Arbeitsunfähige Mitarbeiter begehen keine Pflichtverletzung, wenn sie Aufforderung zu einem Personalgespräch nicht nachkommen.
Arbeitsunfähige Mitarbeiter begehen keine Pflichtverletzung, wenn sie Aufforderung zu einem Personalgespräch nicht nachkommen.

Die Arbeitnehmerin, über deren Fall das LAG Nürnberg zu entscheiden hatte, hatte bereits eine Kündigung zum 31.5.2013 erhalten, die aber nicht wirksam war. 

Sie erkrankte und war arbeitsunfähig ab dem 20.03.2013 bis zum 30.06.2013. 

Arbeitnehmerin erhielt Kündigung, weil sie nicht zum Personalgespräch erschien

Ihre Arbeitgeberin lud sie während ihrer Erkrankung wiederholt zu Personalgesprächen ein. Auf Nachfrage, worum es im Personalgespräch gehen sollte, antwortete die Arbeitgeberin zuerst gar nicht. Zuletzt teilte sie mit, dass im Gespräch aufgetretene Störungen im Arbeitsverhältnis und Unregelmäßigkeiten erörtert werden sollten. Die Arbeitnehmerin erschien zu keinem Termin. Dies nahm die Arbeitgeberin zum Anlass, sie zunächst abzumahnen und ihr schließlich eine Kündigung zum 31.07.2013 zu schicken. 

Arbeitgeber dürfen Arbeitnehmer*innen Weisungen zu Arbeitsleistung und Arbeitsverhalten erteilen

Soweit im Arbeitsvertrag oder in einem Tarifvertrag nichts näher geregelt ist, darf der Arbeitgeber Art, Ort und Zeit der Arbeitsleistung konkreter bestimmen. Arbeitgeber dürfen auch Weisungen zum Arbeitsverhalten geben oder die Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern regeln. Diese Weisungen dürfen allerdings nicht willkürlich, diskriminierend oder für Mitarbeiter*innen unzumutbar sein. Sie müssen auch auf die Interessen der Beschäftigten Rücksicht nehmen, nur dann entsprechen sie billigem Ermessen. 

Arbeitgeber können Weisungen auch mündlich im Personalgespräch erteilen

Derartige Weisungen muss der Arbeitgeber nicht unbedingt schriftlich erteilen. Er darf das auch mündlich in einem Personalgespräch tun. Deshalb kann er in der Regel auch von seinen Beschäftigten verlangen, dass diese einer Aufforderung zum Personalgespräch nachkommen.

Erkrankte Mitarbeiter*innen müssen am Personalgespräch nicht teilnehmen

Erkrankte Arbeitnehmer*innen sind nicht verpflichtet zu arbeiten. Deshalb ist nach Ansicht des LAG Nürnberg der Arbeitgeber auch nicht berechtigt, ihnen mündliche Anweisungen zu ihrer Arbeitsleistung in einem Gespräch zu erteilen. Das Gleiche gilt auch für auf die Arbeit bezogene Verhaltenspflichten, wie z. B. Pünktlichkeit, Zusammenarbeit mit Kollegen, Tragen von Arbeitskleidung oder Einhaltung von Sicherheitsvorschriften. Da arbeitsunfähige Mitarbeiter*innen Weisungen ihres Arbeitgebers während ihrer Erkrankung gar nicht erfüllen können, müssen sie auch an keinem Personalgespräch teilnehmen, in dem ihre Pflichten erörtert werden sollen. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob sie gesundheitlich in der Lage sind, den Gesprächstermin wahrzunehmen.

Personalgespräch kann verschoben werden

Das LAG Nürnberg weist in seiner Entscheidung außerdem daraufhin, dass die Arbeitgeberin auch nicht deutlich machen konnte, weshalb das Gespräch unbedingt noch während der Erkrankung stattfinden musste. Ein dringender unaufschiebbarer Gesprächsbedarf war jedenfalls nicht erkennbar.

Anmerkung:

Mit der Aufforderung zu Personalgesprächen üben Arbeitgeber häufig Druck auf ihre Mitarbeiter*innen aus. In der Regel lassen die Gespräche auch nichts Gutes erwarten. Oft geht es nicht nur darum, Arbeitspflichten zu klären; Arbeitgeber versuchen in Einzelgesprächen vielmehr auch, Vertragsänderungen durchzusetzen oder Aufhebungsvereinbarungen zu treffen. Die Rechtsprechung setzt der Pflicht, an diesen Gesprächen teilzunehmen, daher zu Recht Grenzen.

Auch arbeitsfähige Arbeitnehmer*innen müssen nicht an jedem Personalgespräch teilnehmen

Will der Arbeitgeber weder über die Arbeitsleistung noch über das Verhalten oder die einzuhaltende betriebliche Ordnung sprechen, sondern über Vertragsänderungen, geht es im Personalgespräch nicht mehr um mündliche Weisungen des Arbeitgebers. In diesen Fällen sind Beschäftigte daher generell unabhängig von einer Erkrankung nicht verpflichtet, den Gesprächstermin wahrzunehmen.

Keine Teilnahmepflicht, wenn es um Verzicht auf vertragliche Leistungen geht

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem die Arbeitnehmerin auf einen Teil des ihr zustehenden Weihnachtsgeldes verzichten sollte (Urteil des BAG vom 23.06.2009, 2 AZR 606/08). Sie hatte den Verzicht bereits in einem gemeinsam mit anderen Arbeitskollegen und der Arbeitgeberin geführten Gespräch abgelehnt. Daraufhin wurde sie zum Einzelgespräch zitiert. Sie erschien zwar, weigerte sich an dem Gespräch aber ohne ihre „Mitstreiter*innen“ teilzunehmen. Daraufhin mahnte sie die Arbeitgeberin ab. Das BAG hielt die Abmahnung für nicht wirksam. Verhandlungen über Vertragsänderungen wie etwa der Verzicht auf Weihnachtsgeld sind nicht mehr vom Weisungsrecht des Arbeitgebers gedeckt. Derartige Gespräche müssen Arbeitnehmer*innen deshalb mit ihrem Arbeitgeber auch nicht führen. Arbeitnehmer*innen dürfen nämlich gewünschte Vereinbarungen auch ablehnen. Deshalb dürfen sie sich Gesprächen mit diesem Gesprächsgegenstand verweigern.

Teilnahme an betrieblichem Eingliederungsmanagement

Bei erheblichen Fehlzeiten eines Mitarbeiters von mehr als 6 Wochen innerhalb eines Jahres ist der Arbeitgeber verpflichtet, ein sog. betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. Hierzu soll durch Gespräche mit den betroffenen Arbeitnehmern*innen unter Beteiligung von Betriebsrat bzw. Personalrat und auch der Schwerbehindertenvertretung geklärt werden, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden kann. Im Gespräch soll geprüft werden, ob und ggf. mit welchen Leistungen oder Hilfen der bisherige Arbeitsplatz, die Arbeitszeit oder die Arbeitsorganisation behindertengerecht umgestaltet werden kann oder welche evtl. alternative leidensgerechte Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz in Betracht kommt. 

Arbeitnehmer*innen müssen vor dem Gespräch vom Arbeitgeber über die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagement aufgeklärt werden. Nicht jedes Personalgespräch über Krankheitszeiten erfüllt nämlich die Kriterien des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Aber sogar dann, wenn es sich bei dem Gespräch um ein ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement handeln sollte, besteht für die betroffenen Beschäftigten keine Teilnahmepflicht. Nehmen Beschäftigte daran nicht teil, verletzen sie keine Pflichten im Arbeitsverhältnis.

Teilnahmepflicht erkrankter Arbeitnehmer*innen bisher höchstrichterlich nicht entschieden

Das LAG Nürnberg hat deshalb richtigerweise die Teilnahmepflicht erkrankter Beschäftigter an Personalgesprächen generell abgelehnt. Während der Arbeitsunfähigkeit können Arbeitnehmer*innen Weisungen in Bezug auf Arbeitsleistung oder Arbeitsverhalten ohnehin nicht nachkommen. Daher reicht es aus, das Gespräch nach Ende der Erkrankung zu führen. 

Die Richter in Erfurt haben nun die Gelegenheit über den Fall aus Nürnberg zu entscheiden. Das Verfahren des LAG ist bereits beim BAG anhängig (das Aktenzeichen lautet: 2 AZR 855/15), die Entscheidung also nicht rechtskräftig.

Das vollständige Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 01.09.2015 kann hier nachgelesen werden. 


Lesen Sie zum Thema Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) auch unseren Artikel

„BEM gilt auch für Auszubildende“.

Allgemeines zum Thema BEM kann hier nachgelesen werden.