Besteht der dringende Verdacht, dass ein Betriebsratsmitglied eine - seinem Arbeitgeber gewährte - Gutschrift für eigene private Zwecke genutzt hat, so rechtfertigt dies seine außerordentliche Kündigung.
Der Fall:
Der Arbeitnehmer ist Betriebsratsvorsitzender. Er leitet zudem die »Betriebssportgruppe Fußball« bei der Arbeitgeberin. Als solcher ist er auch für die Beschaffung von Sportartikeln zuständig. Er bestellte für die Betriebssportgruppe Trainingsanzüge bei der Lieferantin, bei der auch die Arbeitgeberin als Großkundin Arbeitskleidung, Sicherheitskleidung bezieht.
Die Arbeitgeberin verdächtigt den Arbeitnehmer, eine im Zusammenhang mit der Abwicklung dieser Bestellung erlangte Gutschrift, die dem Unternehmen zusteht, für private Zwecke verwendet zu haben. Hierauf stützt sie die beabsichtigte außerordentliche Kündigung. Der Betriebsrat hat seine Zustimmung verweigert.
Die Entscheidung:
Das ArbG Hamburg hat auf Antrag der Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitnehmers ersetzt.
Die Richter gelangten nach durchgeführter Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Arbeitnehmer die - zu Gunsten der Arbeitgeberin vereinbarte – Gutschrift eingelöst hat. Demzufolge hat er in Anwesenheit des Großkundenbetreuers der Lieferantenfirma auf deren Kosten in einem Geschäft Bekleidung zu einem Warenwert von mehreren hundert EUR für den privaten Bedarf eingekauft. Die hohe Wahrscheinlichkeit dieses Geschehensablaufes rechtfertigt nach Auffassung des Arbeitsgerichts die außerordentliche Verdachtskündigung.
Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht. Das gilt unabhängig von der Höhe eines dem Arbeitgeber durch die Pflichtverletzung entstandenen Schadens. Maßgebend ist vielmehr der mit der Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch.
Außerdem verletzt derjenige, der als Arbeitnehmer bei der Ausführung von vertraglichen Aufgaben Vorteile entgegen nimmt, zugleich seine Pflicht, auf die berechtigten Interessen seines Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (§ 241 Abs. 2 BGB). Ein solches Verhalten ist ebenso wie ein entsprechender dringender Verdacht »an sich« geeignet, eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.
Folgen für die Praxis:
Mitglieder des Betriebsrates sind aufgrund des von Ihnen ausgeübten Amtes erhöht schutzbedürftig und kommen daher bekanntermaßen in den Vorzug eines gesteigerten Kündigungsschutzes.
Ein Betriebsratsmitglied kann nur außerordentlich bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gekündigt werden; und dies auch nur dann, wenn vorher die Zustimmung des Betriebsrates vom Arbeitgeber eingeholt worden ist.
Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung – wie in dem vorliegenden Fall – so kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht die Zustimmungsersetzung beantragen. Das Arbeitsgericht hat dann zu prüfen, ob die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Kommt das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis, dass Kündigungsgründe vorliegen, hat es die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu ersetzen. Das betroffene Betriebsratsmitglied ist in diesem Verfahren lediglich Beteiligter.
In dem hier entschiedenen Fall war das Verfahren so gelaufen. Das Arbeitsgericht hat die Zustimmung ersetzt – das Betriebsratsmitglied konnte gekündigt werden.
Hintergrund war der Verdacht, dass das Betriebsratsmitglied eine dem Arbeitgeber zustehende Gutschrift für sich selbst eingelöst hatte. Eine Verdachtskündigung ist dann zulässig, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen und der Verdacht geeignet ist, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören.
Die Verdachtskündigung ist umstritten. So widerspricht es dem Rechtsempfinden, dass eine „Strafe“ (Kündigung) möglich sein soll, obwohl ein Vergehen nicht erwiesen ist. Das BAG hat dies aber für zulässig erachtet.
Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts haben sowohl der Betriebsrat als auch der betroffene Arbeitnehmer die Möglichkeit Beschwerde einzulegen. Der Ausspruch der Kündigung darf erst erfolgen, wenn die Zustimmungsersetzung rechtskräftig geworden ist.
Nach rechtskräftiger Zustimmungsersetzung und Erhalt der Kündigung kann der Arbeitnehmer dann noch ein Kündigungsschutzverfahren führen. Allerdings hat das Zustimmungsersetzungsverfahren präjudizielle Wirkung. Dies bedeutet, dass bei unverändertem Sachverhalt im Kündigungsschutzverfahren zumindest über das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung und zur Wahrung der 2-Wochen-Frist des § 626 BGB rechtskräftig durch das Zustimmungsersetzungsverfahren entschieden ist. Das Kündigungsschutzverfahren wird dann kaum noch erfolgreich sein.
Pressemitteilung des ArbG Hamburg zum Beschluss vom 22.05.2013, Az: 26 BV 31/12