Mit einer besonders skurrilen Argumentation hatte sich das Bundesarbeitsgericht in einer Entscheidung auseinander zu setzen, in der es um die Vergütung von Überstunden ging.
Vereinbart: der Zehneinhalb-Stunden-Tag
Geklagt hatte eine Arbeitnehmerin, die bei einem Entsorgungs- und Recyclingunternehmen als Wiegemeisterin beschäftigt war. Im Arbeitsvertrag war einerseits eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden festgelegt, andererseits sollte die Arbeitszeit Montag bis Freitag von 6:00 Uhr bis 17 Uhr liegen.
Zwischen 12:00 Uhr und 12:30 Uhr durfte die Arbeitnehmerin eine halbe Stunde Pause machen. Damit ergab sich eine tägliche Arbeitszeit von zehneinhalb Stunden.
Nach Ende des Arbeitsverhältnisses machte die Arbeitnehmerin die Stunden, die über die vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden hinausgingen, als Überstunden geltend. Insgesamt klagte sie einen Betrag in Höhe von knapp 24.000 Euro ein.
Überstunden gratis, weil arbeitszeitwidrig?
Die beklagte Arbeitgeberin wehrt sich gegen diese Forderung mit der Begründung, die geleistete Arbeit sei mit dem Bruttojahresverdienst von 32.500 Euro bereits abgegolten. Die Erwähnung von 40 Stunden im Arbeitsvertrag sei ein Versehen gewesen.
Außerdem müsse die arbeitszeitgesetzwidrig erbrachte Arbeitsleistung nicht vergütet werden. Andernfalls werde der Schutzgedanke des Arbeitszeitgesetzes unterlaufen.
Mit dieser Ansicht setzte sich die Beklagte allerdings nicht durch. Zwar hatte das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und das Landesarbeitsgericht die Berufung der Klägerin hiergegen zurückgewiesen.
Das Bundesarbeitsgericht hingegen gab der Klägerin zumindest insofern Recht, als dass Stunden, die über die gesetzliche Höchstdauer hinaus gehen, als Überstunden separat zu vergüten sind.
Verstoß rechtfertigt Entgeltverlust nicht
Richtig sei, so das Bundesarbeitsgericht, dass die Vereinbarung, wonach täglich zehneinhalb Arbeitsstunden zu erbringen sind, nicht erlaubt ist. Dies führe aber nicht dazu, dass die gesamte Vergütungsabrede unwirksam sei.
Zum einen wäre es den Parteien möglich gewesen, eine Arbeitsleistung von wöchentlich 48 Stunden zu vereinbaren, insofern bleibe die Vergütungsabrede wirksam.
Zum anderen dürfe die Arbeitgeberin die Zahlung der arbeitszeitwidrigen Überstunden nicht verweigern. Sinn und Zweck des Arbeitszeitgesetzes sei es nur, dass der Arbeitnehmer nicht über Gebühr in Anspruch genommen wird. Dies bedeute jedoch nicht, dass er seinen Vergütungsanspruch verliert, wenn er trotzdem arbeitet.
Das Bundesarbeitsgericht sprach der Klägerin eine Überstundenvergütung im Umfang von knapp 8.000 Euro zu.
Das vollständige Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24.8.2016, 5 AZR 129/16 gibt hier es im Volltext
Lesen Sie auch unsere Beiträge
Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Arbeitszeit
Anlegen von Schutzkleidung zählt als Arbeitszeit
Ver.di im Kampf gegen die Sonntagsarbeit
Das sagen wir dazu:
Wäre ja noch schöner! - Da wird eine Arbeitnehmerin über die Grenze des gesetzlich erlaubten geknechtet, und dann soll sie für die geleistete Arbeit nicht einmal Geld bekommen. Und der Arbeitgeber wird für seinen Gesetzesverstoß auch noch belohnt, indem er den Lohn spart.
Es leuchtet unmittelbar ein, dass dieses Ergebnis nicht richtig sein kann. Umso erstaunlicher ist, dass die Klägerin bis zum Bundesarbeitsgericht gehen musste, um ihr Recht zu bekommen. Erst die Erfurter Richter stellten klar, was eigentlich jedem einleuchten sollte: Nämlich dass das Arbeitszeitgesetz ein Schutzrecht für Arbeitnehmer ist.
Die Argumentation der Beklagten erinnert an das Vorgehen mancher Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten dazu anhalten, in der Stundenerfassung Pausen auch dann einzutragen, wenn sie überhaupt nicht gemacht wurden und Mehrarbeit über 10 Stunden hinaus ebenfalls nicht zu dokumentieren.
Wenn Beschäftigte sich weigern, weil sie richtigerweise ahnen, dass sie sich damit selbst schaden, werden sie mit der Behauptung eingeschüchtert: „Wenn du das so schreibst, machst du dich strafbar, weil es gegen das Arbeitszeitgesetz verstößt!“
Weit gefehlt. Das Arbeitszeitgesetz kennt nur einen Verpflichteten und das ist der Arbeitgeber. Arbeitnehmer können sich nicht wegen Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz strafbar machen. Aber sie verlieren ihre Vergütung, wenn sie die geleisteten Stunden nicht dokumentieren. Im Prozess haben sie nichts in der Hand.
Arbeitnehmer sollten daher selbst darauf achten, dass sie die Arbeitszeit einhalten und den Arbeitgeber gegebenenfalls darauf hinweisen, dass die zulässige Arbeitszeit überschritten ist. Ignoriert der Arbeitgeber das Arbeitszeitgesetz systematisch, können sich die Beschäftigten an das Gewerbeaufsichtsamt als zuständige Kontrollinstanz wenden.
Keinesfalls jedoch sollten Beschäftigte kürzere Arbeitszeiten dokumentieren. Wenn die Arbeitszeit richtig dokumentiert ist, kann man wenigstens Entgelt für die geleistete Arbeit fordern, andernfalls geht man komplett leer aus.
Rechtliche Grundlagen
§§ 3, 22, 23 ArbzG
Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.
§ 22 Bußgeldvorschriften
(1) Ordnungswidrig handelt, wer als Arbeitgeber vorsätzlich oder fahrlässig
1. entgegen §§ 3, 6 Abs. 2 oder § 21a Abs. 4, jeweils auch in Verbindung mit § 11 Abs. 2, einen Arbeitnehmer über die Grenzen der Arbeitszeit hinaus beschäftigt,
2. entgegen § 4 Ruhepausen nicht, nicht mit der vorgeschriebenen Mindestdauer oder nicht rechtzeitig gewährt,
3. entgegen § 5 Abs. 1 die Mindestruhezeit nicht gewährt oder entgegen § 5 Abs. 2 die Verkürzung der Ruhezeit durch Verlängerung einer anderen Ruhezeit nicht oder nicht rechtzeitig ausgleicht,
4. einer Rechtsverordnung nach § 8 Satz 1, § 13 Abs. 1 oder 2, § 15 Absatz 2a Nummer 2, § 21 Absatz 1 oder § 24 zuwiderhandelt, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist,
5. entgegen § 9 Abs. 1 einen Arbeitnehmer an Sonn- oder Feiertagen beschäftigt,
6. entgegen § 11 Abs. 1 einen Arbeitnehmer an allen Sonntagen beschäftigt oder entgegen § 11 Abs. 3 einen Ersatzruhetag nicht oder nicht rechtzeitig gewährt,
7. einer vollziehbaren Anordnung nach § 13 Abs. 3 Nr. 2 zuwiderhandelt,
8. entgegen § 16 Abs. 1 die dort bezeichnete Auslage oder den dort bezeichneten Aushang nicht vornimmt,
9. entgegen § 16 Abs. 2 oder § 21a Abs. 7 Aufzeichnungen nicht oder nicht richtig erstellt oder nicht für die vorgeschriebene Dauer aufbewahrt oder
10. entgegen § 17 Abs. 4 eine Auskunft nicht, nicht richtig oder nicht vollständig erteilt, Unterlagen nicht oder nicht vollständig vorlegt oder nicht einsendet oder entgegen § 17 Abs. 5 Satz 2 eine Maßnahme nicht gestattet.
(2) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 bis 7, 9 und 10 mit einer Geldbuße bis zu fünfzehntausend Euro, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 8 mit einer Geldbuße bis zu zweitausendfünfhundert Euro geahndet werden.
§ 23 Strafvorschriften
(1) Wer eine der in § 22 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, 5 bis 7 bezeichneten Handlungen
1. vorsätzlich begeht und dadurch Gesundheit oder Arbeitskraft eines Arbeitnehmers gefährdet oder
2. beharrlich wiederholt,wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Wer in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bestraft.
Das sagen wir dazu