Anfechtbarkeit und Nichtigkeit einer Betriebsratswahl unterscheiden sich sowohl von ihren Voraussetzungen als auch von ihren rechtlichen Folgen her erheblich.
Anfechtung der Wahl
Für die erfolgreiche Anfechtung einer Betriebsratswahl müssen vier Voraussetzungen erfüll sein.
- Nur, wer zur Anfechtung berechtigt ist, kann anfechten.
- Die Anfechtungsfrist ist einzuhalten.
- Es muss ein Anfechtungsgrund, also ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften vorliegen.
- Es muss die Möglichkeit bestehen, dass der Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften zu einem anderen Wahlergebnis führt.
Die Anfechtungsberechtigung
Zur Anfechtung berechtigt sind:
- drei wahlberechtigte Arbeitnehmer*innen oder
- eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder
- der Arbeitgeber
Drei wahlberechtigte Arbeitnehmer*innen
Wahlberechtigt sind alle Arbeitnehmer*innen, des Betriebes, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Für Leiharbeiter*innen ist zusätzliche Voraussetzung, dass sie bereits länger als drei Monate im Entleiherbetrieb arbeiten.
Im Betrieb vertretene Gewerkschaft
Eine Gewerkschaft ist im Betrieb vertreten, wenn mindestens eines ihrer Mitglieder im Betrieb beschäftigt ist.
Die örtliche Verwaltungsstelle einer Gewerkschaft muss durch die Satzung zur Wahlanfechtung ermächtigt sein.
Fehlende Berechtigung
Keine Berechtigung, die Wahl anzufechten, haben
- ein*e einzelne Arbeitnehmer*in (auch, wenn er/sie bei ordnungsgemäßer Wahl in den Betriebsrat gekommen wäre)
- der Betriebsrat als Gremium
- der Wahlvorstand als Gremium
Die Anfechtungsfrist
Die Anfechtung muss innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des
Wahlergebnisses erfolgen.
Das Wahlergebnis ist bekanntzumachen, sobald die Namen der neu gewählten Betriebsratsmitglieder endgültig feststehen. Dazu muss es „… an einer oder mehreren geeigneten, den Wahlberechtigten zugänglichen Stellen …“ aushängen.
Die Anfechtungsfrist ist eine Ausschlussfrist. Das bedeutet, dass nach ihrem Ablauf keine Anfechtung mehr möglich ist. Es kommt dann aber noch die Feststellung einer Nichtigkeit der Wahl in Betracht.
Die Verletzung wesentlicher Wahlvorschriften
Wesentliche Wahlvorschriften sind solche, die tragende Grundprinzipien der Wahl enthalten. In Betracht kommen Verstöße gegen
- das Wahlrecht,
- die Wählbarkeit sowie
- das Wahlverfahren.
Verstoß gegen das Wahlrecht
Hier ist vor allem zu beachten, dass wahlberechtigte Leiharbeitnehmer*innen auch die Möglichkeit zur Teilnahme an der Wahl bekommen.
Ein Verstoß kann zu einer erfolgreichen Anfechtung führen. Allerdings hat eine Anfechtung keinen Erfolg, wenn die Wahlberechtigung zwischen der Wahl und dem Abschluss der gerichtlichen Verhandlung über die Anfechtung eintritt. Das ist beispielsweise der Fall, wenn eine Wählerin in diesem Zeitraum ihr 18.Lebensjahr vollendet.
Verstoß gegen die Wählbarkeit
Wählbar ist unter anderem, wer wahlberechtigt ist und dem Betrieb im Moment der Wahl sechs Monate angehört. Darauf sind Zeiten anzurechnen, in denen Arbeitnehmer*innen unmittelbar vorher in einem anderen Betrieb desselben Unternehmens oder Konzern beschäftigt waren.
Ausgenommen von der Wählbarkeit sind Leiharbeitnehmer*innen, die unter das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz fallen.
Ein Verstoß gegen diese Grundsätze kann ebenfalls zu einer erfolgreichen Anfechtung führen. Im Hinblick auf eine mögliche Heilung von Verstößen gilt dasselbe wie bei der Wahlberechtigung.
Verstoß gegen das vorgeschriebene Wahlverfahren
Hier kommen nur Verstöße gegen Vorschriften in Betracht, die für die Anwendung der Grundsätze des Betriebsverfassungsgesetzes sowie der Wahlordnung von wesentlicher und nicht nur förmlicher Bedeutung sind.
Dabei ist im Einzelfall für jede das Wahlverfahren betreffende Norm zu prüfen, ob sie von wesentlicher Bedeutung ist.
So haben die Arbeitsgerichte etwa entschieden, dass ein Anfechtungsgrund vorliegt bei
- mangelndem Schutz des Minderheitengeschlechts (Betriebsratswahl 2018 / Teil 2: Schutz des Minderheitengeschlechts)
- nicht ordnungsgemäßer Unterrichtung ausländische Kolleg*innen durch das Wahlausschreiben
- Versäumen der Frist zum Einreichen von Wahlvorschlägen
- Fehler bei der Bekanntgabe des Wahlausschreibens
- Verletzung des Wahlgeheimnisses
- Durchführung einer generellen Briefwahl
- Nicht ordnungsgemäße Zusammensetzung des Wahlvorstandes
- …
Diese Liste ist nur ein kleiner Auszug aus den von den Arbeitsgerichten anerkannten Anfechtungsgründen. Weitere Beispiele finden sich bei
Fitting, Schmidt, Trebinger, Linsenmaier: Betriebsverfassungsgesetz, Randnummer 22 zu § 19.
Möglichkeit eines anderen Wahlergebnisses
Es reicht aus, dass das Wahlergebnis nach der allgemeinen Lebenserfahrung ohne den Verstoß möglicherweise anders ausgefallen wäre. Es ist deshalb zu untersuchen, ob ein anderes Ergebnis aufgrund des Verstoßes nicht gänzlich unwahrscheinlich ist. Dabei sind immer die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.
Anfechtung der Wahl einzelner Betriebsrät*innen
Neben der Wahlanfechtung, die sich auf das gesamte Gremium bezieht, ist es auch möglich, die Wahl einzelner Personen anzufechten. Das kommt beispielsweise in Betracht, wenn jemand einen Sitz im Betriebsrat erhält, ohne volljährig zu sein. Dasselbe gilt, wenn die/der Gewählte noch keine sechs Monate im Betrieb beschäftigt war.
Anfechtungsverfahren
Wer eine Wahl zum Betriebsrat anfechten will, muss innerhalb der oben genannten Frist beim Arbeitsgericht die Anfechtung der Wahl erklären. Von Amts wegen darf das Gericht ein Anfechtungsverfahren nicht einleiten.
Im Wege eines Beschlussverfahrens entscheidet das Gericht dann darüber, ob die Anfechtung Erfolg hat. Dabei ist das Gericht verpflichtet, sämtliche Anfechtungsgründe zu berücksichtigen. Dies gilt unabhängig davon, ob sich der Anfechtende auf diese Gründe berufen hat oder nicht.
Folgen einer erfolgreichen Anfechtung
Bezieht sich die Anfechtung auf die Wahl des gesamten Gremiums, führt ein Erfolg dazu, dass die gesamte Wahl unwirksam ist. Das bedeutet, dass der Betrieb keinen Betriebsrat (mehr) hat. Die logische Konsequenz sind Neuwahlen. Die Unwirksamkeit der Wahl tritt aber erst in dem Moment ein, in dem rechtskräftig entschieden ist, dass die Wahl unwirksam war. Eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Wahl gibt es bei der Anfechtung nicht. Beschlüsse, die der - wenn auch letztlich unwirksam - gewählte Betriebsrat in der Zeit zwischen der Wahl und der erfolgreichen Anfechtung gefasst hat, bleiben wirksam. Dies gilt insbesondere für die in dieser Phase geschlossenen Betriebsvereinbarungen.
Ist nur die Wahl einzelner Personen erfolgreich angefochten, kommt das gewählte Ersatzmitglied in den Betriebsrat. Auf die übrigen gewählten Betriebsrät*innen hat die Anfechtung der Wahl einzelner Personen keinen Einfluss.
Nichtigkeit der Wahl
Die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht. Es müssen Verstöße vorliegen, die ein solches Maß erreichen, dass nicht einmal mehr der Anschein einer rechtmäßigen Wahl gegeben ist. Erforderlich ist also ein grober und offensichtlicher Verstoß gegen wesentliche gesetzliche Wahlregeln. Mehrere Verstöße, die jeweils einzeln lediglich zu einer Anfechtung berechtigten, führen auch in der Summe nicht zur Nichtigkeit der Wahl.
Beispiele für Verstöße, die zur Nichtigkeit der Wahl führen können, sind etwa
- „Bildung“ eines Betriebsrates in einer Betriebsversammlung
- Wahl ohne Wahlvorstand
- Wahl eines Betriebsrates in einem Betrieb mit weniger als fünf Beschäftigten
- Wahl einer Person, die offensichtlich nicht dem Betrieb angehört.
- …
Diese Liste ist nur ein Auszug aus den von den Arbeitsgerichten anerkannten Nichtigkeitsgründen. Weitere Beispiele finden sich bei
Fitting, Schmidt, Trebinger, Linsenmaier: Betriebsverfassungsgesetz, Randnummer Randnummer 5 zu § 19.
Weitere Voraussetzungen?
Die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl kann jedermann zu jeder Zeit geltend machen. Es gibt also im Gegensatz zur Anfechtung keine Frist, innerhalb derer das Arbeitsgericht anzurufen ist. Auch eine Beschränkung auf bestimmte
Personen(-gruppen), die eine Nichtigkeit geltend machen können, sieht das Gesetz nicht vor. Außerdem kann die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl auch im Rahmen etwa eines Kündigungsschutzprozesses als Vorfrage zu entscheiden sein, wenn im Zusammenhang mit der Anhörung des Betriebsrates um die Frage geht, ob eine Wahl möglicherweise nichtig war.
Folgen der Nichtigkeit
Ebenso wie die erfolgreiche Anfechtung führt die Nichtigkeit der Wahl dazu, dass neu zu wählen ist.
Anders als bei der Anfechtung wirkt die Feststellung der Nichtigkeit aber auf den Zeitpunkt der Wahl zurück. Das bedeutet, dass alle Beschlüsse und Betriebsvereinbarungen, die dieser Betriebsrat seit der Wahl gefasst und abgeschlossen hat, keinrlei Wirkung entfalten können.
Rechtliche Grundlagen
§ 19 Betriebsverfassungsgesetz
(1) Die Wahl kann beim Arbeitsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.
(2) Zur Anfechtung berechtigt sind mindestens drei Wahlberechtigte, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder der Arbeitgeber. Die Wahlanfechtung ist nur binnen einer Frist von zwei Wochen, vom Tage der Bekanntgabe des Wahlergebnisses an gerechnet, zulässig.