Auch wenn die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis bereits während der Probezeit kündigt, muss sie den Betriebsrat vorher anhören. Dass die Arbeitgeberin dabei eine Besonderheit nicht beachtete, rettete einer IT-Service-Administratorin den Arbeitsplatz. Jürgen Leicht, Rechtssekretär der DGB Rechtsschutz GmbH im Büro Stuttgart, hat vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg ein für die Kollegin positives Urteil erstritten.
Die Kollegin, die Mitglied bei der IG Metall ist, war seit dem 17. März 2014 bei der beklagten Arbeitgeberin als IT-Service-Administratorin beschäftigt. Der Arbeitsvertrag sah eine sechsmonatige Probezeit vor.
Noch ehe die Probezeit abgelaufen war, entschloss sich die Arbeitgeberin, das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 20. August 2014 zum 30. September 2014 zu beenden.
Beteiligung des Betriebsrats
Die Kollegin erhob Kündigungsschutzklage und bestritt, dass ihre ehemalige Arbeitgeberin den Betriebsrat ordnungsgemäß angehört hatte. Deshalb musste die Arbeitgeberin darlegen, warum sie der Ansicht war, dass die Anhörung ohne Mängel erfolgt war. Dazu legte sie
dem Gericht ein Schreiben vom 06. August 2014 vor, mit dem sie den Betriebsrat von der Kündigung nach § 99 BetrVG unterrichtet hat. Weiter hat sie behauptet, bereits Anfang August 2014 habe ihr Geschäftsführer den Vorsitzenden des Betriebsrates über den Kündigungsentschluss informiert. Außerdem habe die Arbeitgeberin den Betriebsrat am
06. August 2014 mündlich zur beabsichtigten Kündigung angehört. Dem Betriebsrat sei zudem bekannt gewesen, dass die Mitarbeiterin durch schlechte Arbeitsergebnisse und fehlende Kenntnisse aufgefallen sei.
Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg
Mit seinem Urteil vom 14. Januar 2016 hat das Gericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 20. August 2014 nicht beendet wurde, weil die Arbeitgeberin den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört hat.
Einleitung eines Anhörungsverfahrens?
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat in seiner Entscheidung offen gelassen, ob die Arbeitgeberin überhaupt ein Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG eingeleitet hat. Es spricht aber aus der Sicht des Gerichts einiges dafür, dass das nicht der Fall war:
- Das Schreiben vom 06. August 2014 hatte ausdrücklich den Zweck, den Betriebsrat nach § 99 BetrVG zu unterrichten, und nicht, ihn nach § 102 BetrVG anzuhören.
- Die Arbeitgeberin hat im Prozess nicht behauptet, beim Gespräch vom 6. August 2014 habe sie den Betriebsrat aufgefordert, sich zu der beabsichtigten Kündigung zu äußern.
Darauf kommt es nach Ansicht des Gerichts aber gar nicht an. Denn selbst, wenn man zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt, dass sie eine Anhörung des Betriebsrates eingeleitet hat, ist sie auf jeden Fall nicht ordnungsgemäß erfolgt.
Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung anzuhören
Für die Anhörungspflicht der Arbeitgeberin spielt die Art oder der Zeitpunkt der Kündigung keine Rolle. Ob es sich also um eine ordentliche oder außerordentliche, eine Tat- eine Verdachts- oder Änderungskündigung handelt, ist gleichgültig. Dasselbe gilt für jede Kündigung, die noch in der Probezeit erfolgt.
Besonderheit während der Probezeit
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg unterscheidet bei Kündigungen während der Probezeit zwei Fallgruppen:
- Die Kündigung beruht auf Werturteilen wie etwa „Die Chemie zwischen uns stimmt einfach nicht“ oder „Ich kann Sie einfach nicht leiden“.
- Die Kündigung beruht auf Tatsachen wie etwa „Sie kommen oft zu spät zur Arbeit“ oder „Sie befolgen meine Anweisungen nicht“.
Stützt die Arbeitgeberin die Kündigung allein auf Werturteile, muss sie - so das Gericht - dem Betriebsrat auch nur dieses Werturteil als solches mitteilen. Wenn sie sich aber auf Tatsachen stützt, muss sie dem Betriebsrat im Detail mitteilen, welche Tatsachen dies sind. Dabei reichen pauschale Angaben nicht aus. Vielmehr ist dem Betriebsrat beispielsweise mitzuteilen, wann die Mitarbeiterin um wie viele Minuten zu spät zur Arbeit erschienen ist, oder, wann sie welche Anweisungen nicht befolgt hat.
Konsequenzen für die Kollegin
Die pauschalen Behauptungen der Arbeitgeberin, die Arbeitsleistungen der Kollegin seien schlecht gewesen und ihr haben Kenntnisse gefehlt, sind für eine substantiierte Unterrichtung im Sinne der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht ausreichend. Deshalb war die Anhörung des Betriebsrates nicht ordnungsgemäß. Daraus folgt, dass die Kündigung unwirksam war, und die Kollegin ihren Arbeitsplatz mit Hilfe der DGB Rechtsschutz GmbH behalten konnte.
Hier finden Sie die vollständige Entscheidung des Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg vom 14.01.2016, 18 Sa 21/15
Rechtliche Grundlagen
§§ 99, 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
§ 99 Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen
(1) In Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber den Betriebsrat vor jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben; er hat dem Betriebsrat unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme zu geben und die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Maßnahme einzuholen. Bei Einstellungen und Versetzungen hat der Arbeitgeber insbesondere den in Aussicht genommenen Arbeitsplatz und die vorgesehene Eingruppierung mitzuteilen. Die Mitglieder des Betriebsrats sind verpflichtet, über die ihnen im Rahmen der personellen Maßnahmen nach den Sätzen 1 und 2 bekanntgewordenen persönlichen Verhältnisse und Angelegenheiten der Arbeitnehmer, die ihrer Bedeutung oder ihrem Inhalt nach einer vertraulichen Behandlung bedürfen, Stillschweigen zu bewahren; § 79 Abs. 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.
(2) Der Betriebsrat kann die Zustimmung verweigern, wenn
1. die personelle Maßnahme gegen ein Gesetz, eine Verordnung, eine Unfallverhütungsvorschrift oder gegen eine Bestimmung in einem Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung oder gegen eine gerichtliche Entscheidung oder eine behördliche Anordnung verstoßen würde,
2. die personelle Maßnahme gegen eine Richtlinie nach § 95 verstoßen würde,
3. die durch Tatsachen begründete Besorgnis besteht, dass infolge der personellen Maßnahme im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer gekündigt werden oder sonstige Nachteile erleiden, ohne dass dies aus betrieblichen oder persönlichen Gründen gerechtfertigt ist; als Nachteil gilt bei unbefristeter Einstellung auch die Nichtberücksichtigung eines gleich geeigneten befristet Beschäftigten,
4. der betroffene Arbeitnehmer durch die personelle Maßnahme benachteiligt wird, ohne dass dies aus betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen gerechtfertigt ist,
5. eine nach § 93 erforderliche Ausschreibung im Betrieb unterblieben ist oder
6. die durch Tatsachen begründete Besorgnis besteht, dass der für die personelle Maßnahme in Aussicht genommene Bewerber oder Arbeitnehmer den Betriebsfrieden durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigung, stören werde.
(3) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so hat er dies unter Angabe von Gründen innerhalb einer Woche nach Unterrichtung durch den Arbeitgeber diesem schriftlich mitzuteilen. Teilt der Betriebsrat dem Arbeitgeber die Verweigerung seiner Zustimmung nicht innerhalb der Frist schriftlich mit, so gilt die Zustimmung als erteilt.
(4) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht beantragen, die Zustimmung zu ersetzen.
Betriebsverfassungsgesetz
§ 102 Mitbestimmung bei Kündigungen
(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.
(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.
(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn
1. der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
2. die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt,
3. der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
4. die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5. eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.
(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.
(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn
1. die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2. die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3. der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.
(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.
(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem
Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.