Das Bundesarbeitsgericht hatte über einen Fall zu entscheiden, indem ein bei der Freistellungswahl unterlegenes Betriebsratsmitglied in die Freistellung eines ausgeschiedenen Betriebsratsmitglieds einer anderen Liste einrücken wollte.
Antragsteller unterliegt bei Freistellungswahl
Der Betriebsrat bestand aus elf Mitglieder. Das bedeutet, dass zwei Mitglieder Anspruch auf komplette Freistellung von der Arbeitsleistung haben. Die übrigen Mitglieder des Betriebsrats haben nur situativ Anspruch auf Freistellung von der Arbeit, wenn sie ihrer Betriebsratstätigkeit konkret nachgehen.
Die freigestellten Betriebsratsmitglieder bestimmte der Betriebsrat durch Wahl. An der Wahl nahmen zwei Listen mit jeweils zwei Bewerbern teil. Dabei erhielt die eine Liste sieben, die andere Liste drei Stimmen, so dass beide Bewerber der einen Liste gewählt waren.
Als nach einiger Zeit einer der Bewerber aus dem Betriebsrat ausschied, wählte der Betriebsrat mit sechs zu drei Stimmen ein neues freizustellendes Betriebsratsmitglied als Ersatz. Hiergegen wehrte sich einer der Bewerber der unterlegenen Liste. Er war der Ansicht, er habe in die Freistellung nachrücken müssen.
Nachrücken der Minderheitsliste bei Betriebsratswahl möglich
Scheidet ein freigestelltes Betriebsratsmitglied aus, so geht damit die Freistellung nicht unter, sondern muss auf ein anderes Betriebsratsmitglied übergehen. Das Bundesarbeitsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es eines solchen Ausgleichs bedarf, auch wenn das Gesetz es nicht ausdrücklich vorsieht.
Steht auf der Liste, der das ausscheidende Betriebsratsmitglied angehört, noch mindestens ein Kandidat, so rückt dieser nach. Auch dies ist ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Einen solchen Nachrücker gab es aber hier nicht. Wer soll also jetzt freigestellt werden?
Ist bei der Betriebsratswahl eine Liste erschöpft, rückt nach dem Gesetz tatsächlich der nächste Bewerber der unterlegenen Liste nach. Aber soll das auch gelten, wenn es nicht um die Besetzung des Betriebsrats, sondern nur um die Freistellungen geht?
Nachrücken sichert Funktionsfähigkeit des Betriebsrates
In seiner Entscheidung lehnt es das Bundesarbeitsgericht ab, die Vorschrift für das Nachrücken in den Betriebsrat auch auf den Fall anzuwenden, in dem es nur um das Nachrücken in die Freistellung geht. Die beiden Situationen seien nicht vergleichbar.
Im gesetzlich geregelten Fall des Nachrückens in den Betriebsrat könnte ein Betriebsratsmandat nicht besetzt werden, wenn allein die Liste, die zum Nachrücken berechtigt ist, bereits ausgeschöpft ist. Der Stuhl würde also buchstäblich leer bleiben.
Das wiederum würde die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats gefährden, Neuwahlen wären nötig. In dieser Situation hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, lieber ein Mitglied der unterlegenen Liste nachrücken zu lassen. Zwar verändern sich dadurch die Mehrheitsverhältnisse, weil die unterlegene Liste jetzt mehr Betriebsratsmitglieder hat, als ihr nach dem Wahlergebnis zustehen, der Betriebsrat als Gremium bleibt aber handlungsfähig.
Nachrücken nur innerhalb der Liste
Bei der Freistellungswahl sieht die Situation nach Überzeugung des Bundesarbeitsgerichts aber anders aus: Denn der Betriebsrat könne ohne weiteres aus seiner Mitte ein ersatzweise freizustellendes Betriebsratsmitglied wählen.
Solange die Liste, der das ausscheidende Betriebsratsmitglied angehört, noch zieht, erhalte der nächste von dieser Liste die Freistellung. Damit blieben die Mehrheitsverhältnisse erhalten. Mit dem Nachrücken des Mitglieds einer anderen Liste würde dieser Grundsatz aber durchbrochen.
Anders als beim Nachrücken in den Betriebsrat sei eine solche Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse nicht erforderlich, um die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats zu sichern. Denn es besteht ja die Möglichkeit, die Freistellung einfach im Wege der Mehrheitswahl mit einfacher Stimmenmehrheit der Betriebsratsmitglieder zu bestimmen.
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Beschluss des Bundesarbeitsgerichts
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In seiner Entscheidung differenziert das Bundesarbeitsgericht richtigerweise zwischen den unterschiedlichen Schutzzwecken bei Betriebsrat- und Freistellungswahl. Ist die Nachrückerliste bei der Betriebsratswahl erschöpft, bliebe ein Mandat unbesetzt, was es zu vermeiden gilt, auch um den Preis, dass sich die Mehrheitsverhältnisse ändern.
Minderheitenschutz gibt keinen Anspruch auf ungerechte Bevorzugung
Bei der Freistellungswahl bleibt das Gremium als solches gleich groß (es rückt ja jemand nach), es sind auch noch genug Mitglieder der jeweiligen Liste vorhanden, um ein neues freigestelltes Mitglied zu wählen. Insofern sind die Sachverhalte tatsächlich nicht vergleichbar und müssen deshalb auch nicht gleich behandelt werden.
Erstaunlich ist, dass sich der Antragsteller auf sein Recht auf Minderheitenschutz beruft. Er ist zwar tatsächlich Mitglied der Minderheitenliste, würde aber mit seiner Rechtsauffassung einen unberechtigten Vorteil erhalten. Rückte er nach, wäre seine Liste bei den Freistellungen überproportional berücksichtigt– nämlich zu 50 Prozent. Das Wahlergebnis gibt eine solche Verteilung aber nicht her.
Die Minderheit hat daher nur Anspruch darauf, entsprechend ihrem Wahlergebnis berücksichtigt zu werden. Das Bundesarbeitsgericht hat es in der vorliegenden Entscheidung auf den Punkt gebracht: „Der Minderheitenschutz reicht nicht weiter als der Wahlvorschlag“.
Rechtliche Grundlagen
§ 25 Abs. 2 Satz 2 BetrVG
(2) Die Ersatzmitglieder werden unter Berücksichtigung des § 15 Abs. 2 der Reihe nach aus den nichtgewählten Arbeitnehmern derjenigen Vorschlagslisten entnommen, denen die zu ersetzenden Mitglieder angehören. Ist eine Vorschlagsliste erschöpft, so ist das Ersatzmitglied derjenigen Vorschlagsliste zu entnehmen, auf die nach den Grundsätzen der Verhältniswahl der nächste Sitz entfallen würde. Ist das ausgeschiedene oder verhinderte Mitglied nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl gewählt, so bestimmt sich die Reihenfolge der Ersatzmitglieder unter Berücksichtigung des § 15 Abs. 2 nach der Höhe der erreichten Stimmenzahlen.
Das sagen wir dazu