Es ist der vorläufige Höhepunkt eines langen Verfahrens für vier Mitglieder der GEW: Im Jahre 2009 hatten sie dafür gestreikt, dass die Tariferhöhung auf ihre Beamtenbesoldung übertragen wird und dafür eine Disziplinarstrafe erhalten. Hiergegen klagten sie mit Unterstützung ihrer Gewerkschaft und des DGB Rechtsschutzes bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der heute ihre Sache verhandelte.

Mit dem gewerkschaftlichen Rechtsschutz durch die Instanzen

Der EGMR hat zu entscheiden, ob das nach deutschem Recht bestehende Streikverbot für Beamt*innen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstößt. Diese gewährt jeder Person das Recht, zum Schutz ihrer Interessen Gewerkschaften zu gründen und Gewerkschaften beizutreten. Einschränkungen dieser fundamentalen Rechte sind nur zulässig, wenn ansonsten die nationale oder öffentliche Sicherheit gefährdet würde oder aus vergleichbaren wichtigen Gründen.

Rudolf Buschmann vom Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht der DGB Rechtsschutz GmbH, der die vier GEW Mitglieder vor dem EGMR vertritt, gab unmittelbar nach der Verhandlung eine erste Einschätzung ab:

„Die Bundesregierung hat sich bei der Frage der Rechtfertigung sehr darauf berufen, dass diese den Eigenarten des Lehrerberufes und des Bildungswesens entsprechen. Das halte ich für widersprüchlich, denn schließlich sind ja viele Lehrer Angestellte. Sie nehmen dieselben Aufgaben wahr wie beamtete Lehrer, ohne dass sie im Status des Beamten stehen. Außerdem hat sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 2018 auch nicht auf Lehrer beschränkt. Dessen Aussagen sind vielmehr so zu verstehen, dass auch Postbotinnen nicht streiken dürfen.“


Zu den Aussichten äußert sich Buschmann verhalten:


„Wir haben unseren Standpunkt klar gemacht und auch auf Schwachstellen der Gegenseite hingewiesen. Wie und wann das Gericht entscheidet, ist noch nicht abzusehen. Es ist aber schon jetzt ein großer Erfolg für die Klägerinnen und Kläger, dass sie es mit ihrem Anliegen bis vor die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geschafft haben!“

Modernisierung des Beamtenrechts dringend erforderlich

Hintergrund des Verfahrens ist das Ziel der GEW, das Beamtenrecht zu modernisieren und dadurch die Position der Beamt*innen zu stärken. Bislang kann der Dienstherr allein und ohne demokratisches Mitspracherecht der Beschäftigten über Arbeitszeiten, Besoldung und weitere Arbeitsbedingungen entscheiden. Das will die GEW ändern, ohne den Beamtenstatus als solchen in Frage zu stellen.

Eine solche Änderung ist dringend notwendig. Nachdem die Zuständigkeit für die Beamtenbesoldung und –versorgung im Zuge der Föderalismusreform I im Jahre 2006 auf die Länder übergegangen ist, kam es zu einem regelrechten Unterbietungswettbewerb zu Lasten der Betroffenen. Eine verfassungsgemäße Besoldung war nicht mehr gewährleistet (vgl. Beamtenbesoldung in Schleswig-Holstein teilweise verfassungswidrig)

Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des DGB, unterstützt die Forderungen der GEW. Nicht-hoheitlich tätige Beamt*innen dürfen nicht mehr allein vom Wohlwollen ihrer Dienstherren abhängig sein. Hannack: „Das Streikrecht in nicht-hoheitlichen Bereichen würde nicht nur die Beamt*innen, sondern auch die Solidarität der Beschäftigtengruppen im öffentlichen Dienst insgesamt stärken.“

Bundesverfassungsgericht hatte Streikrecht abgelehnt

Der Gang vor den EGMR war notwendig geworden, weil das BVerfG das Streikverbot in seiner Entscheidung im Jahre 2018 noch bestätigt hatte (BVerfG, Urteil vom 12. Juni 2018 - 2 BvR 1738/12, 2 BvR 1395/13, 2 BvR 1068/14, 2 BvR 646/15). 

Das BVerfG sah den Eingriff in das Grundrecht nach Art. 9 Abs. 3 GG durch die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums gemäß Art. 33 Abs. 5 GG als gerechtfertigt an. Das Streikverbot sei durch den Anspruch auf lebenslange amtsangemessene Alimentation kompensiert. Diese könne gegebenenfalls sogar gerichtlich durchgesetzt werden.

Das Streikverbot verstieß nach Überzeugung des BVerfG auch nicht gegen die völkerrechtlichen Gewährleistungen der EMRK, da diese im Kontext der staatlichen Regelungen zu betrachten sei. Sie gewähre den Nationalstaaten einen erheblichen Spielraum, den die Bundesrepublik Deutschland nicht überschritten habe.

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Rechtliche Grundlagen

Art. 11 EMRK: Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und Art. 14 EMRK: Diskriminierungsverbot

Art. 11 EMRK: Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

(1) Jede Person hat das Recht, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen; dazu gehört auch das Recht, zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu gründen und Gewerkschaften beizutreten.
(2) Die Ausübung dieser Rechte darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Dieser Artikel steht rechtmäßigen Einschränkungen der Ausübung dieser Rechte für Angehörige der Streitkräfte, der Polizei oder der Staatsverwaltung nicht entgegen.

Art. 14 EMRK: Diskriminierungsverbot

Der Genuß der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten.