Das Bundesarbeitsgericht wies mehrere Klagen zurück, mit denen Beschäftigte gegen eine unzulässige Überlassung geklagt hatten.
Werkvertrag statt Leiharbeit
Mit der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung umgehen Zeitarbeitsfirmen die gesetzlichen Regeln: Die Leiharbeit selbst erscheint vielen nicht mehr lukrativ, etwa weil die Arbeitnehmerüberlassung nur vorübergehend erfolgen darf und der Verleiher verpflichtet ist, dem Leiharbeitnehmer während der Überlassung die Arbeitsbedingungen zu gewähren, wie sie beim Entleiher bestehen.
Das neue Geschäftsmodell basierte dann auf dem Prinzip des Werkvertrags. Die Zeitarbeitsfirmen erbrachten "Werke" für den Entleiher. Dies ist zeitlich unbegrenzt möglich und es besteht auch keine Pflicht, dieselben Arbeitsbedingungen zu gewähren.
Allerdings sind diese Konstrukte oft rechtlich zweifelhaft: Ein "Werk" setzt eine eigene, abgrenzbare Leistung voraus. Dies trifft zu, wenn der Werkunternehmer in einem anderen Unternehmen die Reinigungsarbeiten oder die Verköstigung übernimmt, aber nicht, wenn die Arbeitnehmer im Kernbereich des Entleihers eingesetzt sind, wie das tatsächlich oft der Fall ist.
Rettungsschirm für Arbeitnehmerüberlassung
Stellt sich ein Werkvertrag tatsächlich als Arbeitnehmerüberlassung dar, hat dies Konsequenzen: Weil der Verleiher/Werkunternehmer keine Überlassungserlaubnis hat, kommt ein Arbeitsverhältnis zwischen dem überlassenen Arbeitnehmer und dem Entleiher zu Stande, der Verleiher macht sich schadensersatzpflichtig.
Um dies zu vermeiden, sind findige Zeitarbeitsfirmen auf die Idee gekommen, sich vorsichtshalber eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis erteilen zu lassen. Sollte das rechtliche Konstrukt des Werkvertrags vor Gericht nicht halten, beruft man sich eben auf die Arbeitnehmerüberlassung und minimiert damit das finanzielle Risiko.
Dieser „Rettungsschirm“ der Arbeitnehmerüberlassung war rechtlich fragwürdig, das Bundesarbeitsgericht hat ihn jetzt für zulässig erklärt.
Fast 10 Jahre prekär beschäftigt
In dem vom BAG entschiedenen Fall war die Klägerin von 2004 bis Ende 2013 als technische Zeichnerin bei einem Automobilunternehmen beschäftigt. In dem Verfahren begehrte sie die Feststellung, dass zwischen ihr und dem Automobilunternehmen ein Arbeitsverhältnis besteht.
Die Basis ihrer Tätigkeit war eine Vereinbarung zwischen dem beklagten Automobilunternehmen und der Vertragsarbeitgeberin der Klägerin. Diese war als Werkvertrag bezeichnet. Die Vertragsarbeitgeberin hatte eine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung.
Die Klägerin war der Meinung, dass die Vereinbarung zwischen der Beklagten als und ihrer Vertragsarbeitgeberin nur Scheinwerkverträge seien, welche die Arbeitnehmerüberlassung verdecken sollte. Die Beklagte könne sich deshalb nicht auf die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung berufen.
Bundesarbeitsgericht: Arbeitsverhältnis nur bei tatsächlich fehlender Erlaubnis
Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen, auch die Revision beim Bundesarbeitsgericht hatte keinen Erfolg.
Selbst wenn man annehme, dass die Klägerin auf Grundlage von Scheinwerkverträgen eingesetzt worden sei, sei kein Arbeitsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten zustande gekommen. Dies sei nur dann der Fall, wenn der Verleiher/Werkunternehmer keine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung gehabt hätte.
Die Rechtsfolge eines Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Entleiher sehe das Gesetz tatsächlich nur für den Fall vor, dass eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis fehlt. Für den Fall der nicht offenen Arbeitnehmerüberlassung habe der Gesetzgeber bewusst nicht die Rechtsfolge der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher angeordnet.
Anmerkung:
Das Bundesarbeitsgericht hat bei der Einschätzung der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung einen sehr formellen Standpunkt eingenommen und lässt die prekär Beschäftigten damit im Regen stehen, während die Personaldienstleister weiterhin den Schutz des Rettungsschirms genießen.
Die enge Sichtweise, wonach es schon reicht, wenn eine Überlassungserlaubnis vorliegt, ist keineswegs zwingend. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat in einem gleich gelagerten Fall mit Urteil vom 03.12.2014 anders geurteilt: Die Kammer stellte fest, dass es ein widersprüchliches Verhalten darstellt, wenn sich Drittfirmen und Beklagte auf ein Arbeitnehmerüberlassungsverhältnis berufen, obwohl sie einen Werkvertrag geschlossen haben.
Diese Sichtweise ist überzeugend: Die Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis auf Vorrat dient erkennbar nur dem Zweck, Risiken zu minimieren, welche die Vertragsparteien durch eine fragwürdige Werkvertragskonstruktion selbst schaffen. Sie sind nicht schutzwürdig.
Die Entscheidung spielt den Ball zurück in das Feld der Politik: Die Richter*innen haben deutlich gemacht, dass sie die Klage haben scheitern lassen, weil sie dem Gesetz keine entsprechende Sanktion entnehmen konnten, möglicherweise wollten sie auch nicht Hilfsgesetzgeber spielen.
Es ist daher Aufgabe des Gesetzgebers, die vom BAG vermissten Sanktionsmechanismen endlich zu schaffen. Allein die Tatsache, dass die Klägerin fast 10 Jahre bei der Automobilfirma beschäftigt war, obwohl das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nur einen „vorübergehenden“ Einsatz zulässt, wäre Grund genug für eine solche Sanktion.
Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts zum Urteil vom 12. Juli 2016 - 9 AZR 352/15 -
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Rechtliche Grundlagen
§ 10 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz - AÜG
(1) Ist der Vertrag zwischen einem Verleiher und einem Leiharbeitnehmer nach § 9 Nr. 1 unwirksam, so gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zu dem zwischen dem Entleiher und dem Verleiher für den Beginn der Tätigkeit vorgesehenen Zeitpunkt als zustande gekommen; tritt die Unwirksamkeit erst nach Aufnahme der Tätigkeit beim Entleiher ein, so gilt das Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer mit dem Eintritt der Unwirksamkeit als zustande gekommen. Das Arbeitsverhältnis nach Satz 1 gilt als befristet, wenn die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers bei dem Entleiher nur befristet vorgesehen war und ein die Befristung des Arbeitsverhältnisses sachlich rechtfertigender Grund vorliegt. Für das Arbeitsverhältnis nach Satz 1 gilt die zwischen dem Verleiher und dem Entleiher vorgesehene Arbeitszeit als vereinbart. Im übrigen bestimmen sich Inhalt und Dauer dieses Arbeitsverhältnisses nach den für den Betrieb des Entleihers geltenden Vorschriften und sonstigen Regelungen; sind solche nicht vorhanden, gelten diejenigen vergleichbarer Betriebe. Der Leiharbeitnehmer hat gegen den Entleiher mindestens Anspruch auf das mit dem Verleiher vereinbarte Arbeitsentgelt.
(2) Der Leiharbeitnehmer kann im Fall der Unwirksamkeit seines Vertrags mit dem Verleiher nach § 9 Nr. 1 von diesem Ersatz des Schadens verlangen, den er dadurch erleidet, daß er auf die Gültigkeit des Vertrags vertraut. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Leiharbeitnehmer den Grund der Unwirksamkeit kannte.
(3) Zahlt der Verleiher das vereinbarte Arbeitsentgelt oder Teile des Arbeitsentgelts an den Leiharbeitnehmer, obwohl der Vertrag nach § 9 Nr. 1 unwirksam ist, so hat er auch sonstige Teile des Arbeitsentgelts, die bei einem wirksamen Arbeitsvertrag für den Leiharbeitnehmer an einen anderen zu zahlen wären, an den anderen zu zahlen. Hinsichtlich dieser Zahlungspflicht gilt der Verleiher neben dem Entleiher als Arbeitgeber; beide haften insoweit als Gesamtschuldner.
(4) Der Verleiher ist verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren. Soweit ein auf das Arbeitsverhältnis anzuwendender Tarifvertrag abweichende Regelungen trifft (§ 3 Absatz 1 Nummer 3, § 9 Nummer 2), hat der Verleiher dem Leiharbeitnehmer die nach diesem Tarifvertrag geschuldeten Arbeitsbedingungen zu gewähren. Soweit ein solcher Tarifvertrag die in einer Rechtsverordnung nach § 3a Absatz 2 festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschreitet, hat der Verleiher dem Leiharbeitnehmer für jede Arbeitsstunde das im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers für eine Arbeitsstunde zu zahlende Arbeitsentgelt zu gewähren. Im Falle der Unwirksamkeit der Vereinbarung zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nach § 9 Nummer 2 hat der Verleiher dem Leiharbeitnehmer die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren.
(5) Der Verleiher ist verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer mindestens das in einer Rechtsverordnung nach § 3a Absatz 2 für die Zeit der Überlassung und für Zeiten ohne Überlassung festgesetzte Mindeststundenentgelt zu zahlen.