Mit Urteil vom 11.08.2016 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass ein öffentlicher Arbeitgeber bei einem Bewerbungsverfahren dazu verpflichtet ist, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Mit ihrer Entscheidung bestätigten die Richter*innen des Achtens Senats die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, wonach der Arbeitgeber nicht allein aufgrund der Bewerbungsunterlagen davon ausgehen darf, dass dem Bewerber die erforderliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle fehlt.

Mitte 2013 schrieb die beklagte Stadt die Stelle eines "Techn. Angestellte/n für die Leitung des Sachgebiets Betriebstechnik" des von ihr unterhaltenen Komplexes "Palmengarten" aus. In der Stellenausschreibung heißt es u.a.: "Wir erwarten: Dipl.-Ing. (FH) oder staatl. gepr. Techniker/in oder Meister/in im Gewerk Heizungs-/ Sanitär-/Elektrotechnik oder vergleichbare Qualifikation; [...]".
Der schwerbehinderte Kläger (Grad der Behinderung 50), der ausgebildeter Zentralheizungs- und Lüftungsbauer sowie staatlich geprüfter Umweltschutztechniker im Fachbereich "Alternative Energien" ist, bewarb sich auf die ausgeschriebene Stelle. Seinem Bewerbungsschreiben fügte er einen ausführlichen Lebenslauf bei. Ohne den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, entschied sich die beklagte Stadt für einen anderen Bewerber.

Kläger begehrt Entschädigungszahlung wegen Diskriminierung

Der Kläger verlangte von der beklagten Stadt eine Entschädigung im Sinne des § 15 (2) des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), da die die beklagte Stadt ihn wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert habe. Der ihr obliegenden Pflicht nach § 82 Sozialgesetzbuch IX, ihn zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, sei sie nicht nachgekommen. Schon allein dieser Umstand begründe die Vermutung, dass er wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert worden sei. Die beklagte Stadt vertrat die Auffassung, dass sie den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch habe einladen müssen und begründete dies damit, dass der Kläger für die zu besetzende Stelle offensichtlich fachlich ungeeignet sei.

Arbeits- und Landesarbeitsgericht erkennen Entschädigungsanspruch an

Entsprechend des Antrags des Klägers gab das Arbeitsgericht der Klage statt und verurteilte die beklagte Stadt, an den Kläger eine Entschädigung in Höhe von drei Bruttomonatsverdiensten zu zahlen.
Auf die Berufung der beklagten Stadt änderte das Hessische Landesarbeitsgericht das arbeitsgerichtliche Urteil teilweise ab und reduzierte die Entschädigungssumme auf einen Bruttomonatsverdienst. Hiergegen wandte sich die beklagte Stadt mit ihrer Revision.
Der Kläger, der auch Möglichkeit gehabt hatte gegen die Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts das Rechtsmittel der Revision einzulegen, da ihm zweitinstanzlich als Entschädigung nur ein Bruttoverdienst zuerkannt wurde, machte hiervon keinen Gebrauch, sodass das Bundesarbeitsgericht nur über die Revision der beklagten Stadt zu entscheiden hatte.

Erfolgt keine Einladung zum Vorstellungsgespräch lässt dies eine Benachteiligung wegen Behinderung vermuten

Die Revision hatte keinen Erfolg. Da die beklagte Stadt den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte, ist die Vermutung begründet, dass der Kläger wegen seiner Schwerbehinderung aus dem Auswahlverfahren vorzeitig ausgeschieden und dadurch benachteiligt wurde. Gründe, die die beklagte Stadt von ihrer Verpflichtung nach § 82 Satz 3 Sozialgesetzbuch IX, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, hätten befreien können, vermochte das Bundesarbeitsgericht nicht zu erkennen. Denn aus dessen Bewerbung ergab sich nicht, dass diesem die erforderliche fachliche Eignung offensichtlich fehlte.

Hier die Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 11.08.2016 zum Urteil vom 11.08.2016 - 8 AZR 375/15


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Keine Entschädigung für schwerbehinderten Bewerber bei fehlendem Bewerbungsanschreiben

Entschädigungszahlung wegen Benachteiligung eines Schwerbehinderten.

Abschreckende Einladung zum Vorstellungsgespräch diskriminiert behinderten Bewerber

Rechtliche Grundlagen

§ 82 Sozialgesetzbuch (SGB) IX, § 15 (Entschädigung und Schadensersatz) Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG),

§ 82 Sozialgesetzbuch (SGB) IX:
Besondere Pflichten der öffentlichen Arbeitgeber
Die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber melden den Agenturen für Arbeit frühzeitig frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze (§ 73).
H2: Haben schwerbehinderte Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Eine Einladung ist entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Einer Integrationsvereinbarung nach § 83 bedarf es nicht, wenn für die Dienststellen dem § 83 entsprechende Regelungen bereits bestehen und durchgeführt werden.

§ 15 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
Entschädigung und Schadensersatz
(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.


(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.


(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.