Auch wenn sich Marias Anspruch weder aus dem Arbeits- noch aus dem Tarifvertrag ergibt, ist noch nicht alles verloren. Denn möglicherweise kann sie ihr zusätzliches Urlaubsgeld trotzdem beanspruchen, weil eine entsprechende Betriebliche Übung entstanden ist.
Voraussetzungen einer Betrieblichen Übung
Eine Betriebliche Übung entsteht, wenn
- es keinen arbeits- oder tarifvertraglichen Anspruch auf die Leistung gibt,
- der Arbeitgeber trotzdem (freiwillig) mindestens drei Jahre lang ohne Unterbrechung und gleichförmig geleistet hat,
- nicht nur einzelne Mitarbeiter*innen in den Genuss der Leistung kommen (kollektiver Charakter) und
- Maria darauf vertrauen kann, dass der Arbeitgeber auch weiterhin leistet. Auf dieses Vertrauen kann sie sich beispielsweise nicht berufen, wenn der Arbeitgeber irrtümlich glaubt, zu der Leistung nach Tarifvertrag verpflichtet zu sein, und Maria weiß, dass er das nicht ist.
Gleichförmigkeit der Leistung
Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 13.05.2015 (10 AZR 266/14) ist nicht mehr erforderlich, dass die Leistung in den drei Jahren absolut identisch ist. Auch wenn der Arbeitgeber also in den drei Jahren jeweils unterschiedliche Beträge als zusätzliches Urlaubsgeld auszahlt, ändert das nichts daran, dass eine Betriebliche Übung entstehen kann.
Inhalte von Betrieblichen Übungen
Der häufigste Anwendungsfall dürften Sonderzahlungen wie Weihnachts- oder zusätzliches Urlaubsgeld sein. Es kann sich aber grundsätzlich um alle Ansprüche drehen, die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses auftreten können. In Betracht kommen also beispielsweise auch
- Gewährung von Jubiläumszuwendungen,
- Essensgeld und Fahrtkostenzuschüsse,
- Fortbildungskosten,
- Bereitstellung eines Parkplatzes auf dem Firmengelände.
Rechtsfolgen der Betrieblichen Übung für Maria
Ist in Marias Fall eine Betriebliche Übung entstanden, führt dies dazu, dass sich ihr Arbeitsvertrag ändert. Sie hat dann einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf das zusätzliche Urlaubsgeld. Zahlt der Arbeitgeber trotzdem nicht, kann Maria die Leistung beim Arbeitsgericht einklagen.
Rechtsfolgen der Betrieblichen Übung für den Arbeitgeber
Wenn die Betriebliche Übung einmal entstanden ist, ist der Arbeitgeber verpflichtet, sich auch in Zukunft dementsprechend zu verhalten. Er muss Maria also auch weiterhin das zusätzliche Urlaubsgeld bezahlen. Denn er kommt ohne Weiteres nicht mehr von der Übung los.
Er hat nur zwei Möglichkeiten:
- Er kann versuchen, die durch die Betriebliche Übung entstandene Vertragsänderung rückgängig zu machen. Dies ist mit einem Änderungsvertrag möglich. Aber nur, wenn Maria damit einverstanden ist.
- Ist Maria nicht einverstanden, bleibt dem Arbeitgeber nur die Möglichkeit einer Änderungskündigung. Soweit das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist, wird er nur Erfolg haben, wenn er darlegen kann, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt ist. Maria kann die Kündigung dann vom Arbeitsgericht im Wege einer Kündigungsschutzklage überprüfen lassen.
Nicht möglich ist dagegen:
- ein einfacher Widerruf der Betrieblichen Übung ohne dass der Arbeitgeber einen Widerrufsvorbehalt erklärt hat und
- eine Betriebsvereinbarung, die die Betriebliche Übung aushebelt.
Vermeidungsstrategien des Arbeitgebers
Gerade weil eine einmal entstandene Betriebliche Übung für den Arbeitgeber gravierende Folgen hat, wird er im Vorfeld versuchen, eine Betriebliche Übung erst gar nicht entstehen zu lassen.
Keine regelmäßigen Leistungen
Ein möglicher Ansatz des Arbeitgebers besteht darin, dass er das zusätzliche Urlaubsgeld nicht regelmäßig bezahlt. Bekommt Maria die Leistung zwei Jahre lang, im dritten Jahr aber nicht, kann keine Betriebliche Übung entstehen. Dies gilt auch dann, wenn sie die Leistung im vierten Jahr wieder erhält.
Freiwilligkeitsvorbehalt
Ein Freiwilligkeitsvorbehalt ist die Erklärung des Arbeitgebers, dass er eine bestimmte Leistung, auf die kein Anspruch besteht, lediglich freiwillig , also ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, erbringen will.
Seine Überlegungen könnten etwa lauten:
„Dadurch, dass ich von Anfang an auf die Freiwilligkeit hinweise, kann erst gar keine Betriebliche Übung entstehen. Denn die Arbeitnehmer*innen können dann kein Vertrauen darauf entwickeln, dass sie die Leistung dauerhaft bekommen.“
Wenn der Arbeitgeber diesen Vorbehalt beispielsweise erklärt, nachdem er bereits zwei Jahre lang ohne Vorbehalt geleistet hat, kann eine Betriebliche Übung nicht entstehen. Vergisst der Arbeitgeber jedoch mindestens drei Jahre lang, ausdrücklich auf die Freiwilligkeit hinzuweisen, entsteht ein Anspruch aus Betrieblicher Übung.
Achtung
Ein Freiwilligkeitsvorbehalt kann sich auch in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zum Arbeitsvertrag verbergen.
Deshalb
Unbedingt immer das „Kleingedruckte“ lesen!
Taucht in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Arbeitsvertrag ein solcher Vorbehalt auf, ist er jedoch nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches nur wirksam, wenn der Arbeitgeber ihn nicht an einer Stelle versteckt, an der nicht mit ihm zu rechnen ist. Dasselbe gilt, wenn der Vorbehalt nicht klar und unmissverständlich formuliert ist.
Widerrufsvorbehalt
Mit dem Widerrufsvorbehalt kann der Arbeitgeber erklären, dass er berechtigt ist, einen Anspruch Marias jederzeit zu widerrufen. Seine Überlegungen könnten dann etwa lauten:
„Ich möchte eine bestimmte Leistung erbringen. Mir ist auch klar, dass daraus nach drei Jahren eine Betriebliche Übung entsteht. Aber ich möchte nicht, dass ich auf alle Ewigkeiten daran gebunden bin. Deshalb behalte ich mir das Recht vor, meine Pflicht zur Leistung jederzeit widerrufen zu können.“
Während also der Freiwilligkeitsvorbehalt dazu dient, einen Anspruch von Maria gar nicht erst entstehen zu lassen, zielt der Widerrufsvorbehalt darauf ab, einen bereits entstandenen Anspruch wieder beseitigen zu können.
Auch der Widerrufsvorbehalt kann in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten sein. Für diesen Fall hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 12.01.2005 (5 AZR 364/04) entschieden, dass eine Vorbehaltserklärung nur wirksam ist, wenn in ihr zumindest schlagwortartig Fallgruppen genannt sind, bei denen der Arbeitgeber einen Widerrufsvorbehalt erklären darf. Beispiele für solche Fallgruppen sind „wirtschaftliche Gründe“, „Gründe im Verhalten der Arbeitnehmer*innen“ oder „Gründe in der Person von Arbeitnehmer*innen“.
Aber selbst dann kann ein Widerruf nur erfolgen, wenn eine der genannten Fallgruppen im Moment des Widerrufs tatsächlich vorliegt.
Aber auch wenn der Widerrufsvorbehalt „versteckt“ oder missverständlich ist, führt dies zu seiner Unwirksamkeit.
Freiwilligkeit- und Widerrufsvorbehalt gleichzeitig?
Manche Arbeitgeber handeln nach dem Motto „Viel hilft viel“ und erklären Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt gleichzeitig. Dies hat zur Folge, dass beide Vorbehalte unwirksam sind, wenn sie in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen auftauchen. Wegen der oben beschriebenen unterschiedlichen Zielrichtung der beiden Vorbehalte ist nicht klar, was der Arbeitgeber möchte. Diese Unklarheit geht nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches zu seinen Lasten.
Hier finden Sie die vollständigen Urteile:
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.05.2015, Az: 10 AZR 266/14
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.01.2005, Az: 5 AZR 364/04
Rechtliche Grundlagen
§§ 305 c , 307 BGB
§ 305c Überraschende und mehrdeutige Klauseln
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, werden nicht Vertragsbestandteil.
(2) Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders.
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 307 Inhaltskontrolle
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.