Die Weigerung der Fa. Tönnies, einen Gutachter zur Klärung der Wege- und Umkleidezeiten in den Betrieb zu lassen, war nach dem Arbeitsgericht Bielefel
Die Weigerung der Fa. Tönnies, einen Gutachter zur Klärung der Wege- und Umkleidezeiten in den Betrieb zu lassen, war nach dem Arbeitsgericht Bielefel

Wie lange dauert es, die vorgeschriebene Weißkleidung anzuziehen und wie weit ist der Weg vom Drehkreuz zur Umkleidekabine und dann zum Arbeitsplatz?
Das sind die streitentscheidenden Fragen in den zwei Prozessen, die das Bielefelder Büro der DGB Rechtsschutz GmbH für zwei Mitglieder der Gewerkschaft NGG führt. Diese Fragen sind noch immer nicht geklärt und - was schwerer wiegt - werden sich wohl auch nicht klären lassen, zumindest nicht in diesen Verfahren.

Arbeitgeberin und Betriebsinhaber wegen Leiharbeit nicht identisch

Das Problem dabei ist: Beklagter im Verfahren ist die Arbeitgeberin, die Firma Besselmann Services, nach eigenen Angaben Allround-Dienstleister für die Lebensmittelindustrie. Arbeitsort ist die Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück, Hauptsitz der Tönnies Lebensmittel GmbH & Co. KG. Hier, im einem der größten Schlachtbetriebe Deutschlands, ist es den Mitarbeitern vorgeschrieben, sich vor Arbeitsbeginn in Hygieneschutzkleidung umzukleiden. Dies erfolgt nach Passieren des Drehkreuzes in Umkleidekabinen und im Anschluss muss ein mehrminütiger Fußweg zum Arbeitsplatz zurückgelegt werden.

Firma  Tönnies weigert sich einen Sachverständigen in den Betrieb zu lassen

Dass die Arbeitszeit erst ab dem Eintreffen am Arbeitsplatz vergütet wird, ist rechtlich nicht in Ordnung. Das sieht auch das Arbeitsgericht Bielefeld so, problematisch ist jedoch die Ermittlung der Zeiten. Denn die beklagte Arbeitgeberin sagt: Ist ja nicht unser Betrieb, wir haben keine Kenntnis über die genaue Dauer der Umkleidezeiten noch über die genaue Wegstrecke, die zurückgelegt werden muss. Und die Fa. Tönnies sagt: Wir sind ja gar nicht Beklagte im Verfahren und einen Sachverständigen müssen wir nicht in unseren Betrieb lassen.

Bei diesem Stand dümpelte der Rechtsstreit vor sich hin, als wir das letzte Mal darüber berichteten.

Mehr dazu in unserem Beitrag "Tönnies blockiert Rechtsstreit wegen Wege- und Umkleidezeiten"

Urteil: Firma Tönnies muss Gutachter nicht in den Betrieb lassen

Allerdings waren wir - auch aufgrund eines richterlichen Hinweises - davon ausgegangen, dass der Einsatzbetrieb Tönnies den Sachverständigen letztlich in den Betrieb lassen muss, damit die Zeiten ermittelt und ein Urteil gefällt werden kann.
Diese Zuversicht wurde enttäuscht. Die im Juli für die 4. Kammer zuständige Richterin befand per Zwischenurteil: Die Fa. Tönnies ist nicht verpflichtet, den vom Gericht bestellten Gutachter zum Zwecke der Erstellung eines Sachverständigengutachtens Zugang zum Grundstück und den Betriebsgebäuden zu gewähren.

Betriebsräume geschützt wie eine Wohnung

Die knappe Entscheidung wurde mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Betriebsräume begründet. Da diese nicht frei zugänglich sind, unterfielen sie dem Schutz des Artikel 13 Grundgesetz („Die Wohnung ist unverletzlich“).

Es folgte ein gerichtlicher Vergleichsvorschlag wonach pro Tag des Einsatzes im Betrieb Tönnies 20 Minuten Umkleide-und Wegezeiten vergütet würden. Hier wurde darauf hingewiesen, dass die streitgegenständlichen Umkleide- und Wegezeiten zu vergüten sind.

Beklagte zahlt kleine Klagesumme um Vergleich zu entgehen

Und dann folgte der nächste Schlag ins Kontor: Das beklagte Unternehmen Besselmann teilte dem Gericht mit, die Klageforderung sei beglichen worden und die Klägerseite möge den Rechtsstreit für erledigt erklären.

Die Klägerseite vermochte dies aber nicht. In der Tat waren die eingeklagten Summen abgerechnet und ausgezahlt worden. Allerdings ist der Beklagten genauso wie dem Gericht klar, dass es um mehr als die Klagesumme geht. Diese war auch sehr niedrig, weil in einem Falle wegen Elternzeit längere Zeit nicht mehr gearbeitet wurde und im anderen Fall die Klage nicht erweitert wurde nachdem die Beklagte auf Ausschlussfristen verzichtet hatte. Bewusst war nicht jeder Monat geltend gemacht worden, sondern es war bei der ursprünglichen kleinen Summe geblieben, da es um eine grundsätzliche Klärung gerichtet auf die Zukunft geht.

Entgegen anderer Bekundungen will die Beklagte vom erklärten Ziel einer Regelung für die Zukunft nichts mehr wissen und versucht, sich durch die Zahlung aus der Affäre zu ziehen.

Ob erfolgreich wird sich im November zeigen, denn dann findet eine mündliche Verhandlung statt, nachdem die Kläger erklärt haben, den Rechtsstreit fortsetzen zu wollen.

Anmerkung:

Wie schon im früheren Artikel erwähnt, spricht das Verhalten der beteiligten Unternehmen für sich! Dass die Weigerung der Fa. Tönnies, den Sachverständigen in den Betrieb zu lassen, nun gerichtlich abgesegnet wurde, ist mehr als bedauerlich. Im November werden wir wissen, ob das zweijährige Verfahren völlig für die Katz war - bis auf einige hundert Euro, die weder den Kläger*innen helfen und schon gar nicht den vielen anderen Mitarbeitern, die trotz klarer Rechtslage keine Umkleide- und Wegezeiten vergütet bekommen.

Lesen Sie auch den ersten Teil dieser Geschichte: Tönnies blockiert Rechtsstreit wegen Umkleide- und Wegezeiten
Weiteres zum Thema Umkleidezeiten finden Sie in unserem Schwerpunktthema Arbeitszeit

Rechtliche Grundlagen

Art. 13 Grundgesetz

Art. 13 Grundgesetz
(1) Die Wohnung ist unverletzlich.
(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.
(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.
(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.
(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.
(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.
(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.