Das DGB Rechtsschutz Büro Frankfurt konnte einem Schlosser helfen, dessen Arbeitgeber ihn vom Odenwald in das 500 Kilometer entfernte Chemnitz versetzen wollte. Vor dem Landesarbeitsgericht Hessen bekam er nun Recht.
Versetzung in 500 Kilometer entfernten Betrieb
Der Arbeitgeber führt im hessischen Odenwald einen Handwerksbetrieb, bestehend aus einer Schreinerei und eine Schlosserei, in der allgemeine Schlosserarbeiten ausgeführt werden. Daneben wurden in der Schlosserei Geschossfänge für Schließanlagen und Brandschutztüren hergestellt.
Der Betrieb hatte etwa 15 bis 20 Beschäftigte. Daneben gibt es seit 1996 einen Betrieb mit weiteren zehn 10 bis 15 Beschäftigten in der Nähe von Chemnitz, in dem Fenster und Türen produziert werden. Die Entfernung zwischen den beiden Betrieben beträgt fast 500 Kilometer.
Mit Schreiben vom 01.10.2014 teilte der Arbeitgeber mit, dass er den 52jährige Schlosser, der seit 1997 in dem Betrieb im Odenwald beschäftigt ist, vorübergehend, mindestens für zwei Jahre in den Betrieb bei Chemnitz versetzt.
Versetzung wird mit unternehmerischer Entscheidung begründet
Im Arbeitsvertrag des verheirateten Schlossers war kein Arbeitsort vereinbart. Außer ihm war im Betrieb im Odenwald noch ein 24 Jahre alter, familiär ungebundener Schlossergeselle beschäftigt, den er selbst angelernt hatte.
Der Unternehmer begründete die Versetzung damit, dass er eine unternehmerische Entscheidung getroffen habe, die Produktion der Brandschutztüren nach Sachsen zu verlagern. Für die Produktion der Spezialtüren sei die Versetzung notwendig, weil nur der versetzte Schlosser die gesetzlich vorgeschriebene Fremdüberwachungserlaubnis verfüge.
Der Schlosser war mit der Versetzung nicht einverstanden und wendete sich an die IG Metall, bei der er Mitglied ist. Diese verwies ihn an das zuständige DGB Rechtsschutz Büro in Frankfurt. Rechtsschutzsekretärin Beate Alt ging gegen die Versetzung vor.
Einstweilige Verfügung erfolglos
In einem ersten Schritt beantragte sie den Erlass einer einstweiligen Verfügung, um zu verhindern, dass der Mandant während des Rechtsstreits in Sachsen arbeiten muss. Der Kläger habe ein überwiegendes Interesse, vorläufig weiter in dem ursprünglichen Betrieb beschäftigt zu werden.
Nachdem er seit fast 20 Jahren im Betrieb im Odenwald tätig sei, könne er nicht ohne weiteres versetzt werden, zumal er sich um seine pflegebedürftige Mutter kümmern müsse. Außerdem könne auch der deutlich jüngere Geselle nach Chemnitz gehen.
Diese Argumente konnten das Gericht aber nicht überzeugen, die Versetzung vorläufig zu untersagen. Die Versetzung sei aufgrund der unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers in Ordnung. Seit dem 10.11.2014 musste der Mandant seine Arbeit in Sachsen verrichten.
Auch in erster Instanz kein Erfolg
Im Hauptsacheverfahren unterlag der Schlosser ebenfalls. Das Arbeitsgericht erklärte die Versetzung für rechtmäßig, das sie vom Direktionsrecht gedeckt und nach billigem Ermessen erfolgt sei.
Zwar hatte der Arbeitgeber zugegeben, dass bislang noch keine Brandschutztüren im Betrieb in Chemnitz produziert werden, dies sei aber nachvollziehbar, da erst der Ausgang des Verfahrens abgewartet werden sollte.
Die Verlagerung der Produktion von Brandschutztüren sei eine unternehmerische Entscheidung, es gäbe deshalb keine Gründe, die Versetzung als willkürlich oder missbräuchlich anzusehen. Daher wurde die Klage im Januar 2015 abgewiesen
Erfolg vor dem Landesarbeitsgericht
Ein Ergebnis, mit dem sich weder der Mandant, noch seine Prozessbevollmächtigte Beate Alt abfinden wollten. Ihre Beharrlichkeit wurde mit einem Sieg vor dem Landesarbeitsgericht belohnt.
Rechtsschutzsekretärin Alt hatte sich hierfür ausführlich mit dem Begriff der Unternehmerentscheidung auseinander gesetzt, auf die sich der Arbeitgeber bislang immer berufen hatte. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann nämlich eine Unternehmerentscheidung nicht dazu führen, dass die Interessen des Arbeitnehmers von vornherein nicht mehr zu berücksichtigen wären.
Selbst wenn also eine unternehmerische Entscheidung besteht, was hier bestritten wurde, so kommt dieser nur eine erhebliche Indizwirkung zu. Sie ist aber nicht geeignet, sämtliche berechtigten Aspekte des Arbeitnehmers aus dem Feld zu schlagen.
Arbeitnehmer kann akkurate Listen vorlegen
In der mündlichen Verhandlung hatte das Gericht darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass die Versetzung dem billigen Ermessen entspricht. Vor diesem Hintergrund stelle sich auch die Frage, ob nicht der Geselle, der auch über die Fremdüberwachungserlaubnisse verfügt, die Aufgaben in Sachsen erledigen könnte.
Der Arbeitgeber behauptete daraufhin, es müsse zwingend der Kläger nach Sachsen versetzt werden. Er habe während der Zeit im Odenwald zu 80 bis 100 % im Bereich der Brandschutztüren gearbeitet und sei damit besser geeignet als der junge Geselle, der auch insgesamt zu jung und unerfahren sei, um die Fremdüberwachung durchzuführen.
Hier konnte der Kläger nun etwas entgegensetzen: Er hatte über die Jahre kleinschrittig aufgelistet, welche Tätigkeiten er im Betrieb übernommen hat. Aus seiner Zusammenstellung, die viele Excel-Seiten umfasste, ergab sich, dass er nur im Jahr 2014 in großem Umfang mit Brandschutztüren beschäftigt war, nämlich zu 68,28 % seiner Arbeitszeit.
Dies war allerdings auf einen einzelnen Großauftrag zurückzuführen gewesen. In 2013 lag der Anteil dagegen nur bei 4,1%, in den Vorjahren zwischen 14% und 23%.
Unternehmerische Entscheidung nicht dargelegt
Der Kläger konnte auch darlegen, dass er im Jahr 2015, als er schon in Sachsen beschäftigt war, zu mehr als 50% Holz- und einfache Hilfsarbeiten und Arbeiten im Brandschutz zu 1,04 % ausgeführt hat.
Damit war klar, dass auch nach mehr als einem Jahr nach der Versetzung noch keine sichtbaren Anhaltspunkte für die behauptete Produktionsverlagerung gab. Das Landesarbeitsgericht kam zu dem Ergebnis, dass die Beklagte weder die behauptete Organisationsentscheidung, noch deren Umsetzung hinreichend dargelegt habe.
Im Übrigen sei es dem erst 24 Jahre alten und familiär ungebunden Gesellen eher zuzumuten gewesen, in den Betrieb nach Chemnitz zu wechseln. Es sei nicht überzeugend, wenn die Beklagte behaupte, dieser sei zu jung und unerfahren.
Urteil des Hessisches Landesarbeitsgericht vom 20. Mai 2016, Az.: 10 Sa 231/15 hier im Volltext
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Zur unternehmerischen Freiheit
Die Arbeitgeber verwenden es wie ein Zauberwort: Die Unternehmerentscheidung! Besonders beliebt ist sie im Rahmen von Kündigungen, weil die Arbeitsgerichte unternehmerische Entscheidungen, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen, nicht inhaltlich hinterfragen, sondern nur auf Plausibilität hin überprüfen dürfen.
Dieser Freiraum sorgt bei betroffenen Arbeitnehmer*innen immer wieder für Unverständnis, ist aber Ausdruck der grundgesetzlich garantierten Unternehmerfreiheit. Der Staat soll sich nicht als der bessere Unternehmer aufspielen. Dies wäre aber der Fall, wenn ein Arbeitsgericht Kündigungen mit der Begründung kassieren könnte, eine andere Entscheidung sei betriebswirtschaftlich sinnvoller gewesen.
Doch die Freiheit hat Grenzen: Immer wieder erlebt man es vor Gericht, dass Arbeitgeber zwar das Schlagwort „Unternehmerische Entscheidung“ wie eine Monstranz vor sich hertragen, im Prozess aber nicht in der Lage sind, diesen Begriff mit Leben zu füllen.
Sie müssen dem Gericht aber zumindest plausibel machen, dass überhaupt eine Entscheidung getroffen wurde: Bricht ein Auftrag weg, folgt der Stellenabbau nicht wie eine Naturgewalt, sondern weil der Unternehmer (optimaler Weise) bestimmte Überlegungen angestellt hat, die wiederum einen Stellenabbau zur Folge haben können.
Wer aber die rechtlich eingeräumte Freiheit missbraucht, um unter dem Deckmantel der Unternehmerentscheidung unliebsame Mitarbeiter zu maßregeln, der erleidet vor Gericht Schiffbruch. Es kann sich also lohnen, gegen solche Maßnahmen eines Arbeitgebers vorzugehen.
Rechtliche Grundlagen
§ 106 Gewerbeordnung
Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.
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