Der Kläger war Mitarbeiter eines Bezirksamtes in Berlin, also einer staatlichen Behörde. Im Rahmen seiner Tätigkeit trug der Kläger stets eine Uniform.
Lektüre von „Mein Kampf“ während Dienstzeit
Während seiner Arbeitszeit setzte sich der Kläger in den Pausenraum des Dienstgebäudes und las eine Ausgabe des Buches „Mein Kampf“ von Adolf Hitler.
Es handelte sich dabei nicht um die nunmehr seit Januar 2016 frei erhältliche sogenannte „Kritische Version“, einer vom „Institut für Zeitgeschichte“ wissenschaftlich kommentierten Ausgabe des Buches. Die Ausgabe des Klägers war eine ältere Ausgabe. Auf dem Buch war ein Hakenkreuz eingeprägt.
Das Bezirksamt kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis ordentlich, also unter Einhaltung der Kündigungsfrist.
LAG: Kündigung ist gerechtfertigt
Hiergegen wehrte sich der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage. Der Kläger machte vor allem geltend, eine ordentliche Kündigung sei unverhältnismäßig. Vielmehr hätte man ihm zuvor eine Abmahnung erteilen müssen.
Dies sah das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg anders. Es bestätigt damit das Urteil der Vorinstanz. Das Gericht stellt fest, dass der Kläger als Beschäftigter des Landes Berlin eine repräsentative Stellung inne hatte.
So trug er während des Dienstes eine Uniform. Damit war für jede*n Bürger*in bei Einblick in den Pausenraum der Beklagten deutlich erkennbar, dass der Kläger im Staatsdienst tätig war.
Abmahnung war nicht erforderlich
Der Kläger sei daher in besonderem Maße dazu verpflichtet gewesen, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, dem tragenden Prinzip des Grundgesetzes, einzutreten. Das Hakenkreuz, welches sich auf dem Cover der Buchausgabe befand, sei ein verfassungswidriges Symbol.
Mit dem öffentlichen Zeigen des Hakenkreuzes in den Räumen der Beklagten habe der Kläger in besonderer Weise gegen seine Verpflichtung verstoßen, so das LAG Berlin-Brandenburg. Das LAG macht dabei deutlich, dass im von ihm zu entscheidenden Fall keine vorherige Abmahnung durch die Beklagte nötig war.
Eine einschlägige Abmahnung ist regelmäßig notwendig, um eine ordentliche oder gar außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen. Es gibt aber besondere Konstellationen, in denen eine Abmahnung nicht nötig ist, wie der vorliegende Fall zeigt.
Zum Hintergrund: Abmahnung und Kündigung
Eine verhaltensbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber überprüfen die Arbeitsgerichte stets unter folgenden Gesichtspunkten:
- Die Kündigung ist zukunftsorientiert: Sie stellt keine Strafe für Dinge dar, die in der Vergangenheit im Arbeitsverhältnis vorgefallen sind. Maßgeblich ist, ob zukünftig zu erwarten ist, dass das Arbeitsverhältnis beanstandungslos fortgesetzt werden kann.
- Hierzu bedient sich das Arbeitsgericht einer Prognose. Es kommt darauf an, ob der Arbeitgeber damit rechnen muss, dass Gründe für eine Kündigung auch in Zukunft vorliegen werden. Maßgeblich sind die Gegebenheiten zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung beim Arbeitnehmer.
- Die Kündigung muss die letzte Möglichkeit sein, die Störung im Arbeitsverhältnis zu beenden. Kommen andere Möglichkeiten in Betracht, so sind diese von Arbeitgeberseite vorrangig einzusetzen. So ist etwa die Versetzung eines Arbeitnehmers eine mildere Maßnahme zur Problemlösung gegenüber der Kündigung.
- Letztlich nehmen die Arbeitsgerichte eine abschließende Interessenabwägung vor. Hier findet eine Abwägung der Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber statt. Maßgeblich ist bei einer verhaltensbedingten Kündigung folgende Frage: Ist es dem Arbeitgeber zumutbar, den Arbeitgeber angesichts der vorgeworfenen Pflichtverletzung weiterhin zu beschäftigen?
Die Beklagte sprach vor der ordentlichen Kündigung keine Abmahnung aus. Das Bundesarbeitsgericht fordert in ständiger Rechtsprechung, dass der Arbeitgeber in der Regel zunächst eine Abmahnung ausspricht.
Wozu dient die Abmahnung?
Das LAG Berlin-Brandenburg musste daher entscheiden, ob die Kündigung bereits die letzte Möglichkeit für die Beklagte war, zukünftig von ihr zu erwartende Pflichtverletzungen zu unterbinden. Die Kündigung muss die „Ultima-Ratio“ für die Unterbindung zukünftig zu erwartender Pflichtverstöße sein.
Der Abmahnung kommen vier Funktionen zu: Zunächst muss die Abmahnung den arbeitsvertraglichen Pflichtverstoß dokumentieren. Mit der Abmahnung muss der Arbeitnehmer die Pflichtverletzung rügen, also deutlich machen, dass er mit dem benannten Verhalten nicht einverstanden ist.
Damit verbunden ist die Aufforderung an den Arbeitnehmer, sich zukünftig vertragstreu zu verhalten. Letztlich muss die Abmahnung dem Arbeitnehmer deutlich (!) Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis androhen, klassischerweise ist dies die Kündigung.
Abmahnung nicht immer notwendig
Hartnäckig hält sich zudem der „Volksglaube“, wonach ein Arbeitgeber stets dreimal wegen gleichgelagerter Pflichtverstöße abmahnen muss. Um es nochmal deutlich zu sagen: Einmal reicht in der Regel!
Die Warnfunktion der Abmahnung kann sich nämlich auch abschwächen. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitgeber auf gleichartige Pflichtverletzungen stets nur mit einer Abmahnung reagiert. Mahnt der Arbeitgeber beispielsweise den Arbeitnehmer während häufigem Zuspätkommens immer nur ab, darf der Arbeitnehmer bald von einer faktischen Duldung seines Verhaltens durch den Arbeitgeber ausgehen.
Mit weiteren Konsequenzen wie einer Kündigung rechnet der Arbeitnehmer dann nicht mehr. Nützlich kann eine Abmahnung für Arbeitgeber*innen nur dann sein, wenn dem Arbeitnehmer klar ist, dass bei der nächsten gleichartigen Pflichtverletzung die Kündigung ausgesprochen wird.
Nicht immer muss abgemahnt werden
Soweit die Regel. Eine Abmahnung ist jedoch nicht nötig, wenn besonders schwere Vertragsverletzungen vorliegen, bei denen es dem Arbeitnehmer klar sein muss, dass sie zur Kündigung führen.
Dies ist der Fall wenn es sich dem Arbeitnehmer förmlich aufdrängen muss, dass der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht mal nur einmal hinnehmen wollen wird. Dann steht auch eine fristloste Kündigung im Raum.
So etwa bei Beleidigungen des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer. Gleiches gilt bei einem Fehlverhalten, welches das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber derart verletzt hat, dass auch eine Abmahnung hieran nichts mehr ändern kann.
LAG bejaht Ausnahmefall
Im vorliegenden Fall nahm das LAG Berlin-Brandenburg einen Ausnahmefall an. Die Beklagte durfte nach Ansicht des Landesarbeitsgericht durchaus davon ausgehen, dass der Kläger sein Verhalten zukünftig nicht unterlassen wird und das Buch weiterhin für andere deutlich sichtbar im Dienst lesen würde.
Das Bezirksamt ist eine staatliche Stelle und damit letztlich auch Repräsentant des Staates im Kontakt mit dem Bürger. Da passt es nicht ins Bild, wenn der Kläger im Dienst als Bediensteter des Staates - in Dienstuniform - ein verfassungsfeindliches Buch liest.
Brisant ist hierbei freilich, dass es sich um eine Ausgabe des Buches „Mein Kampf“ ohne wissenschaftlichen Kommentierung handelte. Historisch interessierte Menschen, die mit eigenen Augen die Hetzschrift Hitlers lesen wollen, greifen üblicherweise zur wissenschaftlich kommentierten Version. Der Kläger muss freilich in Anbetracht der ihm gehörenden unkommentierten Buchausgabe nicht unbedingt Neo- Nazi sein.
Hakenkreuz sorgt für Irritation
Es genügt in diesem Zusammenhang bereits ein irritierender Eindruck auf Besucher des Amtes, die den Kläger bei seiner Lektüre wahrnehmen.
Man mag argumentieren, dass die Beklagte den Kläger möglicherweise mit einer Abmahnung dazu hätte bewegen können, die Lektüre des Buches in den Räumen des Bezirksamtes zu unterlassen. Dem gegenüber steht aber die erhöhte Treuepflicht des Klägers gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Diese ist grundlegende Staatsidee und mit der Ideologie des Nazi-Regimes gänzlich unvereinbar.
Beachtlich ist, dass auf dem Cover des Buches ein Hakenkreuz abgebildet war. Zudem wurde der Kläger bereits bei seiner Lektüre des Buches wahrgenommen. Das schlichte Lesen des verfassungsfeindlichen Buches konnte mithin bei Besuchern des Amtes einen schlechten Eindruck erwecken.
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Pressemitteilung des LAG Berlin-Brandenburg
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Das sagen wir dazu:
Der Entscheidung ist zuzustimmen. Verfassungsfeindliche Schriften haben in staatlichen Behörden nichts zu suchen. Man muss dem Kläger keine neo-nationalsozialistische Gesinnung unterstellen, um eine schwere Pflichtverletzung festzustellen.
Aus § 241 Absatz 2 BGB folgt die Pflicht des Klägers, Rücksicht auf die Interessen der Beklagten zu nehmen. Damit verlangt die Rechtsordnung nicht zu viel. Der Kläger hätte die Lektüre in den Räumen der Beklagten schlicht unterlassen müssen.
Das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg ist richtig, da die ordentliche Kündigung hier bereits das mildere Mittel war, gegenüber einer in Betracht kommenden fristlosten Kündigung. Eine fristloste Kündigung durch dem Arbeitgeber ist dann gerechtfertigt, wenn es dem Arbeitgeber nicht mal mehr zumutbar ist, die Frist einer ordentlichen Kündigung einzuhalten.
Rechtliche Grundlagen
§ 86 StGB
(1) Wer Propagandamittel
1. einer vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Partei oder einer Partei oder Vereinigung, von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen Partei ist,
2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist,
3. einer Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes, die für die Zwecke einer der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen tätig ist, oder
4. Propagandamittel, die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen,im Inland verbreitet oder zur Verbreitung im Inland oder Ausland herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt oder in Datenspeichern öffentlich zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Propagandamittel im Sinne des Absatzes 1 sind nur solche Schriften (§ 11 Abs. 3), deren Inhalt gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist.
(3) Absatz 1 gilt nicht, wenn das Propagandamittel oder die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.
(4) Ist die Schuld gering, so kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.
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