Der Auszubildende (Azubi), über dessen Klage das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden hat, wollte sofort mit seiner Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel beginnen. Das Unternehmen, bei dem er sich beworben hatte, bot ihm aber erst einmal nur ein Praktikum zur Überbrückung der Zeit bis zum Ausbildungsbeginn an. Der Azubi nahm das Angebot an, um sich die Chance auf den ersehnten Ausbildungsplatz zu erhalten. Das Praktikum fand in der Zeit von Mitte März bis Ende Juli 2015 statt; für die ersten 2 Monate war eine Probezeit verabredet. Anschließend ab dem 1.8.2015 konnte der Azubi tatsächlich – wie versprochen – seine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann beginnen. Es wurde wieder eine Probezeit vereinbart, diesmal von 3 Monate
Ende Oktober, also kurz vor Ende dieser Probezeit erhielt der Azubi die fristlose Kündigung. Er wehrte sich und klagte gegen die Kündigung, hatte aber keinen Erfolg.
Probezeit im Ausbildungsverhältnis
Im Berufsbildungsgesetz ist geregelt, dass im Ausbildungsverhältnis eine Probezeit vereinbart werden muss. Diese muss mindestens 1 Monat betragen, darf aber nicht länger als 4 Monate se.
Kündigung während der Probezeit
Die vereinbarte Probezeit hat vor allem Bedeutung für die Kündigung des Ausbildungsverhältnisses. Wird eine Kündigung innerhalb der Probezeit ausgesprochen, muss keine Frist eingehalten werden. Der ausbildende Betrieb muss auch keinen wichtigen Grund angeben; er muss lediglich die Schriftform wahren. Mündliche Kündigungen sind also unwirksam. Erst nach der Probezeit gelten strengere Regeln für die Beendigung des Ausbildungsverhältnisses. Sie kann nur aus einem wichtigen Grund erfolgen; konkrete Kündigungsgründe müssen schon im Kündigungsschreiben genannt werden.
Orientierungspraktikum vor der Ausbildung
Das seit dem 1.1.2015 geltende Mindestlohngesetz (MiLoG) erwähnt das sogenannte Orientierungspraktikum ausdrücklich. Da gerade Praktikanten in der Vergangenheit häufig als billige Arbeitskräfte missbraucht wurden, bestimmt das MiLoG, dass auch Praktikanten den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 EUR erhalten müssen. Das Gesetz sieht allerdings Ausnahmen vor. So muss der Mindestlohn nicht während eines Praktikums gezahlt werden, das beispielsweise zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums geleistet wird. Das gilt aber nur für die ersten 3 Monate dieses Praktikums. Dauert es länger, muss der Arbeitgeber Mindestlohn zahlen, und zwar sogar rückwirkend seit Beginn des Praktikums.
Praktikum gilt nicht als Probezeit
Schließt sich an das Praktikum eine Berufsausbildung beim selben Arbeitgeber an, stellt sich die Frage, ob im Berufsausbildungsverhältnis wieder eine neue Probezeit gilt. Offen ist auch, ob das Praktikum die Probezeit ersetzen kann. Das BAG hat entschieden: nein. Im Ausbildungsverhältnis beginnt die Probezeit neu. Die vorherige Praktikumszeit zählt nicht.
Die Begründung des BAG: Die Pflichten während eines Ausbildungsverhältnisses sind andere als die während eines Praktikums. Azubi und Ausbildungsbetrieb sollen deshalb die besonderen und wesentlichen Umstände eines Ausbildungsverhältnisses während der Probezeit prüfen können. Es kommt auch nicht darauf an, wie im Einzelnen das Praktikum gestaltet war und welchem Zweck es gedient hat.
Früheres Arbeitsverhältnis wird auch nicht berücksichtigt
Bereits in einer früheren Entscheidung hat das BAG festgestellt, dass auch ein Arbeitsverhältnis unmittelbar vor der Ausbildung nicht auf die Probezeit angerechnet wird. Es hat dies ebenfalls mit den unterschiedlichen Pflichten im Arbeitsverhältnis und in der Ausbildung begründet. Azubis müssten sich bemühen, Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben, während Arbeitnehmer*innen die vereinbarte Arbeitsleistung erbringen müssten.
Fristlose Kündigung wirksam
Für die Kündigung des Azubi in der aktuellen Entscheidung war entscheidend, dass das vorherige Praktikum nach Auffassung des BAG nicht für die Probezeit zählt. Wäre das Praktikum nämlich schon als Probezeit zu rechnen, wäre die Kündigung unwirksam. Denn dann wären die vereinbarten 3 Monate Probezeit zum Zeitpunkt der Kündigung abgelaufen und die Arbeitgeberin hätte die strengen Kündigungsregeln nach dem Ende der Probezeit einhalten müssen.
Anmerkung der Redaktion zum Praktikum als Probezeit:
Ob das Praktikum als Probezeit zählen kann, beurteilt sich nach dem Sinn und Zweck einer Probezeit. Im Ausbildungsverhältnis soll der/die Azubi während der Probezeit überprüfen, ob die gewählte Ausbildung die richtige ist und die Zusammenarbeit mit Kollegen*innen und Vorgesetzen im Ausbildungsbetrieb gelingt. Arbeitgeber sollen prüfen können, ob der/die Azubi geeignet ist und zum Ausbildungsbetrieb passt.
Praktikum hat auch Erprobungszweck
Diese Zwecke verfolgt auch ein Praktikum, das der Orientierung auf eine Berufsausbildung dient. Es ist zwar richtig, dass sich Tätigkeiten und Pflichten in einem Praktikum von denen einer Berufsausbildung unterscheiden. Dennoch lernen sich Arbeitgeber und Praktikant*in während eines 3-monatigen Praktikums in der Regel so gut kennen, dass sie beurteilen können, ob man gedeihlich zusammenarbeiten kann und ausreichend Interesse und Eignung für die Ausbildung besteht. Ein Orientierungspraktikum ist - anders als ein vorgeschaltetes Arbeitsverhältnis – auch konkret auf die spätere Ausbildung ausgerichtet. Es ist daher wenig nachvollziehbar, dass das BAG generell keine Praktikumszeit auf Probezeiten anrechnen will.
Auch auf die jeweilige Gestaltung im Einzelfall soll es nicht ankommen. Dabei ist durchaus vorstellbar, dass die Tätigkeiten während des Praktikums und der anschließenden Ausbildung im Wesentlichen gleich sind und auch die gleichen Vorgesetzten weisungsbefugt waren. Es hätte zumindest nahe gelegen, die Probezeit bei vorgeschaltetem Orientierungspraktikum auf die im Berufsbildungsgesetz zwingend vorgeschriebene Mindestzeit von 1 Monat zu reduzieren. Dies würde auch einer missbräuchlichen Praxis von Orientierungspraktika entgegenwirken. Denn gerade, weil das MiLoG Orientierungspraktika vom Mindestlohn ausnimmt und damit für Arbeitgeber günstig gestaltet, besteht die Gefahr, dass junge Menschen zumindest in gefragten Berufsfeldern Ausbildungsverträge erst nach einem vorgeschalteten Praktikum erhalten. Der Ausbildungsvertrag ist dann möglicherweise nur ein Versprechen, das bereits in der Probezeit der Berufsausbildung nicht mehr eingehalten wird.
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts liegt noch nicht vor. Die Pressemitteilung können Sie hier nachlesen