Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat damit der Klage eines Maschinenschlossers stattgegeben, der angeblich verfallenen Urlaub aus dem Tarifvertrag eingeklagt hatte.
Wann verfällt der Urlaub?
Auf das Arbeitsverhältnis des Maschinenschlossers mit seiner Arbeitgeberin fand der bundesweit geltende Manteltarifvertrag der chemischen Industrie Anwendung. Dieser sieht einen Jahresurlaub von 30 Tagen vor.
Außerdem regelt der Manteltarifvertrag:„ Der Urlaub ist spätestens bis zum 31. März des folgenden Kalenderjahres zu gewähren. Der Urlaubsanspruch erlischt, wenn er nicht bis dahin geltend gemacht worden ist.“
Im Jahr 2015 wurde der Kläger krank, als er erst zwei Urlaubstage verbraucht hatte. Gesund wurde er erst wieder am 25. März 2016. Bereits einige Tage zuvor hatte er sich mit einem Schreiben an seine Arbeitgeberin gewandt und die Übertragung des Resturlaubs über den 31.03.2016 hinaus beantragt.
Wieviel Urlaub ist übrig?
Der Arbeitgeber gewährte ihm daraufhin drei Tage Urlaub vom 29. bis zum 31. März und schrieb ihm 15 Tage auf dem Urlaubskonto gut. Die Beklagte war der Ansicht, dass nur der gesetzliche Urlaub in Höhe von 20 Tagen zu übertragen sei (abzüglich der fünf genommenen Urlaubstage).
Der Kläger dagegen war der Ansicht, dass nicht nur der gesetzliche, sondern auch der tarifliche Urlaubsanspruch im Umfang von weiteren 10 Tagen übertragen werden müsse. Er klagte diese 10 Urlaubstage ein.
Das Arbeitsgericht gab ihm Recht und verpflichtete die Arbeitgeberin, dem Urlaubskonto weitere 10 Tage hinzuzufügen. Auch der tarifliche Urlaubsanspruch sei noch nicht verfallen.
Unterschiedliches Fristenregime
Dies sei aber nicht schon deshalb so, weil der tarifliche Anspruch und dessen Verfall das Schicksal des gesetzlichen Urlaubs teile: Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei dies nur der Fall, wenn die Tarifvertragsparteien für den Tarifurlaub erkennbar eine abweichende Regelung getroffen haben.
Der Bundesmanteltarifvertrag Chemie setzt eine Verfallfrist bis zum 31. März des Folgejahres und unterscheide sich dadurch erkennbar von der gesetzlichen Regelung, nach der der Urlaub grundsätzlich mit dem Jahresende verfällt.
Der Tarifurlaub bestehe also nicht allein schon deshalb fort, weil der gesetzliche Urlaub aufgrund der europarechtlichen Rechtsprechung zum Verfall von Urlaub bei Krankheit nicht verfallen ist. Denn der Verfall richtet sich nach dem Tarifvertrag.
Der Tarifvertrag hat seine eigenen Gesetze
Nach dem Tarifvertrag erlösche der Urlaubsanspruch nicht, wenn er nicht bis zum 31.03. geltend gemacht worden ist. Und geltend gemacht habe der Kläger den Urlaub rechtzeitig, nämlich noch aus seiner Krankheit heraus.
In dem Schreiben hatte er ausdrücklich beantragt, seinen Resturlaub zu erhalten und, wenn dies nicht möglich ist, diesen über den 31.03.2016 hinaus zu übertragen.
Unerheblich war nach Ansicht des Arbeitsgerichts, dass der Kläger die verbliebenen 28 Tage nicht mehr bis zum 31.03.2016 hätte nehmen können. Denn darauf komme es nach dem Wortlaut des Tarifvertrags überhaupt nicht an.
Der Tarifvertrag gehe zwar grundsätzlich davon aus, dass der Urlaub bis zum 31.03. zu gewähren ist, um den Verfall zu verhindern reiche es jedoch aus, dies geltend zu machen. Dies ergebe sich schon aus der Tatsache, dass die Tarifvertragsparteien mit „Geltendmachung“ und „Gewährung“ bewusst zwei unterschiedliche Worte verwendet hätten.
Der Wert der „Authentischen Interpretation“
Unbeeindruckt ließ das Gericht auch die Argumentation der Beklagten, wonach in einer „authentischen Interpretation“ des Manteltarifvertrages - einer Art Protokollnotiz - festgelegt worden sei, dass keine generelle Übertragbarkeit gewollt gewesen sei.
Die Tarifvertragsparteien seien vielmehr davon ausgegangen, dass der Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen sei und nur ausnahmsweise übertragen werden könne. Damit hätte für den Verfall des Tarifurlaubs das gleiche Verfallregime gegolten wie für den gesetzlichen Urlaub.
Das Arbeitsgericht erkannte den Wert dieser gemeinsamen Erläuterung als Auslegungshilfe an, kam aber zu keinem anderen Ergebnis. Denn, so die Richter*innen: „Ein ersichtlicher Wille der Tarifvertragsparteien muss stets im Tarifwerk selbst einen objektiven Niederschlag gefunden haben.“
Nachdem also der Tarifvertrag ausdrücklich eine andere Verfallfrist geregelt hatte, war es unerheblich, dass die Tarifvertragsparteien erklärt haben, genau dies nicht zu wollen. Für die Beklagte war es unerheblich, denn auch bei einem einheitlichen Fristenregime wäre der Tarifurlaub nicht verfallen.
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Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt
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Das sagen wir dazu:
Gerade der letzte Punkt ist ein wichtiger Hinweis für die Tarifvertragsparteien: Wenn klar ist, was geregelt werden soll, muss dies im Tarifvertrag auch verankert werden. Gemeinsame Erklärungen haben nur eine Funktion als Auslegungshilfe und keine eigenständige Funktion.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts darf der Inhalt einer gemeinsamen Erläuterung nicht im Widerspruch zum Wortlaut und Sinn des Tarifvertrages stehen (BAG, Urteil vom 05.12.2001 - 10 AZR 242/01).
Für Arbeitnehmer, die nach längerer Krankheit erst im Folgejahr zurück in den Betrieb kommen, bedeutet die Entscheidung, dass sie den für sie anwendbaren Tarifvertrag gründlich lesen müssen. Unter Umständen kann es schon ausreichen, eine Übertragung zu beantragen.
Keinesfalls sollten sich Arbeitnehmer davon aus der Überlegung heraus abhalten lassen, der Urlaub könne ja bis Ende März nicht mehr genommen werden und sei schon deshalb verfallen. Der vorliegende Fall zeigt, dass dies nicht zwingend so sein muss, weil manche Tarifverträge es schon ausreichen lassen, wenn man den Urlaub nur geltend macht.
Rechtliche Grundlagen
§ 7 BUrlG
(2) Der Urlaub ist zusammenhängend zu gewähren, es sei denn, daß dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe eine Teilung des Urlaubs erforderlich machen. Kann der Urlaub aus diesen Gründen nicht zusammenhängend gewährt werden, und hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaub von mehr als zwölf Werktagen, so muß einer der Urlaubsteile mindestens zwölf aufeinanderfolgende Werktage umfassen.
(3) Der Urlaub muß im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muß der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. Auf Verlangen des Arbeitnehmers ist ein nach § 5 Abs. 1 Buchstabe a entstehender Teilurlaub jedoch auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen.
(4) Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.
Das sagen wir dazu