Nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau im Jahr 2008 heiratete der als Chefarzt bei einem katholischen Krankenhausträger tätige Kläger ein zweites Mal standesamtlich. Als die Beklagte hiervon erfahren hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis zum September 2009.
In drei Instanzen erfolgreich
In allen Instanzen der Arbeitsgerichtsbarkeit war der Kläger erfolgreich.
Am 8. September 2011 bestätigte das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Vorinstanzen und wies die Revision der Beklagten zurück. Nach dieser Entscheidung des BAG konnte man davon ausgehen, dass die Entscheidung als Beginn einer Kehrtwende zu sehen ist, die den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entsprach.
Wer nun nach der Entscheidung des BAG davon ausging, dass endlich Rechtsklarheit herrscht, musste sich alsbald eines Besseren belehren lassen. Denn die Beklagte rief das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) an, dessen Zweiter Senat am 22. Oktober 2014 der Auffassung der Beklagten folgte und die bisherige Rechtsprechung des BVerfG bestätigte, wonach staatliche Gerichte die Loyalitätsobliegenheiten in kirchlichen Arbeitsverhältnissen nur eingeschränkt überprüfen dürfen.
Bundesverfassungsgericht hebt BAG-Entscheidung auf
Die Sache wurde durch das BVerfG an das BAG zurückverwiesen und sollte, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Verfassungsrichter*innen, erneut entscheiden.
Die Richter*innen des Zweiten BAG-Senats trafen am 28. Juli 2016 keine abschließende Entscheidung, sondern riefen den Europäischen Gerichtshof (EuGH) an und baten diesen um die Beantwortung diverser Fragen, deren Beantwortung die noch zu treffende Entscheidung erleichtern soll (siehe hierzu: „Kündigung eines Chefarztes eines katholischen Krankenhauses wegen Wiederverheiratung zulässig?)
Das Revisionsverfahren wurde bis zu einer Entscheidung des EuGH ausgesetzt.
Beim EuGH bewegt sich was!
Am 31. Mai 2018 teilte der EuGH im Rahmen einer Pressmitteilung die Schlussanträge des Generalanwalts Melchior Wathelet vom selben Tage mit.
Nach Auffassung des Generalanwalts steht das Verbot der Diskriminierung wegen der Religion dem entgegen, dass einem katholischen Chefarzt eines katholischen Krankenhauses aufgrund seiner Scheidung und Wiederheirat gekündigt wird.
Die Anforderung, dass ein katholischer Chefarzt den heiligen und unauflöslichen Charakter der Ehe nach dem Verständnis der katholischen Kirche beachtet, stelle keine echte berufliche Anforderung und erst recht keine wesentliche und gerechtfertigte berufliche Anforderung dar, so der Generalanwalt.
Verbot der Diskriminierung steht der Kündigung entgegen
Nach Ansicht von Generalanwalt Melchior Wathelet steht das Verbot der Diskriminierung wegen der Religion dem entgegen, dass einem katholischen Chefarzt eines katholischen Krankenhauses aufgrund seiner Scheidung und Wiederheirat gekündigt wird.
In seinen Schlussanträgen weist Generalanwalt Melchior Wathelet zunächst darauf hin, dass die Kündigung gegenüber dem Chefarzt als unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion offenkundig rechtswidrig wäre, wenn Kirchen und andere Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen beruhe, nicht aufgrund des deutschen Verfassungsrechts und der Richtlinie eine rechtliche Sonderstellung hätten.
Das BAG habe somit zunächst zu prüfen, ob die Arbeitgebern des gekündigten Chefarztes tatsächlich eine private Organisation sei, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen beruhe. Hierbei reiche die Tatsache, dass der Chefarzt der Aufsicht des katholischen Erzbischofs von Köln unterliege und ihr Gesellschaftszweck die Verwirklichung von Aufgaben der Caritas sei, für sich allein nicht aus.
Vielmehr sei zu prüfen, ob die Praxis der von der Arbeitgeberin betriebenen Krankenhäuser in Bezug auf die Erbringung von Gesundheitsdiensten der Lehre der katholischen Kirche in einer Art folge, die sie in qualifizierter Weise von denen öffentlicher Krankenhäuser unterscheide.
Arbeitgeberin, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen beruht?
Sollten die von der Arbeitgeberin des Chefarztes betriebenen Krankenhäuser gemäß dem Katechismus der katholischen Kirche im Gegensatz zu öffentlichen Krankenhäusern insbesondere keine Abtreibungen vornehmen oder keine "Pille danach" verabreichen, dann könnten diese als eine private Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen beruhe, eingestuft werden.
Eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person stelle dann keine Diskriminierung dar, so der Generalanwalt, wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstelle.
Im Hinblick auf den fraglichen Kündigungsgrund sei zu prüfen, ob die Situationen, in denen sich katholische Arbeitnehmer einerseits und Arbeitnehmer einer anderen Konfession oder ohne Konfession andererseits befänden, unter dem objektiven Blickwinkel der beruflichen Tätigkeit - hier die Erbringung von Gesundheitsdiensten - des kirchlichen Arbeitgebers vergleichbar seien.
Anforderung an die berufliche Tätigkeit setzt nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion voraus
Nach Auffassung des Generalanwalts sei die fragliche Anforderung nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion, sondern die Zustimmung zu einer bestimmten Überzeugung der katholischen Kirche, nämlich dem Eheverständnis entsprechend der Definition durch die Lehre und das kanonische Recht der katholischen Kirche, was die Beachtung der religiösen Form der Ehe und des heiligen und unauflöslichen Charakters des Ehebandes einschließe.
Im vorliegenden Fall stellt eine solche Überzeugung nach Ansicht des Generalanwalts offenkundig keine berufliche Anforderung und erst recht keine wesentliche und gerechtfertigte berufliche Anforderung dar.
Die von der Arbeitgeberin zur Begründung der Kündigung herangezogenen Anforderungen stehen nach Feststellungen des Generalanwalts in keinem Zusammenhang zur beruflichen Tätigkeit, nämlich der Erbringung von Gesundheits- und Pflegediensten für Kranke. Dies werde dadurch bewiesen, dass die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche keine Voraussetzung für die Besetzung der Stelle des Chefarztes der Abteilung "Innere Medizin" sei und die Arbeitgeberin Nichtkatholiken für Stellen mit medizinischer Verantwortung einstelle und ihnen Leitungsaufgaben übertrage.
Beachtung des Eheverständnisses keine berufliche Anforderung
Zudem fehle der fraglichen Anforderung durch ihre Ausrichtung auf das Privat- und Familienleben des Chefarztes jede mögliche Verbindung zu den Verwaltungsaufgaben, die ihm als Chefarzt der betreffenden Abteilung oblägen. Somit handele es sich nicht um eine echte berufliche Anforderung.
Auch sei die Beachtung des Eheverständnisses nach der Lehre und dem kanonischen Recht der katholischen Kirche keine wesentliche berufliche Anforderung, da sie nicht aufgrund der Bedeutung der beruflichen Tätigkeit des Chefarztes, nämlich der Erbringung von Gesundheitsdiensten, notwendig erscheine, damit die Arbeitgeberin ihr Ethos bekunden oder ihr Recht auf Autonomie ausüben könne.
Es sei darauf hinzuweisen, dass es bei Patienten oder Kollegen keine vorgefasste Meinung dahin gebe, dass der Chefarzt der Abteilung "Innere Medizin" katholisch sei, und erst recht nicht dahin, dass er keine nach der Lehre und dem kanonischen Recht der katholischen Kirche ungültige Ehe eingegangen sei. Für Patienten und Kollegen zählten vielmehr seine Qualifikationen und seine medizinischen Fähigkeiten sowie seine Managementqualitäten.
Aus denselben Gründen sei die fragliche Anforderung auch alles andere als gerechtfertigt. Die Scheidung des Chefarztes und seine standesamtliche Wiederheirat stellten keine wahrscheinliche oder erhebliche Gefahr einer Beeinträchtigung des Ethos der Arbeitgeberin oder ihres Rechts auf Autonomie dar. Außerdem habe die Arbeitgeberin noch nicht einmal in Betracht gezogen, den Chefarzt von seinen Aufgaben als Chefarzt der Abteilung "Innere Medizin" zu entbinden, sondern habe ihm unmittelbar gekündigt, obwohl er als Arzt ohne leitende Stellung die fragliche Anforderung nicht hätte einhalten müssen.
Auf ein Neues: BAG wieder gefordert.
Sollte es dem BAG nicht möglich sein, das deutsche Recht (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, BGBl. 2006 I, S. 1897, mit dem die RL 2000/78 in deutsches Recht umgesetzt wurde) im Einklang mit der Richtlinie auszulegen, weist der Generalanwalt ferner darauf hin, dass das Verbot der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung angesichts des historischen Kontextes der Gründung der Union einen grundlegenden Wert von Verfassungsrang der Unionsrechtsordnung darstelle (Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbietet nunmehr ausdrücklich Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung. Der vorliegende Fall ereignete sich jedoch vor Inkrafttreten der Charta, (so dass sie auf ihn nicht anwendbar ist), der vom EuGH als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts anerkannt worden sei. Dieses Verbot verleiht dem Einzelnen nach Auffassung des Generalanwalts ein subjektives Recht, das er in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatpersonen als solches geltend machen kann.
Sollte es dem BAG nicht möglich sein, das einschlägige nationale Recht im Einklang mit der Richtlinie auszulegen, sei es daher verpflichtet, im Rahmen seiner Befugnisse den dem Einzelnen aus dem allgemeinen Verbot der Diskriminierung wegen der Religion erwachsenden Rechtsschutz zu gewährleisten und für die volle Wirksamkeit dieses Verbots zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lasse.
Nach den nunmehr vorliegenden Schlussanträgen des Generalanwalts bleibt zu hoffen, dass der EuGH eine Entscheidung in dem vorgeschlagenen Sinne trifft und das BAG zu einer verbindlichen Entscheidung kommt, wonach sich die dem Chefarzt im Jahr 2009 ausgesprochene Kündigung als unwirksam erweist.
Über den weiteren Verlauf werden wir berichten.
Für Interessierte:
Hier geht es zu weiteren Beiträgen zum Thema „Kirchliches Arbeitsrecht“: