Der Entscheidung lag der Fall einer schwedischen Staatsangehörigen zu Grunde, die in Deutschland Leistungen nach SGB II beantragt hatte. Dieser Anspruch ist ihr aufgrund der Entscheidung nun verwehrt.
Arbeitssuche in Deutschland
Die Klägerin Frau Alimanovic, eine schwedische Staatsangehörige bosnischer Herkunft, reiste im Juni 2010 mit ihren drei Kindern nach Deutschland ein. Sie und ihre älteste Tochter waren arbeitssuchend, fanden aber nur kürzere Beschäftigungen bis Mai 2011. Ab Dezember 2011 wurden ihnen SGB II -Leistungen bewilligt, das Jobcenter Berlin-Neukölln hat die Bewilligung dann jedoch ab Mai 2012 in vollem Umfang wieder aufgehoben.
Nachdem das Sozialgericht die Aufhebung zunächst als rechtswidrig angesehen hatte, wurde das Verfahren dann vom Bundessozialgericht dem EuGH vorgelegt, weil für die Entscheidung auch das Europarecht ausschlaggebend war.
Dabei ging es unter anderem um die EU-Richtlinie zur Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme. Dort ist in Artikel 4 bestimmt, dass EU-Bürger*innen in einem anderen EU-Land grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten aus den jeweiligen Landesgesetzen haben, wie die Staatsangehörigen des jeweiligen Landes.
Sozialleistungen nur für Deutsche ?
Die Frage, die das Bundessozialgericht dem EuGH gestellt hat war, ob dieses Gleichbehandlungsgebot auch für besondere, beitragsunabhängige Sozialleistungen für Arbeitssuchende, wie in diesem Fall SGB II – Leistungen, gelte. Denn im SGB II ist geregelt, dass EU-Ausländer von den Leistungen ausgeschlossen sind, wenn sie sich ausschließlich zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland aufhalten.
Für den Fall von EU-Ausländern, die sich in einem Aufnahmeland gar nicht um Arbeit bemühen, also auch nicht arbeitssuchend sind, hatte der EuGH bereits 2014 entschieden, dass diese von ALG 2 – Leistungen ausgeschlossen werden können.
Im jetzt vorliegenden Sachverhalt ging es jedoch um eine Klägerin, die zum Zweck der Arbeitssuche nach Deutschland eingereist war und hier auch bereits mehrere Monate, aber eben nur vorübergehend oder befristet, gearbeitet hatte.
In dieser Situation hat der EuGH keinen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot der EU-Verordnungen gesehen: Der Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II sei zulässig.
Es kommt auf die Dauer der Arbeitsverhältnisse an
Das EU-Recht sieht ein Aufenthaltsrecht für erwerbstätige EU-Bürger in anderen EU-Mitgliedsstaaten vor. Auch bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach einer bereits aufgenommenen Beschäftigung gilt man nach der Richtlinie 2004/38 für sechs Monate weiterhin als „erwerbstätig“, so dass das Aufenthaltsrecht auch bei Arbeitslosigkeit sechs Monate lang fortbesteht.
Für diesen Zeitraum des „nachwirkenden“ Aufenthaltsrechtes als erwerbstätige/r EU-Ausländer*in greift dann nach der Entscheidung des EuGH auch das Gleichbehandlungsgebot. Das heißt, EU-Ausländer*innen, die zunächst vorübergehend ein Beschäftigungsverhältnis in Deutschland aufgenommen haben, dann aber arbeitslos geworden sind, haben nach Ende des Arbeitsverhältnisses noch sechs Monate lang Anspruch auf Sozialleistungen wie ALG 2.
Anders ausgedrückt bedeutet das: EU-Ausländer verlieren ihren ALG 2- Anspruch, wenn sie nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses innerhalb von sechs Monaten keine neue Beschäftigung mehr aufnehmen.
Zusammenfassung
Grundsätzlich schreiben verschiedene EU-Richtlinien und Verordnungen den Mitgliedländern die Gleichbehandlung von erwerbstätigen und arbeitssuchenden EU-Bürgern mit den eigenen Staatsangehörigen vor. Allerdings sind Ausnahmebestimmungen in Sozialgesetzen der Mitgliedsländer weitgehend zulässig.
Für die Rechtslage in Deutschland bedeutet das:
Das Gleichbehandlungsgebot gilt zunächst nur für Erwerbstätige oder Arbeitssuchende. EU-Bürger*innen, die in Deutschland keine Arbeit suchen, können schon deshalb keine ALG 2 – Leistungen erhalten.
Wer als EU-Bürger*in nach Deutschland einreist, um hier eine Beschäftigung zu suchen, hat zunächst für drei Monate ein Aufenthaltsrecht. Das bringt aber noch keinen Anspruch auf Sozialleistungen wie ALG II mit sich. Den Lebensunterhalt muss er/sie selbst bestreiten können.
Wenn EU-Bürger*innen nach einer tatsächlichen kurzfristigen Beschäftigung in Deutschland wieder arbeitslos werden und eine neue Arbeit suchen, gelten sie nach EU-Recht noch für weitere sechs Monate als erwerbstätig. Während dieses Zeitraumes haben sie nach der EuGH-Entscheidung auch Anspruch auf ALG 2, danach jedoch nicht mehr.
Erst wenn ein/e EU-Bürger*in länger als ein Jahr tatsächlich in Deutschland gearbeitet hat und danach arbeitslos bzw. arbeitssuchend wird, besteht nach den EU-Richtlinien ein Aufenthaltsrecht, das auch einen Anspruch auf Sozialleistungen wie ALG 2 mit sich bringt, der über sechs Monate hinausgeht.
Anmerkung der Redaktion:
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsprechung des EuGH nur die europarechtlichen Vorgaben umsetzt. Unabhängig davon hat das Bundessozialgericht jetzt die Frage zu beantworten, ob und welche Sozialleistungen EU-Bürger*innen auf Arbeitssuche in Deutschland nach dem Grundgesetz zustehen (Stichwort Existenzminimum).
Hartz IV für spanische Familie trotz gesetzlichem Leistungsausschluss
Hartz IV-Ausschluss für Unionsbürger nicht europarechtswidrig
Rechtliche Grundlagen
Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) § 7 Lei
1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2. erwerbsfähig sind,
3. hilfebedürftig sind und
4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben
(erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Ausgenommen sind
1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen,
3. Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.
(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.
(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören
1. die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2. die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3. als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a) die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b) die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c) eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4. die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.
(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner
1. länger als ein Jahr zusammenleben,
2. mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3. Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4. befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.
(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,
1. wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2. wer in einer stationären Einrichtung untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
(4a) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten keine Leistungen, wenn sie sich ohne Zustimmung des zuständigen Trägers nach diesem Buch außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhalten und deshalb nicht für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung stehen. Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn für den Aufenthalt außerhalb des zeit-und ortsnahen Bereichs ein wichtiger Grund vorliegt und die Eingliederung in Arbeit nicht beeinträchtigt wird. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor bei
1. Teilnahme an einer ärztlich verordneten Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation,
2. Teilnahme an einer Veranstaltung, die staatspolitischen, kirchlichen oder gewerkschaftlichen Zwecken dient oder sonst im öffentlichen Interesse liegt, oder
3. Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit.
Die Zustimmung kann auch erteilt werden, wenn für den Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs kein wichtiger Grund vorliegt und die Eingliederung in Arbeit nicht beeinträchtigt wird. Die Dauer der Abwesenheiten nach Satz 4 soll in der Regel insgesamt drei Wochen im Kalenderjahr nicht überschreiten.
(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder der §§ 51, 57 und 58 des Dritten Buches dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
(6) Absatz 5 findet keine Anwendung auf Auszubildende,
1. die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung oder aufgrund von § 60 des Dritten Buches keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe haben,
2. deren Bedarf sich nach § 12 Absatz 1 Nummer 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, nach § 62 Absatz 1 oder § 124 Absatz 1 Nummer 1 des Dritten Buches bemisst oder
3. die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund von § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.