Bei Versetzung sind private und familiäre Interessen angemessen zu berücksichtigen
Der seit acht Jahren in dem Dienstleistungsunternehmen angestellte Kläger war seit 2009 auf einer Dauerbaustelle an seinem Wohnort im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel als Isolierer eingesetzt. Arbeitsvertraglich war vereinbart, dass er auch auf allen Baustellen eingesetzt werden könne, auch wenn er diese von seiner Wohnung aus nicht jeden Tag erreichen könne.
Sture Beklagte –private und familiäre Verhältnisse unerheblich?
Im Herbst 2014 hatte der Kläger, der Vater von drei schulpflichtigen Kindern ist, eine fristlose Kündigung erhalten. Begründet wurde diese mit einer Auseinandersetzung mit einem Vorabeiter. In dem Kündigungsschutzverfahren obsiegte der Kläger.
Nachdem die Beklagte ihn weiter beschäftigen musste teilte sie dem Kläger mit, dass er ab sofort in Ludwigshafen arbeiten müsse, da sein alter Arbeitsplatz zwischenzeitlich neu besetzt worden sei. Der Isolierer klagte daraufhin gegen diese Versetzungsmaßnahme. Er begründete diese damit, dass die Vorgehensweise der Beklagten willkürlich und familienfeindlich sei und verwies auf andere einsetzbare kinderlose und ungebundene Kollegen.
Die Beklagte blieb stur und stellte sich auf den Standpunkt, dass eine solche Versetzung branchenüblich sei. Auch im Hinblick auf den mit dem Kläger abgeschlossenen Arbeitsvertrag müsse sie die Zuweisung der 660 Km entfernten neuen Arbeitsstätte nicht rechtfertigen. Dies, so die Beklagte, sei die Privatangelegenheit des Klägers. Die familiäre Gebundenheit des Klägers sei für sie unbeachtlich.
Bei der Versetzung sind die gegenseitigen Interessen zu berücksichtigen
Der Kläger hatte vor dem Arbeitsgericht und auch dem Landesarbeitsgericht (LAG) mit seiner Klage Erfolg. Die Richter*innen beider Instanzen kamen zu dem Ergebnis, dass er nicht in Ludwigshafen arbeiten muss.
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 315 Bestimmung der Leistung durch eine Partei
(1) Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.
(2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.
(3) Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.
Die 3. Kammer des LAG Schleswig-Holstein stellte fest, dass auch dann, wenn eine Arbeitgeberin den Arbeitsort einseitig festlegen darf, sie nach billigem Ermessen alle wechselseitigen Umstände und Interessen abwägen und angemessen zu berücksichtigen hat. Hierzu, so dass LAG, gehören die beiderseitigen Bedürfnisse und auch die sozialen Lebensverhältnisse.
Der Arbeitgeber habe Rücksicht auf familiäre Belange des Arbeitnehmers zu nehmen, soweit dem nicht betriebliche Gründe oder Belange anderer Kollegen entgegenstehen. Bei dem Bestehen von Auswahlmöglichkeiten, müsse er – ohne eine Sozialauswahl im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes durchzuführen - denjenigen Arbeitnehmer nehmen, der weniger schutzwürdig sei.
Versetzung unwirksam, weil Arbeitgeber keine Abwägung getroffen hat
Da die Beklagte auf eine Abwägung gänzlich verzichtete, so das zweitinstanzliche Gericht, sei allein schon deshalb die Versetzungsanweisung unwirksam, nach der der in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) lebende und seit acht Jahren arbeitende Kläger in das 660 Km entfernte Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) versetzt werden sollte.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es bleibt abzuwarten, ob die Beklagte noch das Bundesarbeitsgericht anrufen wird.
Kommentar:
Die Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein ist begrüßenswert. Auch wenn es sich hierbei um eine Einzelfallenscheidung handelt, kann doch von einer Einschränkung des arbeitgeberseitigen Versetzungsrechts dann gesprochen werden, wenn die privaten Interessen und familiären Verhältnisse nicht angemessen berücksichtigt werden.
Prüfungsmaßstab ist die Vorschrift, nach der die Versetzungsanordnung nur dann verbindlich ist, wenn sie der Billigkeit entspricht. Dies war im vorliegenden Fall offenkundig nicht geschehen, zumal die Beklagte, ohne auf die persönlichen und familiären Verhältnisse einzugehen, meinte den Kläger allein aufgrund der vertraglichen Vereinbarung an einem 660 Km entfernten Arbeitsplatz einsetzen zu können. Arbeitsvertraglich war vereinbart, dass ein Einsatz auch auf Baustellen möglich ist, die der Kläger nicht jeden Tag von seiner Wohnung aus erreichen kann.
Wie das LAG feststellte, war dem Kläger im Herbst 2014 fristlos gekündigt worden. Die hiergegen erhobene Klage war erfolgreich. Offenkundig haben die Verantwortlichen der Beklagten diese Niederlage nur schwer oder auch gar nicht „verdauen“ können. Aus diesem denkbaren Umstand heraus mag auf Beklagtenseite die Idee geboren worden sein, sich des Klägers auf eine andere Art zu „entledigen“ und ihn nach Ludwigshafen zu versetzen.
Hierbei handelte es sich ersichtlich um eine personelle Maßnahme die unüberlegt war und in der Folge auch im Rahmen der arbeitgeberseitigen Rechtsberatung hätte korrigiert werden können, wenn man geprüft hätte, ob die Maßnahme dem Prüfstein eines „billigen Ermessens“ standhalten würde, was kaum wahrscheinlich war.