In dem vom Bundesarbeitsgericht (BAG) zu entscheidenden Fall lag ein solcher Ausnahmefall nicht vor. Der Arbeitgeber hätte die Unverzichtbarkeit des Erscheinens im Betrieb darlegen und beweisen müssen, konnte solche Gründe aber nicht bieten.
Personalgespräch „zur Klärung der weiteren Beschäftigungsmöglichkeit“
Kläger war hier ein Krankenpfleger, der Ende 2013 während einer längeren Arbeitsunfähigkeit von seiner Arbeitgeberin zu einem Personalgespräch eingeladen wurde. Thema sollte die Klärung der weiteren Beschäftigungsmöglichkeit sein.
Der Kläger sagte seine Teilnahme an diesem Gespräch ab und verwies dafür auf seine ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit. Es folgte eine weitere Einladung, diesmal mit einem Hinweis, die gesundheitlichen Hinderungsgründe müssten durch Vorlage eines speziellen ärztlichen Attests nachgewiesen werden. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sollte also nicht reichen. Auch davon ließ sich der Krankenpfleger aber nicht schrecken und sagte erneut unter Berufung auf seine Arbeitsunfähigkeit ab.
Klage auf Entfernung der Abmahnung in allen Instanzen erfolgreich
Diesmal reagierte die Arbeitgeberin mit einer Abmahnung. Die dagegen erhobene Klage hatte beim Arbeitsgericht Erfolg. Damit wollte sich die unterliegende Beklagte nicht abgeben und zog erst vor das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg und dann vor das BAG.
Doch auch das BAG sieht die Sache nicht anders und wies die Revision zurück. Der Kläger habe der Anordnung der Beklagten, im Betrieb zu einem Personalgespräch zu erscheinen, nicht nachkommen müssen.
Erkrankter Arbeitnehmer muss Arbeitspflicht nicht nachkommen
Das BAG hat sich dafür auf § 106 der Gewerbeordnung berufen, der als Grundnorm das Weisungsrecht des Arbeitgebers regelt. Die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers umfasst daran gemessen die Pflicht zur Teilnahme an einem vom Arbeitgeber während der Arbeitszeit im Betrieb angewiesenen Gesprächs, dessen Gegenstand Inhalt, Ort und Zeit der zu erbringenden Arbeitsleistung ist. Der erkrankte Arbeitnehmer müsse aber während der Arbeitsunfähigkeit seiner Arbeitspflicht nicht nachkommen, weshalb er grundsätzlich nicht verpflichtet sei, im Betrieb zu erscheinen.
Ergebnis ist also: Die Abmahnung ist zu Unrecht erfolgt und muss aus der Personalakte des Klägers entfernt werden.
Berechtigtes Interesse des Arbeitgebers am Gespräch bedeutet keine Verpflichtung zur Teilnahme
Das BAG stellte auch klar, dass es dem Arbeitgeber während der Arbeitsunfähigkeit nicht per se untersagt sei, mit dem erkrankten Arbeitnehmer in einem „zeitlich angemessenen Umfang“ in Kontakt zu treten. Was das im Einzelfall bedeutet, bleibt indes ungewiss. Dabei kann es auch um Möglichkeiten der weiteren Beschäftigung nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit gehen. Dafür müsse der Arbeitgeber aber ein berechtigtes Interesse haben, so das BAG.
Eine Verpflichtung des Arbeitsunfähigen der Anweisung zum Erscheinen im Betrieb ergibt sich aber aus dem berechtigten Interesse noch nicht. So verstehen wir die Begründung des BAG, die noch nicht in Urteilsform vorliegt. Eine Verpflichtung besteht vielmehr nur in Ausnahmefällen, wenn das Erscheinen aus betrieblichen Gründen unverzichtbar und der Arbeitnehmer dazu gesundheitlich in der Lage ist.
Lesen Sie zum Thema auch unseren Artikel „Kranke Beschäftigte müssen nicht an einem Personalgespräch teilnehmen“.
Zur Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts zum Urteil vom 02.11.2016 geht es hier.
Das sagen wir dazu:
Eine solche Ausnahme wird sich wohl in den seltensten Fällen darstellen lassen.
Zum Thema ist im zweiten Senat des Bundesarbeitsgericht ein weiteres Verfahren anhängig. Nach dem erfreulichen Urteil des zehnten Senats wird diese Entscheidung sicher nicht in eine andere Richtung gehen, so dass wir von einer Grundsatzentscheidung ausgehen. Diese bietet Arbeitnehmer*innen zumindest eine gewisse Sicherheit, nicht zu viel zu riskieren, wenn einer Einladung zu einem Personalgespräch während einer Arbeitsunfähigkeit nicht Folge geleistet wird.
Rechtliche Grundlagen
§ 106 Gewerbeordnung
§ 106 Weisungsrecht des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.
Das sagen wir dazu