Den Widerspruch zwischen Grundgesetz (GG) und EMRK konnte (und wollte?) das Gericht nicht lösen. Das müsse der Bundesgesetzgeber tun, betonten die Richter. So lange dies nicht geschehen sei, also das Streikverbot gelte, dürften die Arbeitgeber die Besoldung der Beamtinnen und Beamten nicht von den Tarifabschlüssen abkoppeln. Ein deutlicher Warnschuss vor den Bug der Arbeitgeber. Denn genau dieses Spielchen haben sie in den vergangenen Jahren immer exzessiver betrieben. Welche Auswirkungen diese Ansage des Gerichts entfaltet, bleibt abzuwarten. Ganz sicher verbessert sie die Erfolgsaussichten in den Verfahren zur amtsangemessenen Alimentation, die die GEW zurzeit beispielsweise in Nordrhein-Westfalen führt.
Rückblick: In dem Verfahren geht es um eine verbeamtete Lehrerin aus Nordrhein-Westfalen. Sie hatte 2009 im Rahmen der Tarifrunde für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes der Länder an drei Tagen an Warnstreiks der Gewerkschaften teilgenommen. Ziel der Streiks war unter anderem, das Verhandlungsergebnis für den Tarifbereich auf die Beamtinnen und Beamten zu übertragen. Daraufhin verhängte die Behörde als Disziplinarmaßnahme eine Geldbuße in Höhe von 1 500 Euro. Gegen diese Sanktion hat die Beamtin mit Rechtsschutz der GEW vor der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts (VG) Düsseldorf geklagt. Das VG sah in der Disziplinarmaßnahme einen Verstoß gegen Artikel 11 der EMRK und gegen die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zum Recht auf Streik für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes. Der EGMR hatte in mehreren Verfahren entschieden, dass nach der EGMK Beamtinnen und Beamte, die nicht in der hoheitlichen Staatsverwaltung arbeiten, das Recht haben zu streiken.
Das VG war damit von der herrschenden Rechtsprechung in Deutschland abgewichen, die ein allgemeines Streikverbot für alle Beamtinnen und Beamte annimmt. Im Berufungsverfahren verurteilte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster die Kollegin jedoch, die Geldbuße in der ursprünglich verhängten Höhe zu zahlen. Eine Revision ließ das OVG nicht zu. Dagegen legte die Klägerin erfolgreich Beschwerde ein: Die Revision beim BVerwG wurde entgegen der OVG-Entscheidung zugelassen. Jetzt fand die mündliche Verhandlung vor dem BVerwG statt.
Gut zwei Stunden ging es in Leipzig um die Frage, ob ein Beamtenstreik nach deutschem Recht beziehungsweise nach der EMRK zulässig ist und in welchem Verhältnis beide Rechtsquellen zueinander stehen. Daran anschließend beleuchtete das Gericht das Problem, wer einen angenommen Widerspruch zwischen EMRK und GG wie auflösen kann.
Das Ergebnis: Nach deutschem Recht gelte für alle Beamtinnen und Beamte – also auch außerhalb des Hoheitsbereichs – ein generelles statusbezogenes Streikverbot, das als hergebrachter Grundsatz im Sinne des Artikels 33 Absatz 5 GG Verfassungsrang genieße. Das Streikverbot sei wesentlicher Bestandteil des in sich austarierten beamtenrechtlichen Gefüges von Rechten und Pflichten, meinten die Richter.
Im Gegensatz dazu beinhalte der Artikel 11 Absatz 1 der EMRK ein Recht der Staatsbediensteten auf Tarifverhandlungen und ein daran anknüpfendes Streikrecht. Dieses könne nach Absatz 2 nur für Angehörige der Streitkräfte, der Polizei und der hoheitlichen Staatsverwaltung generell ausgeschlossen werden. Zu diesen Gruppen gehörten Lehrkräfte jedoch nicht, so das BVerwG. Und: Die Bundesrepublik sei völkervertrags- und verfassungsrechtlich verpflichtet, dem Artikel 11 EMRK Geltung in der deutschen Rechtsordnung zu verschaffen.
Die Kollision zwischen deutschem Verfassungsrecht und der EMRK müsse der Bundesgesetzgeber lösen, stellten die Richter fest. Sie machten zwei Vorschläge: Voraussetzung sei in beiden Fällen, dass die Bereiche der hoheitlichen Staatsverwaltung definiert werden, in denen das Streikverbot gilt. Für die anderen Bereiche könne es entweder erweiterte Beteiligungsrechte der Beamtengewerkschaften geben oder das Streikrecht. Dieses sei jedoch nicht zum Nulltarif zu haben: Als Kompensation für das Streikrecht müssten günstige Regelungen für Beamtinnen und Beamten eingeschränkt werden. Das Gericht ließ offen, welche Eingriffe das sein und wie weit diese gehen könnten. Als Beispiel nannte es lediglich das Besoldungsrecht.
Fest steht: Damit ist das Gericht inhaltlich sehr weitgehend der Argumentation der GEW gefolgt. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass es die Disziplinarbuße von 1 500 auf 300 Euro reduzierte.
Andreas Gehrke, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung
und Wissenschaft und Leiter des Arbeitsbereichs Tarif- und Beamtenpolitik