Das Urteil könnte weitreichende Konsequenzen haben: Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Bundesarbeitsgerichts entschieden, dass auch die Entscheidungen kirchlicher Träger einer vollständigen gerichtlichen Kontrolle unterliegen.

Bewerberin wegen fehlender Religionszugehörigkeit abgelehnt

Vera Egenberger hatte sich beim Diakonischen Werk um eine Referentenstelle im Projekt „Parallelberichterstattung zur UN-Antirassismuskonvention“ beworben. Die Stelle war befristet. In der Stellenausschreibung hieß es:

„Die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der ACK angehörenden Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag setzen wir voraus. Bitte geben Sie Ihre Konfession im Lebenslauf an.“

Sie bekam die Stelle nicht. Dies führte sie auf die fehlende Konfessionsgebundenheit zurück und klagte auf eine Entschädigung wegen Diskriminierung in Höhe von etwa 10.000 Euro.

Das zuletzt befasste Bundesarbeitsgericht hatte die Sache im März 2016 dem EuGH vorgelegt. Die Bundesrichter baten um eine Entscheidung, wie sich die deutsche Rechtslage mit der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie vereinbaren lasse.

Bundesarbeitsgericht legt dem EuGH vor

Das Bundesarbeitsgericht fragte an, ob es für die genannte Stelle als Referent für das Projekt „Parallelberichterstattung zur UN-Antirassismuskonvention“ die evangelische Konfession als eine zwingende berufliche Anforderung anzusehen sei.

Darüber hinaus stellte das BAG die Frage, wie es sich mit der Vorschrift verhält, wonach eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion bei der Beschäftigung bei einer Religionsgemeinschaft zulässig sein kann.

Nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), stelle es keine Diskriminierung dar, wenn eine bestimmte Religionszugehörigkeit unter Beachtung des Selbstverständnisses dieser Religionsgemeinschaft eine berufliche Anforderung darstellt.

EuGH: Volle Überprüfbarkeit kirchlicher Entscheidungen

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass es im Kern um eine Abwägung zwischen dem Recht der Kirchen auf Autonomie und dem Recht der Arbeitnehmer, geht. Die Arbeitnehmer hätten grundsätzlich das Recht, der Einstellung nicht wegen ihrer Religion oder Weltanschauung diskriminiert zu werden.

Diese Abwägung muss nach Auffassung des Gerichtshofs im Streitfall von einer unabhängigen Stelle und letztlich von einem innerstaatlichen Gericht überprüft werden können. Wenn also ein kirchlicher Träger sich darauf berufe, die Mitgliedschaft in der Religionsgemeinschaft sei angesichts des Ethos eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung dieser Kirche, so sei es Aufgabe der Gerichte, dies zu kontrollieren.

Das jeweils angerufene Gericht müsse sich vergewissern können, dass die Kriterien für die Abwägung der gegebenenfalls widerstreitenden Rechte im konkreten Fall erfüllt sind.

Keine Überprüfung kirchlicher Werte

Andererseits stehe es den staatlichen Gerichten nicht zu, über das Ethos als solches zu urteilen, welches der angeführten beruflichen Anforderung zugrunde liegt. Aufgabe der Gerichte sei lediglich festzustellen, ob die Kriterien „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ in Anbetracht dieses Ethos im Einzelfall erfüllt sind.

Wenn ein kirchlicher Träger also die Religionszugehörigkeit zur Voraussetzung für eine bestimmte Stelle macht, dann muss diese im Hinblick auf die Stelle notwendig und aufgrund der Art betreffenden beruflichen Tätigkeit objektiv geboten sein.

Zudem müsse die Anforderung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen, also nicht über das zur Erreichung des angestrebten Ziels Erforderliche hinausgehen. Ob dies der Fall ist, prüft das angerufene Gericht und ist dabei nicht auf eine reine Plausibilitätskontrolle begrenzt.

Hier direkt zur Pressemitteilung des EuGH zum Urteil vom 17. April 2018 - C-414/16 (Vera Egenberger / Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e. V.)

Direkt zum vollständige Urteil (Volltext) des EuGH vom 17. April 2018 - C-414/16 (Vera Egenberger / Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e. V.)


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Das sagen wir dazu:

Das Urteil des EuGH könnte weitreichende Folgen haben, bricht es doch mit dem bisherigen deutschen Verständnis von der Stellung der Kirchen. In Zukunft werden sich kirchliche Träger wie die Caritas und das Diakonische Werk nicht mehr auf die pauschale Behauptung zurückziehen können, der Bewerber oder die Bewerberin sei nicht eingestellt worden, weil er nicht religiös gebunden ist.


Vielmehr werden die Vertreter der kirchlichen Träger genau darlegen müssen, warum ein Hausmeister in einem Altenheim oder eine Köchin in einer KiTa unbedingt Mitglied der evangelischen oder katholischen Kirche sein muss.


Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist dies ein gutes Ergebnis, sind die beiden großen kirchlichen Träger doch hinter dem Staat der zweitgrößte Arbeitgeber Deutschlands. Allein das Diakonische Werk betreibt bundesweit rund 9.000 Kindertageseinrichtungen und 2.500 Einrichtungen der Altenhilfe.


Gleichwohl bleiben kirchliche Arbeitgeber in ihrem Kernbereich geschützt. Die Gerichte haben, so stellt es der EuGH deutlich klar, nicht über die kirchlichen Grundwerte als solche zu befinden und diese zu bewerten. Ist die Religionszugehörigkeit tatsächlich für eine Stelle erforderlich, so darf die Religionszugehörigkeit auch zur Voraussetzung gemacht werden.

Rechtliche Grundlagen

Art. 4 Richtlinie 2000/78/EG

Artikel 4 Berufliche Anforderungen

(1) Ungeachtet des Artikels 2 Absätze 1 und 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.

(2) Die Mitgliedstaaten können in Bezug auf berufliche Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, Bestimmungen in ihren zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie geltenden Rechtsvorschriften beibehalten oder in künftigen Rechtsvorschriften Bestimmungen vorsehen, die zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie bestehende einzelstaatliche Gepflogenheiten widerspiegeln und wonach eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt. Eine solche Ungleichbehandlung muss die verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze der Mitgliedstaaten sowie die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts beachten und rechtfertigt keine Diskriminierung aus einem anderen Grund.

Sofern die Bestimmungen dieser Richtlinie im übrigen eingehalten werden, können die Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, im Einklang mit den einzelstaatlichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Rechtsvorschriften von den für sie arbeitenden Personen verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos der Organisation verhalten.