Meldet sich ein Betriebsratsmitglied wegen Vorrang der Arbeitspflicht von einer Sitzung ab, muss bei Hinderungsgrund ein Ersatzmitglied geladen werden
Meldet sich ein Betriebsratsmitglied wegen Vorrang der Arbeitspflicht von einer Sitzung ab, muss bei Hinderungsgrund ein Ersatzmitglied geladen werden


Auf den ersten Blick wird nicht ein Jeder die Tragweite dieses Problems erkennen: „Soll er doch arbeiten, wenn ihm das wichtiger ist“ mag manch einer denken.

Stopp!

Die richtige Entscheidung in diesem Punkt kann wesentlich werden für die Frage, ob der Betriebsrat in seiner Sitzung wirksame Beschlüsse fassen kann.

Betriebsratsbeschlüsse nur bei richtiger Zusammensetzung

Wenn nämlich die Arbeitspflicht Vorrang vor der Amtspflicht hat, dann muss das Erbringen der Arbeit auch als anerkannter Hinderungsgrund im Sinne des § 25 Absatz 1 Satz 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) gewertet werden. 

Und der Betriebsratsvorsitzende muss dann bei rechtzeitiger Absage des wegen Arbeit verhinderten Amtsträgers ein Ersatzmitglied laden. Unterlässt er dies, ist der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß besetzt. Er kann dann keine wirksamen Beschlüsse fassen.

Amtspflicht vor Arbeitspflicht

Grundsätzlich hat natürlich die Amtspflicht Vorrang vor der Arbeitspflicht. Der Betriebsrat ist nach § 37 Absatz 2 BetrVG von der Arbeit freizustellen.

Eine Ausnahme gilt aber dann, wenn der Betriebsrat an seinem Arbeitsplatz unabkömmlich ist, weil seine Arbeit unbedingt von ihm erbracht werden muss, zum Beispiel zur Behebung eines Notfalls oder zur Erledigung eines unaufschiebbaren Kundenauftrages.

In einem derartigen Interessenkonflikt muss dann das betroffene Betriebsratsmitglied unter Berücksichtigung der Bedeutung des von ihm eingegangenen Amtes darüber entscheiden, welchen Pflichten es den Vorrang einräumt. Entscheidet es sich für die Arbeit, muss der Betriebsratsvorsitzende regelmäßig von einem Verhinderungsfall ausgehen und zur Sitzung ein Ersatzmitglied laden.

Im Zweifelsfall Nachprüfung durch den Vorsitzenden 

Hat allerdings der Betriebsratsvorsitzende Anhaltspunkte dafür, dass sich das arbeitswillige Betriebsratsmitglied pflichtwidrig entschieden hat, muss er den Verhinderungsgrund nachprüfen und kann eventuell auf die Ladung des Ersatzmitgliedes verzichten. 

Diese Zweifel sollte er allerdings dokumentieren, falls es später Unsicherheiten bei der korrekten Zusammensetzung des Betriebsrates geben sollte. Entscheidet sich nämlich der Amtsträger pflichtwidrig für die Arbeit, ist er nicht verhindert im Sinne des Gesetzes. Ein Ersatzmitglied muss/darf nicht geladen werden. Und das abwesende, weil arbeitende Betriebsratsmitglied verletzt bei Nichterscheinen zur Betriebsratssitzung seine Amtspflicht.

Fatale Folgen bei falscher Zusammensetzung

In einem vom Landesarbeitsgericht Hamm entschiedenen Fall konnte der antragstellende Betriebsrat seinen Anspruch auf Kostenersatz für die Teilnahme des Vorsitzenden an einer Betriebsräteschulung nicht durchsetzen, weil ein wirksamer Betriebsratsbeschluss nicht vorlag.
 

Der Betriebsratsvorsitzende hatte nämlich für zwei Betriebsratsmitglieder, die sich wegen Vorrangs der Arbeitspflicht von der Sitzung abgemeldet hatten, keine Ersatzmitglieder geladen. Dies hätte er aber tun müssen, da er keine Anhaltspunkte für pflichtwidriges Verhalten der Amtsträger hatte.

Links:

Das sagen wir dazu:

Es sollte für jedes gewählte Betriebsratsmitglied selbstverständlich sein, an einer Betriebsratssitzung teilzunehmen statt zu arbeiten. Nur im absoluten Notfall, der dann auch stichhaltig begründet werden muss, hat die Arbeitspflicht Vorrang. Bequemlichkeit, Unlust, an einer Sitzung ohne interessante Themen teilzunehmen oder einfach der Wunsch, einem Konflikt mit dem Vorgesetzten aus dem Wege zu gehen, reichen als Entschuldigungsgrund nicht.

Jeder Arbeitgeber hat die Entscheidung eines gewählten Betriebsrates für die Ausübung des Amtes und gegen die Arbeit zu akzeptieren. Schließlich ist ihm das Wahlergebnis bekannt. Er weiß, wer in den Betriebsrat gewählt wurde und er kennt die Sitzungstermine. Dann hat er sich darauf einzustellen, dass Betriebsräte auch hin und wieder ihrer Arbeit nicht nachkommen können.

Der/die Betriebsratsvorsitzende sollte die Einhaltung der Amtspflicht sorgfältig im Auge behalten. Nicht nur, dass er bei begründetem Fernbleiben ein Ersatzmitglied laden muss. Häufiges unberechtigtes Fernbleiben stellt eine Amtspflichtverletzung im Sinne des § 23 Absatz 1 BetrVG dar und kann ein Ausschlussverfahren rechtfertigen.

Durch rechtzeitige Einladung zur Betriebsratssitzung beziehungsweise rechtzeitige Mitteilung an den Arbeitgeber kann die Planung erleichtert und die Konfliktsituation entschärft werden.

Rechtliche Grundlagen

§§ 23, 25 BetrVG

§ 23 Verletzung gesetzlicher Pflichten
(1) Mindestens ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, der Arbeitgeber oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Der Ausschluss eines Mitglieds kann auch vom Betriebsrat beantragt werden.
(2) Wird der Betriebsrat aufgelöst, so setzt das Arbeitsgericht unverzüglich einen Wahlvorstand für die Neuwahl ein. § 16 Abs. 2 gilt entsprechend.
(3) Der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus diesem Gesetz beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine Handlung zu unterlassen, die Vornahme einer Handlung zu dulden oder eine Handlung vorzunehmen. Handelt der Arbeitgeber der ihm durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegten Verpflichtung zuwider, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden, so ist er auf Antrag vom Arbeitsgericht wegen einer jeden Zuwiderhandlung nach vorheriger Androhung zu einem Ordnungsgeld zu verurteilen. Führt der Arbeitgeber die ihm durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegte Handlung nicht durch, so ist auf Antrag vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Handlung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Antragsberechtigt sind der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft. Das Höchstmaß des Ordnungsgeldes und Zwangsgeldes beträgt 10.000 Euro.

§ 25 Ersatzmitglieder
(1) Scheidet ein Mitglied des Betriebsrats aus, so rückt ein Ersatzmitglied nach. Dies gilt entsprechend für die Stellvertretung eines zeitweilig verhinderten Mitglieds des Betriebsrats.
(2) Die Ersatzmitglieder werden unter Berücksichtigung des § 15 Abs. 2 der Reihe nach aus den nichtgewählten Arbeitnehmern derjenigen Vorschlagslisten entnommen, denen die zu ersetzenden Mitglieder angehören. Ist eine Vorschlagsliste erschöpft, so ist das Ersatzmitglied derjenigen Vorschlagsliste zu entnehmen, auf die nach den Grundsätzen der Verhältniswahl der nächste Sitz entfallen würde. Ist das ausgeschiedene oder verhinderte Mitglied nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl gewählt, so bestimmt sich die Reihenfolge der Ersatzmitglieder unter Berücksichtigung des § 15 Abs. 2 nach der Höhe der erreichten Stimmenzahlen.