Das Traditionsunternehmen, in dem Neumann arbeitet, kommt nicht mehr aus den roten Zahlen. In Windeseile wird eine Transfergesellschaft gegründet, ein Interessenausgleich, ein Sozialplan und eine zusätzliche Betriebsvereinbarung auf die Beine gestellt.
Transfergesellschaft oder Abfindung
Neumanns Kollegen*innen fügen sich. Sie wechseln in die Transfergesellschaft oder nehmen die Abfindung, obwohl dort noch nicht mal die Kündigungsfristen eingehalten worden sind.
Neumann wird zunächst noch weiterbeschäftigt, denn es sind noch über Monate Maschinen abzubauen. Eigentlich wird ihm vor Augen geführt, dass es hier nicht weitergeht.
Arbeitgeber wartete mit Kündigungsausspruch
Vier Monate gehen ins Land, dann wird - aus Neumanns Sicht plötzlich - die Kündigung ausgesprochen. Da er über 20 Jahre beschäftigt ist, erfolgt die Kündigung unter Einhaltung der Frist von sieben Monaten.
Neumann hält das nicht für rechtens, weil der Arbeitgeber so lange gewartet hat. Dies musste der Arbeitgeber aber aus Rechtsgründen machen, denn es gab einen Haustarifvertrag der betriebsbedingte Kündigungen für einen bestimmten Zeitpunkt rechtlich verhinderte.
Neumann pokert
Er fordert etwa fünfmal so viel Abfindung, wie ihm nach dem Sozialplan zuzüglich der Klageverzichtsprämie zustünde. Und das obwohl er durch den Abbau der Maschinen, den Weggang fast aller Mitarbeiter schon erlebt hat, dass diese Firma definitiv zu macht.
Auch ein Betriebsübergang ist nicht in Sicht. Mittlerweile gilt nicht einmal das Kündigungsschutzgesetz, weil durchschnittlich nicht mehr zehn Vollzeitbeschäftigte verblieben sind.
Neumann lehnt alle Vergleichsmodelle ab
Nicht jeder Vergleich ist günstig. Die Firma ist bereit bei Verzicht auf die Kündigungsfrist deutlich was auf die Abfindung draufzulegen. Dazu kann Neumann nicht geraten werden, weil er - ohne neuen Job - dann mit einer Sperre und einem Ruhen des Arbeitslosengeldes rechnen muss.
Eine Variante mit einer Freistellung von der Arbeit und Sprinterklausel kann dem Arbeitgeber abgerungen werden. Danach hätte Neumann seine Abfindung inklusive halber Klageverzichtsprämie bekommen und hätte die Möglichkeit gehabt, jederzeit selbst aus dem Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Kündigungsfrist auszuscheiden. Die Abfindung erhöht sich in einem solchen Fall um die aus Arbeitgebersicht gesparte Vergütung. Neumann ist aber völlig unzugänglich und lehnt alles ab.
Der Arbeitsplatz wird nicht zu retten sein, deshalb wird die Klage um die die Sozialplanabfindung und die Klageverzichtsprämie erweitert.
Wann sind Klageverzichtsprämien möglich?
Arbeitgebern ist sehr daran gelegen, schnell rechtliche Klarheit zu haben. Daher wird gerne mit einer zusätzlichen Prämie gewunken, damit die Maßnahme nicht gerichtlich überprüft wird. Leistungen in Sozialplänen sollen die mit einer Betriebsänderung für die Arbeitnehmer*innen verbundenen wirtschaftlichen Nachteile abmildern. Es ist rechtlich nicht möglich solche Leistungen davon abhängig zu machen, ob auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtet wird (BAG, Urteil vom 9.12.2014 - 1 AZR 146/13).
Durch die Hintertür jedoch geht eine solche Vereinbarung, nämlich durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung, die zusätzlich zu einem Sozialplan vereinbart wird. So hat es auch Neumanns Arbeitgeber gemacht.
Grundsätzlich ist es also möglich, in einer Betriebsvereinbarung eine Verzichtsprämie zu vereinbaren. Das Gericht hat in solchen Fällen eine Missbrauchskontrolle vorzunehmen. Das Bundesarbeitsgericht grenzt die Möglichkeit für Arbeitgeber hier ein, indem es sagt, das Verbot Sozialplanabfindungen von einem Verzicht auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage abhängig zu machen, dürfe durch eine solche Betriebsvereinbarung nicht umgangen werden.
Arbeitsgericht spricht nur Sozialplanabfindung zu
Im Gerichtstermin ist Neumann dank seiner Familienangehörigen zugänglicher, die Firma aber nicht mehr. Es kommt zu keinem Vergleich, sondern zu einem Urteil.
Obwohl unter anderem die Höhe der Klageverzichtsprämie mit einem Drittel der Gesamtsumme auch für die Unwirksamkeit der Prämie sprechen kann, spricht das Arbeitsgericht Aachen Neumann nur die Sozialplanabfindung zu. Die Prämie in Höhe von 10.000 € ist dahin.
Berufung für beide Seiten möglich
Auf einmal soll es schnell gehen. Neumann möchte mit dem Rechtsstreit abschließen, baldmöglichst über das Geld verfügen können und kein Berufungsverfahren mehr führen. Ob im hiesigen Fall die Klageverzichtsprämie wirksam vereinbart wurde, wird also nicht mehr zweitinstanzlich überprüft.
Arbeitnehmer und Arbeitgeber schließen im Nachhinein einen mit dem Urteil textgleichen Vergleich, damit schnell Rechtskraft erreicht wird.
Das sagen wir dazu:
Es kommt vor, Sozialplanabfindungen im Rahmen einer Kündigungsschutzklage erhöhen zu können. Anders als bei einem individuellen Angebot, in dem es heißt „annehmen oder alles riskieren“ ist die Ausgangssituation bei einer Sozialplanabfindung besser. Denn die Sozialpläne enthalten hier meist nur eine Fälligkeitsregelung, wonach bei Kündigungsschutzklagen die Auszahlung erst nach Beendigung des Klageverfahrens fällig wird. Die Abfindung ist also sicher.
Zumindest bei Betriebsänderungen, also wenn die Firma mit einer geschrumpften Belegschaft fortgeführt wird, besteht durchaus ein Risiko für die Firma, dass eine soziale Auswahl erfolgreich angegriffen wird. So kommt es dann schon mal dazu, dass im weiteren Verfahren höhere Abfindungen angeboten werden.
Gibt es jedoch eine zusätzliche freiwillige Betriebsvereinbarung mit einer Klageverzichtsprämie, sollte vor Klageerhebung klar sein, dass diese dann durchaus auch verspielt werden kann.
Das sagen wir dazu