Ein Betriebsratsmitglied, das gleichzeitig als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen an einer Betriebsratssitzung teilnimmt, ist nicht generell als Betriebsratsmitglied verhindert. Ergibt sich ein Interessenkonflikt im Einzelfall, muss die Vertrauensperson diesen gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden anzeigen.
Der Fall:
Der Antragsteller ist Betriebsratsmitglied und Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen. Bisher teilte er im Vorfeld jeder Betriebsratssitzung mit, in welcher Funktion er teilnehmen werde. Nach Aufforderung des Betriebsratsvorsitzenden, erklärte er dann, dass er zukünftig primär als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen teilnehmen werde.
Einige Zeit später teilte der Betriebsratsvorsitzende dem Mitglied mit, dass die Sitzungsteilnahme zukünftig anders gehandhabt werde. Bei einer Doppelfunktion von Schwerbehindertenvertretung und Betriebsratsmitgliedschaft werde zukünftig nicht mehr von einer Verhinderung des Betriebsratsmitglieds ausgegangen.
Entsprechend lud der Vorsitzende zur nächsten Betriebsratssitzung ein ohne – wie in der Vergangenheit praktiziert - ein Ersatzmitglied einzuladen. Auch der Antragsteller teilte lediglich mit, dass er als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen teilnehmen werde. Später berief er sich darauf, dass die Betriebsratsbeschlüsse der streitgegenständlichen Sitzung wegen möglicher Interessenkollision unwirksam seien.
Die Entscheidung:
Dieser Auffassung ist das Hessische LAG nicht gefolgt. Die Richter konnten keine Verhinderungsgründe im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG feststellen. Zwar sind Betriebsratsmitglieder mit Doppelmandat, die sich in einer Interessenkollision befinden, zeitweilig verhindert. Solche Interessenkollisionen können jedoch schon nach der gesetzlichen Ausgangslage kaum entstehen.
Jedenfalls bestand diese für die streitgegenständliche Sitzung nicht. Der Antragsteller hat weder vor der Sitzung noch in diesem Verfahren eine Interessenkollision angezeigt. Dies hätte er jedoch tun müssen. Dies hätte seine Geheimhaltungspflicht aus § 96 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB IX nicht verletzt.
Er hätte aber konkret benennen müssen, hinsichtlich welchen Tagesordnungspunktes eine Interessenkollision auftreten kann. Nur für diesen Tagesordnungspunkt wäre er dann verhindert gewesen und nicht für die gesamte Betriebsratssitzung. Nur für Tagesordnungspunkte, die eine Interessenkollision befürchten lassen, ist ein Ersatzmitglied zu laden. Die engen Tatbestandsvoraussetzungen des § 96 Abs. 7 Satz 1Nr. 1 SGB IX lassen eine pauschale Berufung auf eine Interessenkollision für die gesamte Sitzung nicht zu.
Es besteht auch kein Vertrauensschutz zugunsten des Mitgliedes. Die Praxis entsprach nicht dem Gesetz, denn er war – wie bereits ausgeführt - nicht verhindert, an der streitgegenständlichen Sitzung teilzunehmen. Vertrauen auf die Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Zustandes ist aber nicht geschützt, meinten die Richter.
Folgen für die Praxis:
Die ordnungsgemäße Einladung und Teilnahme an den Betriebsratssitzungen ist Voraussetzung für eine wirksame Beschlussfassung des Gremiums. Hierzu gehört, dass die Tagesordnung rechtzeitig vor der jeweiligen Sitzung den Mitgliedern zur Kenntnis gegeben wird. Ist ein Betriebsratsmitglied aus terminlichen Gründen an der Sitzungsteilnahme gehindert, so ist ein Ersatzmitglied zu laden. Es kann aber auch dazu kommen, dass ein Betriebsrat deshalb nicht an der Erörterung und Beschlussfassung zu einem Tagesordnungspunkt teilnehmen kann, weil er persönlich betroffen ist oder aus anderen Gründen eine Interessenkollision entsteht. Allein die Häufung mehrerer Ämter, rechtfertigt die Annahme einer solchen Interessenkollision, die die Nichtteilnahme an einer Betriebsratssitzung rechtfertigen könnte, nicht. Sollte doch die Besorgnis entstehen, so rechtfertigt auch dies nicht das Fernbleiben von der ganzen Sitzung. Es ist vielmehr der konkrete Tagesordnungspunkt zu benennen. Allein zu diesem Tagesordnungspunkt wäre dann das Ersatzmitglied zu laden, während das ordentliche Mitglied an allen anderen Besprechungen und Beschlussfassungen teilnehmen kann.
Das Gericht hat im Übrigen aber darauf hingewiesen, dass aufgrund der bestehenden Geheimhaltungspflichten sowohl im Betriebsratsamt, als auch im Amt der Vertrauensperson solche Konflikte kaum auftreten dürften. Eine Wahlmöglichkeit ob ein Mitglied in seiner Funktion als Betriebsrat oder als Vertrauensperson der Schwerbehinderten an der Sitzung teilnimmt, besteht jedenfalls nicht. In einem solchen Falle nimmt das Mitglied immer beide Funktionen wahr.
Tjark Menssen
Beschluss des Hessischen LAG vom 01.11.2012, Az: 9 TaBV 156/12