Mit dieser Entscheidung hat der EuGH den Grundsatz der Vertragsfreiheit der Arbeitnehmer gestärkt und einem europäischen „Supergrundrecht der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit“ einen Riegel vorgeschoben.
Beschäftigte werden in private GmbH ausgegliedert
Die ver.di-Mitglieder Vittoria Graf und Ivan Felja können auf ein bewegtes Arbeitsleben zurückschauen: Beide waren lange Jahre im kommunalen Krankenhaus Dreieich-Langen beschäftigt, er als Gärtner, sie als Stationshelferin.
Im Jahr 1997 wurde ihr Betrieb in eine private GmbH überführt, die nicht an die Tarifverträge des Öffentlichen Dienstes gebunden war. Damit sie nicht schlechter stehen, war in ihrem neuen Arbeitsvertrag vereinbart, dass diese Tarifverträge „in ihrer jeweils geltenden Form“ für sie gelten sollten.
Damit war in ihren Arbeitsverträgen festgelegt, dass die Regelungen der Tarifverträge für sie auch dann gelten, wenn sie ergänzt, abgeändert oder ersetzt werden. Im Jahr 2008 ging die private GmbH dann im Konzern Asklepios auf.
Erwerber sieht sich nicht an Bezugnahme gebunden
Asklepios fühlte sich jedoch nicht mehr an die alten Tarifverträge gebunden und verwies darauf, dass nach einem Betriebsübergang Kollektivnormen nur ein Jahr unverändert bleiben müssten. Graf und Felja klagten hiergegen mit Unterstützung ihrer Gewerkschaft und waren durch alle Instanzen hindurch erfolgreich.
Nachdem Asklepios bis hin zum Bundesarbeitsgericht uneinsichtig war, musste dieses schließlich die Sache dem EuGH vorlegen. Denn die deutschen Regelungen zum Betriebsübergang basieren auf der europäischen Betriebsübergangsrichtlinie.
Der Europäische Gerichtshof hatte in einem ähnlichen Verfahren aus Großbritannien entschieden, dass Klauseln, die dynamisch auf Kollektivverträge verweisen, die nach dem Zeitpunkt des Übergangs verhandelt und abgeschlossen werden, gegenüber dem Erwerber nicht durchsetzbar sind.
Denn der Erwerber habe ja keine Möglichkeit gehabt, an den Verhandlungen über diese Verträge teilzunehmen, weil er selbst gerade nicht tarifgebunden ist. Eine Bindung an Regelungen, die er selbst nicht mehr beeinflussen kann, benachteilige den Erwerber in nicht zumutbarer Weise.
Bundesarbeitsgericht legt bei EuGH vor
Entsprechend argumentierte auch der Generalanwalt, der die Wirkung der Bezugnahmeklauseln zeitlich beschränkt sehen wollte.
Dagegen argumentierte Rudolf Buschmann vom Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht der DGB Rechtsschutz GmbH, der die beiden ver.di-Mitglieder vor dem EuGH vertrat. Die bisherige Rechtsprechung des EuGH sei nicht heranzuziehen. Denn bei einer Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag handele es sich eben gerade nicht um eine Kollektivnorm, sondern um eine individuelle Regelung zwischen den Vertragsparteien.
Außerdem, so Buschmann, dürfe Europa keine Obergrenzen für Arbeitnehmerrechte einziehen, wenn ein Mitgliedstaat günstigere Regelungen schaffen wolle. Schließlich berge eine derart verstandene Unternehmerfreiheit das Risiko, dass Arbeitgeber durch fingierte Betriebsübergänge für sie ungünstige Regelungen aushebeln könnten.
EuGH: Dynamische Bezugnahmeklauseln wirken auch bei Übernehmer
Der EuGH schloss sich dieser Ansicht an und stellte fest, dass die dynamischen Bezugnahmeklauseln auch für den Betriebserwerber Asklepios gelten.
Zweck der Richtlinie sei in erster Linie, dass Arbeitnehmer durch einen Betriebsübergang ihre Recht nicht verlieren. Eine Einschränkung der Privatautonomie sei mit der Richtlinie aber nicht bezweckt. Die Richtlinie ziele also nicht darauf ab, „zu verhindern, dass eine dynamische Vertragsklausel ihre Wirkung entfaltet.“
Die im Arbeitsvertrag festgelegten Pflichten gingen also voll auf den Erwerber über. Dies sei auch keine unzumutbare Benachteiligung des Betriebserwerbers. Es sei ihm unbenommen, mit privatautonomen Mitteln, wie etwa einer Änderungskündigung oder einem Änderungsvertrag auf die Vertragsgestaltung Einfluss zu nehmen.
Kein Supergrundrecht der unternehmerischen Freiheit
Rudolf Buschmann ist mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Die Gegenseite hatte sich besonders nach dem Antrag des Generalanwalts schon auf der sicheren Seite gewähnt, nun korrigiert der EuGH seine bisherige Rechtsprechung.
Buschmann hält es für nicht unwahrscheinlich, dass die bisherige Rechtsprechung manche Arbeitgeber und ihre Rechtsberater erst auf die Idee gebracht hat, konzernintern Betriebsübergänge vorzunehmen, um sich so unliebsamer Klauseln zu entledigen.
Dieses Schlupfloch, so freut sich Buschmann, ist den Arbeitgebern jetzt versperrt. Der EuGH stelle den Grundsatz der Privatautonomie völlig zu Recht über die unternehmerische Freiheit. Eine derart entgrenzte Unternehmerfreiheit, die sich nicht an bestehende Verpflichtungen gebunden sieht, hätte nicht nur für Beschäftigte katastrophale Auswirkungen mit sich gebracht.
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Urteil des Europäischen Gerichtshofes
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Rechtliche Grundlagen
§ 613a Abs. 1 BGB, Art. 3 Richtlinie 2001/23/EG
(1) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Satz 2 gilt nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. Vor Ablauf der Frist nach Satz 2 können die Rechte und Pflichten geändert werden, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung nicht mehr gilt oder bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags dessen Anwendung zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer vereinbart wird.
Art 3 Richtlinie 2001/23/EG
1. Die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis gehen aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der Veräußerer und der Erwerber nach dem Zeitpunkt des Übergangs gesamtschuldnerisch für die Verpflichtungen haften, die vor dem Zeitpunkt des Übergangs durch einen Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsverhältnis entstanden sind, der bzw. das zum Zeitpunkt des Übergangs bestand.
2. Die Mitgliedstaaten können geeignete Maßnahmen ergreifen, um zu gewährleisten, dass der Veräußerer den Erwerber über alle Rechte und Pflichten unterrichtet, die nach diesem Artikel auf den Erwerber übergehen, soweit diese dem Veräußerer zum Zeitpunkt des Übergangs bekannt waren oder bekannt sein mussten. Unterlässt der Veräußerer diese Unterrichtung des Erwerbers, so berührt diese Unterlassung weder den Übergang solcher Rechte und Pflichten noch die Ansprüche von Arbeitnehmern gegenüber dem Erwerber und/oder Veräußerer in Bezug auf diese Rechte und Pflichten.
3. Nach dem Übergang erhält der Erwerber die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zur Kündigung oder zum Ablauf des Kollektivvertrags bzw: bis zum Inkrafttreten oder bis zur Anwendung eines anderen Kollektivvertrags in dem gleichen Maße aufrecht, wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren. Die Mitgliedstaaten können den Zeitraum der Aufrechterhaltung der Arbeitsbedingungen begrenzen, allerdings darf dieser nicht weniger als ein Jahr betragen.
4. a) Sofern die Mitgliedstaaten nicht anderes vorsehen, gelten die Absätze 1 und 3 nicht für die Rechte der Arbeitnehmer auf Leistungen bei Alter, Invalidität oder für Hinterbliebene aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen außerhalb der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten.
b) Die Mitgliedstaaten treffen auch dann, wenn sie gemäß Buchstabe a) nicht vorsehen, dass die Absätze 1 und 3 für die unter Buchstabe a) genannten Rechte gelten, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer sowie der Personen, die zum Zeitpunkt des Übergangs bereits aus dem Betrieb des Veräußerers ausgeschieden sind, hinsichtlich ihrer Rechte oder Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter, einschließlich Leistungen für Hinterbliebene, aus den unter Buchstabe a) genannten Zusatzversorgungseinrichtungen.