unserer sozialen Marktwirtschaft. Wir können nicht hinnehmen, dass Plattformen hier einseitig die Bedingungen vorgeben.“, so der Bundesarbeitsminister.


Der Arbeitsminister legt Eckpunkte vor

Im Einzelnen geht es um folgende Maßnahmen:

  • solo-selbstständige Plattformtätige in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen und die Plattformen an der Beitragszahlung beteiligen;
  • prüfen, wie die Absicherung in der Unfallversicherung verbessert werden kann;
  • für solo-selbstständige Plattformtätige die Möglichkeit eröffnen, sich zu organisieren und gemeinsam grundlegende Bedingungen ihrer Tätigkeit mit den Plattformen auszuhandeln;
  • eine Beweisverlagerung bei Prozessen zur Klärung des Arbeitnehmerstatus einführen und so die Hemmschwelle für Plattformtätige senken, ihre Rechte vor Gericht geltend zu machen;
  • es Plattformtätigen ermöglichen, ihre Bewertungen zu einer anderen Plattform mitnehmen zu können, und damit die Abhängigkeit von einzelnen Plattformen einschränken;
  • bestimmte Vertragspraktiken von Plattformen unterbinden, indem zum Beispiel Mindestkündigungsfristen festgeschrieben werden;
  • gemeinsam mit dem Bundesjustizministerium dafür sorgen, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen, die einseitig zu Lasten der Plattformtätigen gehen, einfacher und unkomplizierter gerichtlich überprüft werden können;
  • Transparenz- und Meldepflichten für alle Plattformbetreiber etablieren, um die Datenlage zur Plattformökonomie zu verbessern.


Solo-Selbstständige, die für Plattformen tätig sind, sind in der Regel arbeitnehmerähnlich

Zurecht will der Arbeitsminister für solo-selbstständige Plattformtätige die Möglichkeit eröffnen, sich zu organisieren und gemeinsam grundlegende Bedingungen ihrer Tätigkeit mit den Plattformen auszuhandeln.
Niemand darf aber verkennen, dass hier angeblich Selbstständige bei genauer Betrachtung auch häufig nichts anderes sind als abhängig Beschäftigte, insbesondere die arbeitnehmerähnlichen „Gig-Worker“.
Arbeitnehmerähnliche Personen sind gemäß § 12a Tarifvertragsgesetz wirtschaftlich abhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig, weil sie auf Grund von Dienst- oder Werkverträgen für andere Personen tätig sind, die geschuldeten Leistungen persönlich und im Wesentlichen ohne Mitarbeit von Arbeitnehmern erbringen und

  • überwiegend für eine Person tätig sind oder
  • ihnen von einer Person im Durchschnitt mehr als die Hälfte des Entgelts zusteht, das ihnen für ihre Erwerbstätigkeit insgesamt zusteht.

Für arbeitnehmerähnliche Personen gilt wie bei Arbeitnehmern wegen der vergleichbaren sozialen Schutzbedürftigkeit insbesondere die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit bei Rechtsstreitigkeiten (§ 5 Abs. 1 Satz 2 Arbeitsgerichtsgesetz), Anspruch auf Urlaub (§ 2 Satz 2 Bundesurlaubsgesetz), Anspruch auf Arbeitsschutzmaßnahmen (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 Arbeitsschutzgesetz) und Anspruch auf Schutz vor Diskriminierung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz). Ferner können die Gewerkschaften für sie nach § 12a TVG Tarifverträge schließen.


Plattformbeschäftigte sind bei genauer Betrachtung Arbeitnehmer*innen

Es sind demnach die Gewerkschaften, in denen Plattformbeschäftigte am besten aufgehoben sind. fordern seit Langem, Crowdworking zu regulieren.  
Bei der Definition von Mindeststandards wird einerseits die Plattform beziehungsweise der Plattformbetreiber adressiert. Hierbei werden AGBs gefordert, die ein Maximum an Transparenz und Schutz vor Willkür bieten sollen. Andererseits geht es darum Mindeststandards bei der Vergütung zu setzen und zu normieren.

Plattformbasierte Arbeit ist zumeist als abhängigen Beschäftigung und nicht als Tätigkeit von Solo-Selbstständigen anzusehen. Darüber hinaus wird eine Neudefinition beziehungsweise Anpassung des Betriebs- und Arbeitnehmerbegriffs gefordert, um so den neu entstehenden Rahmenbedingungen, die durch das Crowdworking entstehen, gerecht zu werden.
Neben der Klärung des Status von Crowdworkern ist auch eine Neudefinition des Betriebsbegriffs notwendig. Es geht darum, Crowdworker an den betrieblichen Mitbestimmungsrechten zu beteiligen. Andererseits müssen aber auch die Mitbestimmungsrechte der betrieblichen Gremien auf Entscheidungen über das Outsourcing von Arbeitsaufträgen über Plattformen ausgeweitet werden.

Wichtig für die Gewerkschaften ist aber auch, Crowdworker und Plattformbeschäftigte in die sozialen Sicherungssysteme einzubeziehen.

Das Bundesarbeitsgericht hat am ersten Dezember 2020 festgestellt, dass zwischen einem Crowdworker und seinem Plattform-Auftraggeber ein Arbeitsverhältnis besteht. Die vom Gesetz verlangte Gesamtwürdigung aller Umstände könne ergeben, dass Crowdworker als Arbeitnehmer anzusehen seien. Für ein Arbeitsverhältnis spreche es, wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit über die von ihm betriebene Online-Plattform so steuere, dass der Auftragnehmer infolgedessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten könne.

Hier geht es zur Pressemitteilung des BAG hinsichtlich der Entscheidung vom 1. Dezember 2020 - 9 AZR 102/20


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