Kündigung wegen häufiger Krankheitszeiten hat keinen Erfolg
Der Arbeitnehmer aus Brilon war bereits seit 25 Jahren bei seiner Arbeitgeberin beschäftigt. In den letzten dreieinhalb Jahren war er häufiger wegen unterschiedlicher Krankheiten ausgefallen. Seiner Arbeitgeberin war das zu viel. Sie kündigte, weil sie in den Jahren 2012 bis Mitte 2015 Entgeltfortzahlungskosten von 19.000 € habe zahlen müssen. Außerdem seien ihr zusätzliche Kosten durch den Einsatz von Ersatzpersonal entstanden. Sie meinte, diese wirtschaftlichen und betrieblichen Belastungen seien ihr zukünftig nicht mehr zuzumuten.
Mit Arbeitsunfähigkeitszeiten muss auch zukünftig zu rechnen sein
Allein die Tatsache, dass Arbeitnehmer*innen in der Vergangenheit häufiger arbeitsunfähig sind, rechtfertigt eine Kündigung aus Krankheitsgründen nicht. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat vielmehr ein Prüfungsschema von drei Schritten entwickelt. Dieses Schema wenden Arbeitsgerichte an, wenn sie entscheiden, ob eine krankheitsbedingte Kündigung wirksam ist.
Zum einen müssen erhebliche Fehlzeiten in der Vergangenheit vorliegen. Dabei werden in der Regel die Krankheitszeiten der letzten drei Jahre des Arbeitsverhältnisses zugrunde gelegt und Fehlzeiten jedenfalls von mehr als sechs Wochen pro Jahr als erheblich bewertet.
Entscheidend sind jedoch nicht die Fehlzeiten aus den vergangenen Jahren. Maßgeblich ist vielmehr, ob aus Anzahl und Art der Erkrankungen zu schließen ist, dass Fehlzeiten auch zukünftig in einem vergleichbaren Umfang auftreten werden (sog. Negativprognose).
Wirtschaftliche und betriebliche Belastungen durch Fehlzeiten
Das ist nicht so, wenn Fehlzeiten auf Unfällen beruhen, ausgeheilt oder nur einmalig aufgetreten sind. Denn: es ist nicht anzunehmen, dass ein Arbeitnehmer beispielsweise wieder wegen eines Unfall ausfällt, nur weil er in der Vergangenheit einen solchen erlitten hat. Auch bei Krankheiten, die nach einer Operation medizinisch als ausgeheilt gelten, ist nicht damit zu rechnen, dass sie zukünftig wieder auftreten werden.
Kann dagegen aus der Art der bisherigen Erkrankungen der Schluss auf zukünftige Krankheitsausfälle gezogen werden, muss der/die Arbeitnehmer*in vortragen, dass die gesundheitliche Entwicklung sich in Zukunft positiv gestalten wird. Für diese Behauptung müssen Arbeitnehmer*innen ihre behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden.
In einem zweiten Schritt prüft das BAG, ob erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen mit den zu erwartenden zukünftigen gesundheitlichen Ausfälle des/der Arbeitnehmer*in verbunden sind. Dazu muss der Arbeitgeber detailliert vortragen, welche wirtschaftlichen und/oder betrieblichen Belastungen aufgetreten sind und bei zukünftigen Fehlzeiten zu erwarten sind. Dazu gehören etwa erhebliche Entgeltfortzahlungskosten über 6 Wochen im Jahr oder betriebliche Ablaufstörungen, z. B. Auftragsverluste, Maschinenstillstände, Überlastung des verbliebenen Personals. Gelegentliche Überstunden muss der Arbeitgeber dagegen hinnehmen.
Langjähriges Arbeitsverhältnis wird berücksichtigt
Wenn die beiden ersten Voraussetzungen vorliegen, ist die Kündigung nicht in jedem Fall schon wirksam. Das BAG wägt in einem dritten Prüfungsschritt vielmehr die Interessen von Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*in ab und bezieht viele Einzelumstände mit ein.
Zu Gunsten der Arbeitnehmerseite berücksichtigt es beispielsweise, ob das Arbeitsverhältnis bereits längere Zeit ohne nennenswerte Fehlzeiten bestanden hat, ob betriebliche Ursachen zum krankheitsbedingten Ausfall geführt haben, wie alt der Arbeitnehmer ist und wie viele Unterhaltspflichten bestehen.
Das Arbeitsgericht Paderborn hat im Fall des Maschinenführers festgestellt, dass aus den Fehlzeiten in der Vergangenheit nicht geschlossen werden konnte, dass auch für die Zukunft mit ähnlichen Fehlzeiten zu rechnen war.
Dazu hat es im Einzelnen für jedes Jahr festgehalten, auf welchen Krankheiten die Ausfallzeiten beruhten. Fehlzeiten, die nach einer Operation oder einer Verletzung ausgeheilt waren, oder nur einmalig aufgetreten waren, hat das Gericht unberücksichtigt gelassen.
Deshalb kam es zu dem Ergebnis, dass unter Abzug dieser Krankheitsausfälle die Prognose der Arbeitgeberin, auch zukünftig seien erhebliche Fehlzeiten zu erwarten, keine Grundlage hat.
Anmerkung: Irrtümer bei krankheitsbedingter Kündigung
Es gibt zwei verbreitete Irrtümer. Der erste Irrtum besteht darin zu meinen, Arbeitgeber dürften keine Kündigungen aussprechen, solange der/die betroffene Arbeitnehmer*in arbeitsunfähig krank ist.
Der zweite Irrtum ist der, Arbeitgeber dürften generell wegen einer Erkrankung kündigen. Beides trifft nicht zu. Kündigungen sind weder von vorneherein ausgeschlossen, wenn Arbeitnehmer*innen krank sind, noch ist eine Erkrankung als solche ist schon ein Kündigungsgrund.
Entscheidend ist, ob frühere Erkrankungen in die Zukunft wirken und zu erheblichen weiteren Fehlzeiten führen werden. Erfolgreich war die Klage daher vor allem, weil der Vertreter des Klägers, Siegfried Schuster vom Büro Paderborn der DGB Rechtsschutz GmbH, die einzelnen Diagnosen der Erkrankungen in den Prozess eingebracht hat.
Dies geschieht in der Regel dadurch, dass bei der zuständigen Krankenkasse eine Aufstellung der Arbeitsunfähigkeitszeiten nebst Diagnosen aus den letzten 3-5 Jahren eingeholt wird. Nur auf der Basis dieser Informationen hat das Gericht die Möglichkeit, solche Erkrankungen als für die Prognose nicht bedeutsam auszuschließen, die auf Unfällen beruhen, ausgeheilt oder nur einmalig aufgetreten sind.
Die Offenlegung der Diagnosen hat allerdings auch ihren Preis: der Arbeitgeber* erfährt, woran der Arbeitnehmer* leidet und welche Diagnosen die Ärzte gestellt haben. Das muss ein Arbeitnehmer* aber in Kauf nehmen, wenn er sich mit Erfolg gegen eine Kündigung wehren will, die auf längere krankheitsbedingte Ausfallzeiten gestützt wird.
Das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 18.9.2015 - 3 Ca 493/15 gibt es hier im Volltext
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