"Deutsch als Muttersprache" benachteiligt Bewerber wegen ethnischer Herkunft
Die Muttersprache des Klägers ist Russisch. Aufgrund seiner sehr guten Deutschkenntnisse war er jedoch nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hessen objektiv für die befristet ausgeschriebene Stelle als Bürohilfe geeignet.
Die Bewerbung des Klägers blieb erfolglos. Die Beklagte stellte andere Bewerber ein. Über die Ablehnung seiner Bewerbung wurde der Kläger nicht informiert.
Arbeitsgericht weist Klage ab. Berufung erfolgreich!
Der Kläger erhob Klage und begründete diese damit, dass er durch die Voraussetzung "Deutsch als Muttersprache" wegen seiner ethnischen Herkunft diskriminiert worden sei und begehrte eine angemessene Entschädigung. Erstinstanzlich blieb die Klage erfolglos. Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) indes hielt die Klage für begründet und verurteilte die Beklagte gemäß § 15 Abs. 2 AGG zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von zwei Monatsgehältern.
Das LAG begründete die erfolgreiche Berufung des Klägers damit, dass die Ausschreibung der Beklagten gegen § 7 Abs. 1 AGG verstoße, weil sie Bewerber, die Deutsch nicht als Muttersprache erlernt haben, wegen ihrer ethnischen Herkunft gem. § 1 AGG benachteilige. Denn diese Bewerber seien wegen ihrer Nichtzugehörigkeit zur deutschen Ethnie, unabhängig von ihren tatsächlichen Sprachkenntnissen, ausgeschlossen worden.
Das Merkmal der ethnischen Herkunft, so die Berufungskammer, sei in einem umfassenden Sinn zu verstehen, um einen lückenlosen Schutz vor Diskriminierungen zu gewährleisten. Als "Muttersprache" werde die in früher Kindheit ohne formalen Unterricht erlernte Sprache bezeichnet. Ein „Muttersprachler“ sei in der Regel eine Person, in deren Elternhaus die betreffende Sprache gesprochen wurde. Daher knüpfe der Begriff der Muttersprache an die ethnische Herkunft einer Person an.
Diskriminierung nicht gerechtfertigt
Im Übrigen konnte das LAG auch keine Gründe erkennen, die die Besetzung der Stelle mit einem Muttersprachler ausnahmsweise gerechtfertigt hätte. Es sei nicht ersichtlich gewesen, dass die Tätigkeit nur von einem Muttersprachler geleistet werden könne. Die von der Beklagten gewählte Formulierung "Deutsch als Muttersprache" könne zudem nicht im Sinne einer perfekten Beherrschung der Sprache verstanden werden.
Dem Einwand der Beklagten, wonach der Kläger seinen Entschädigungsanspruch auch nicht rechtzeitig geltend gemacht habe, vermochte das LAG nicht zu folgen. Begründet wurde dies damit, dass zweimonatige Frist zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruches gemäß § 15 Abs. 4 AGG mangels Ablehnungserklärung der Beklagten nicht in Lauf gesetzt wurde, das bloße Schweigen auf eine Bewerbung stelle keine Ablehnung dar. Dies, so das Berufungsgericht, gelte selbst dann, wenn es für den Bewerber naheliege, dass seine Bewerbung erfolglos war.
Gegen die Entscheidung ist unter dem Az. 8 AZR 402/15 die Revision der Beklagten beim Bundesarbeitsgericht anhängig.
Anmerkung: Klarer Fall
Nach § 1 AGG ist es Ziel des Gesetzes, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
Mit der Stellenausschreibung hat der Arbeitgeber den Kläger offenkundig aufgrund seiner ethnischen Herkunft benachteiligt, indem er, trotz sehr guter Deutschkenntnisse, nicht einmal auf seine Bewerbung reagierte. Wer meint, nur solche Arbeitnehmer*innen einstellen zu können, deren Muttersprache Deutsch ist, darf sich nicht wundern, wenn Bewerber*innen die diese Voraussetzung nicht erfüllen, aber der deutschen Sprache und Schrift mächtig sind, die Hilfe der Arbeitsgerichtsbarkeit in Anspruch nehmen.
Es bleibt abzuwarten wie das BAG in dem bereits anhängigen Revisionsverfahren reagiert, über dessen Ausgang wir berichten werden.
Im Praxistipp: §§ 1, 7 und 15 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
Rechtliche Grundlagen
§§ 1, 7 und 15 AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
§ 1 Ziel des Gesetzes
Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
§ 7 Benachteiligungsverbot
(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.
(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.
(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.
§ 15 Entschädigung und Schadensersatz
(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.
(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.
(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.
(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.
(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.