Mit dem Werbeaufdruck sollte das Auslieferungsfahrzeug auffallen. Deshalb lackierte es die beklagte Firma so um, dass bei geschlossener Seitentür der Eindruck erweckt wird, als sei die Tür aufgeschoben, und im Inneren liege eine nackte Frau mit halb ausgezogenen roten Pumps in einem Kaffeebohnen-Meer. Eine Aufschrift mit rotem Herz kommentiert dazu: „Verführerisch Lecker“. Der Fahrer lieferte fast 20 Jahre für seine Arbeitgeberin Kaffee für Kunden im Kölner und Düsseldorfer Raum aus. Er weigerte sich jedoch, Kaffee mit dem neu gestalteten Lieferwagen auszufahren, als dieser am nächsten Tag neben dem Werbeaufdruck auch noch mit roten Radkappen versehen wurde. In einem Streitgespräch mit dem Chef erklärte er: mit einem solchen „Puffauto“ mach ich keine Geschäfte mehr. Daraufhin wurde er fristlos, hilfsweise zum 31.12.2015 entlassen.


Gestaltungsrecht des Arbeitgebers nicht grenzenlos


Die Richterin beim Arbeitsgericht Mönchengladbach entschied, grundsätzlich könnten Arbeitgeber bestimmen, dass Mitarbeiter*innen ein von ihm gestaltetes Dienst-Fahrzeug fahren müssen. Sein Weisungsrecht ist aber nicht grenzenlos. Er muss es nach billigem Ermessen ausüben. Ob der Arbeitgeber diese Grenze eingehalten hat, als er den Fahrer gezwungen hat, das Auto mit den nackten Frauenbeinen inmitten von Kaffeebohnen zu fahren, hat das Arbeitsgericht offen gelassen.


Keine diskriminierende Kündigung


Der Fahrer war nämlich in einem Kleinbetrieb beschäftigt, in dem nicht mehr als zehn Arbeitnehmer*innen tätig waren. In diesen Fällen überprüft das Gericht die Wirksamkeit einer Kündigung nur ganz eingeschränkt dahingehend, ob sie z. B. willkürlich oder diskriminierend ist. Der klagende Auslieferungsfahrer hatte sich darauf berufen, dass die Arbeitgeberin ihn wegen seiner ihr bekannten Homosexualität benachteilige. Das Arbeitsgericht konnte dagegen nicht feststellen, dass die Arbeitgeberin dem Fahrer das Fahrzeug wegen seiner Homosexualität zugewiesen habe. Ob die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, hat das Arbeitsgericht nicht mehr überprüft, weil im Kleinbetrieb kein Kündigungsschutz besteht.


Fristlose Kündigung – unverhältnismäßig


Die fristlose Kündigung war dagegen nicht wirksam. Die Arbeitgeberin hätte zuvor eine Abmahnung erteilen müssen, entschied das Gericht. Außerdem ist eine sofortige Entlassung auch deshalb nicht zulässig, weil der Fahrer schon fast 20 Jahre beschäftigt war, ohne dass es irgendwelche Beanstandungen im Arbeitsverhältnis gegeben hätte


Anmerkung:


Die Weigerung des Fahrers, kein Auto mit sexistischem und frauenfeindlichem Aufdruck zu fahren, muss Beifall finden: gut so! Ist doch die Reaktion mehr als verständlich. Hätte der Arbeitgeber auch einer Fahrerin ein solches Auto zugemutet, bei deren Fahrten regelmäßig dumme Sprüche und Belästigungen zu erwarten gewesen wären? Wie wäre es mit einem ausländerfeindlichen Werbespruch? Hätte man einem Ausländer ein Auto mit einem aufgesprühten „refugees not welcome“ zugemutet?


Würde der Arbeitnehmer daher nicht in einem Kleinbetrieb mit nicht mehr als 10 Mitarbeitern arbeiten, hätte das Gericht die Kündigungsgründe sicher näher überprüfen und die berechtigten Interessen des Fahrers berücksichtigen müssen. So muss die Erteilung von Weisungen billigem Ermessen entsprechen; ein Arbeitgeber darf sich über die Belange seiner Mitarbeiter*innen nicht einfach hinwegsetzen. Die unternehmerische Freiheit zu bestimmen, wie ein Arbeitgeber für sein Unternehmen wirbt, muss gegen das Interesse des Arbeitnehmers, nicht wegen plakativer Werbe-Inhalte belästigt werden zu wollen, abgewogen werden. Gerade provozierende Werbung kann von den betroffenen gesellschaftlichen Gruppen wie Religionsgemeinschaften, Ausländern oder – wie hier – Frauen als verletzend angesehen werden. Sie werden deshalb nicht ohne weiteres zwischen dem Verursacher, dem Arbeitgeber, und dem Arbeitnehmer, der die Werbung nur nach außen trägt, unterscheiden. Arbeitgeber müssen daher auf Arbeitnehmer*innen Rücksicht nehmen, wenn diese deutlich machen, dass sie nach ihren ethischen Maßstäben einen bestimmten Werbeinhalt nicht mittragen können.


Bei Arbeitsverweigerung aus religiösen oder Gewissensgründen ist z. B. anerkannt, dass Arbeitnehmer*innen die Übernahme bestimmter Tätigkeiten nicht zugemutet werden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts war das z. B. der Fall bei einem Kriegsdienstverweigerer, der kriegsverherrlichende Schriften drucken sollte, oder bei einem muslimischen Mitarbeiter, der alkoholische Getränke in Regale einräumen sollte. Die Kündigung war in diesen Fällen trotz Arbeitsverweigerung unwirksam, wenn alternative Beschäftigungsmöglichkeiten bestanden. Sollte daher der Kaffee-Auslieferer in Mönchengladbach über Fahrzeuge ohne den Werbeaufdruck verfügen, wäre er sicher verpflichtet, seinem langjährigen Mitarbeiter dieses Fahrzeug zuzuweisen.

 

Das Gericht in Mönchengladbach hat diese Möglichkeit nicht geprüft, weil kein Kündigungsschutz bestand. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist jedoch auch Arbeitnehmern, die keinen Kündigungsschutz genießen, ein Mindestschutz zu gewähren. So müssen sie vor willkürlichen, diskriminierenden oder sittenwidrigen Kündigungen geschützt werden. Ich meine, eine krasse gegen allgemeine ethische Anschauungen verstoßende Kündigung liegt auch hier vor, wenn ein seit fast 20 Jahren beschäftigter Fahrer entlassen wird, der sich mit guten Gründen gegen sexistische Werbung auf seinem Dienstfahrzeug zur Wehr setzt, und dem sein Arbeitgeber auch ein anderes Fahrzeug ohne Aufdruck zur Verfügung stellen könnte.

Berufungsverfahren endet mit Vergleich

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte auch seine Probleme mit der fristlosen, wohl aber nicht mit der ordentlichen Kündigung. Im Berufungsverfahren ließen die Richter erkennen, dass sie die fristlose Kündigung für unwirksam erachten. Denn nach einer Beschäftigungsdauer von fast 20 Jahren könne der Arbeitgeber in diesem Fall nicht ohne vorherige Abmahnung eine fristlose Kündigung aussprechen. Es sei auch zumutbar gewesen, den Kläger während der ordentlichen Kündigungsfrist auf einem anderen Wagen einzusetzen. Die Parteien haben sich daraufhin auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2015 verständigt, also unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist. 

 

Hier direkt zur Pressemitteilung des Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Az.: 8 Sa 1381/15, zum Vergleich und Beschluss vom 07.06.2016

 

Das vollständige Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach können Sie hier nachlesen.