Mitglieder des Flugpersonals können Rechtsstreitigkeiten, die ihr Arbeitsverhältnis betreffen, beim Gericht des Ortes führen, an dem ihre Heimatbasis liegt. Das hat jetzt der Gerichthof der Europäischen Union (EuGH) entschieden.
Freiheit über und unter den Wolken
Geklagt hatten sechs Mitarbeiter, die bei der irischen Fluglinie Ryanair beschäftigt sind. Für die Arbeitsverträge dieser Mitarbeiter galt irisches Arbeitsrecht. Sie enthalten eine Gerichtsstandsvereinbarung, nach der die Arbeitsleistungen als in Irland erbracht anzusehen sind, da die Kläger an Bord von Flugzeugen arbeiten werden, die in Irland eingetragen sind.
Als „Heimatbasis“ („home base“) war in den Verträgen der Arbeitnehmer der Flughafen Charleroi in Belgien angegeben. Hier begannen und beendeten die Beschäftigten ihre Arbeitstage. Sie waren außerdem verpflichtet, nicht weiter als eine Stunde von dieser „Heimatbasis“ entfernt zu wohnen.
Die Arbeitnehmer hätten also nach dieser Klausel Rechtsstreitigkeiten gegen Ryanair in Irland führen müssen, obwohl sie in Belgien leben und arbeiten. Sie klagten jedoch in Belgien. Das belgische Gericht legte das Verfahren daraufhin dem EuGH vor. Dieser sollte klären, welches Gericht für diese Rechtsstreitigkeiten zuständig ist.
Europarecht schützt Arbeitnehmer
Der EuGH entschied, dass die Beschäftigten nicht in Irland klagen müssen, da die Gerichtsstandsklausel gegen europäisches Recht verstoße.
Nach der entsprechenden Richtlinie kann ein Arbeitgeber vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat. Dies sei in diesem Fall nicht Irland.
Zunächst erinnerte der EuGH daran, dass diese Zuständigkeitsvorschrift die schwächere Vertragspartei schützen soll. Der Schutz werde dadurch erreicht, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitgeber vor dem Gericht verklagen dürfen, das für sie günstig ist.
Bei Flugpersonal ist Heimatbasis der gewöhnliche Arbeitsort
Dabei geht das Europarecht davon aus, dass dies entweder das Gericht des Ortes ist, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat oder an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist damit der Ort gemeint, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer den wesentlichen Teil seiner Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber tatsächlich erfüllt.
Bei Flugpersonal kommt für die Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsortes der sogenannten Heimatbasis eine wichtige Indizfunktion zu. Denn diese ist definiert als der Ort, an dem das Flugpersonal systematisch seinen Arbeitstag beginnt und beendet sowie seine tägliche Arbeit organisiert und in dessen Nähe es für die Dauer des Vertragsverhältnisses seinen tatsächlichen Wohnsitz begründet hat und dem Luftfahrtunternehmer zur Verfügung steht.
Unter Beachtung dieser Feststellungen des EuGH wird nun das belgische Gericht über die Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden haben.
Urteil des EuGH vom 14. September 2017 - C-168/16 und C-169/16
Lesen Sie auch
Altersdiskriminierung - Lufthansa-Pilot siegt vor dem Europäischen Gerichtshof
Alt fliegt gut: Ist die Altersgrenze für Piloten zulässig?
Griechische Spargesetze gelten nicht in Deutschland
Das sagen wir dazu:
Die Entscheidung zeigt einmal mehr die erhebliche Bedeutung der Europäischen Union und des europäischen Rechts für Arbeitnehmer. Denn nach nationalem Recht gilt im Zweifelsfall der alte Rechtsgrundsatz „Wer was will, soll es sich holen“. Niemand soll wegen unberechtigter Forderungen, denen er ausgesetzt ist, durchs Land reisen müssen.
Geklagt werden muss grundsätzlich am Geschäftssitz
Gerichtsort ist also grundsätzlich der Wohnort des Beklagten. Das führt aber grade in Zeiten wachsender internationaler Verknüpfungen für Arbeitnehmer zu Problemen. Wer bei einem internationalen Unternehmen beschäftigt ist, muss gegebenenfalls in einem anderen Land klagen.
Wenn er dessen Sprache nicht mächtig ist, wird die Mandatierung eines Rechtsanwalts zu einer unüberwindlichen Hürde. Hinzu kommt, dass hier eine andere Rechtsordnung gilt. Auch die Wege werden dann weit.
Hier hat die EU im Sinne der Beschäftigten Regelungen geschaffen. Die Verordnung Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen legt fest, dass Arbeitnehmer dort klagen können, wo sie arbeiten.
Heimatbasis ist tauglicher Bezugspunkt
Der EuGH hat sich mit dem vorliegenden Urteil noch einmal klar zum Arbeitnehmerschutz bekannt: Denn nur am Arbeitsort können Arbeitnehmer in der Regel ihre Interessen effektiv durchsetzen.
Die Schwierigkeit bestand in diesem Fall darin, einen „gewöhnlichen Arbeitsort“ von Arbeitnehmern zu finden, die eben nicht in einer Werkshalle malochen oder in einem Büro sitzen, sondern die viele Tausende Kilometer unterwegs sind.
Die „Heimatbasis“ bietet sich hier schon deshalb an, weil der Arbeitgeber in den Arbeitsverträgen festgelegt hat, dass die Beschäftigten dort ihren Wohnsitz zu nehmen haben, damit sie zügig und flexibel verfügbar sind.
Urteil mit großen finanziellen Folgen
An dieser Bestimmung muss sich der Arbeitgeber messen lassen - er kann nicht gleichzeitig verlangen, dass Arbeitnehmer in Belgien wohnen und in Irland klagen sollen.
Künftig werden deshalb die Anwälte von Ryanair nach Belgien und an andere Standorte reisen müssen. Gut möglich, dass dies die Klagelust der Beschäftigten steigert. Das Urteil des EuGH könnte für das Flugunternehmen teuer werden.
Die Gewerkschaft ver.di begrüßte die Entscheidung. Bundesvorstandsmitglied Christine Behle: „Es ist ein erster Schritt für alle Airlines, gleiche Rechte und Pflichten vorzuschreiben. Damit werden die unfairen Beschäftigungsmodelle von Ryanair und Crewlink in Angriff genommen!“
Rechtliche Grundlagen
Artikel 19 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000
Ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann verklagt werden:
1. vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat, oder
2. in einem anderen Mitgliedstaat
a) vor dem Gericht des Ortes, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat, oder
b) wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet oder verrichtet hat, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich die Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, befindet bzw. befand.
Das sagen wir dazu