Zugrunde liegt ein Rechtsstreit aus Dänemark. Einem Tagesvater war von der Gemeinde gekündigt worden, wobei betriebliche Gründe angegeben wurden; im Kündigungsgespräch soll die Adipositas aber angesprochen worden sein.
Im Rahmen der Prüfung dieser Klage hat das Gericht aus Dänemark den Gerichtshof gefragt, ob das Unionsrecht ein eigenständiges Verbot der Diskriminierung wegen Adipositas enthält. Hilfsweise wollte es wissen, ob Adipositas eine Behinderung sein kann und ob sie damit in den Geltungsbereich der Richtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf fällt.
Unionsrecht kennt kein allgemeines Verbot der Diskriminierung von Adipositas
Der EuGH urteilte, dass Adipositas als solche nicht als ein weiterer Grund neben denen angesehen werden kann, derentwegen Personen zu diskriminieren nach der Richtlinie 2000/78 verboten ist.
Die Richtlinie gibt den Mitgliedstaaten vor, jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in den von der Richtlinie abgedeckten Bereichen gemeinschaftsweit zu untersagen.
Die Frage des dänischen Gerichts, ob Adipositas als eine vom Schutz der Richtlinie 2000/78 umfasste Behinderung betrachtet werden kann, wurde verneint. Der Gerichtshof ist also zu dem Ergebnis gelangt, dass das Unionsrecht im Bereich Beschäftigung und Beruf kein allgemeines Verbot der Diskriminierung wegen Adipositas als solcher enthält.
Adipositas kann eine Behinderung im Sinn der Gleichbehandlungsrichtlinie sein
Der EuGH setzte sich dann damit auseinander, ob die Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass die Adipositas eines Arbeitnehmers eine Behinderung im Sinne dieser Richtlinie darstellen kann.
Hierzu stellte der EuGH vorab fest, dass der Begriff Behinderung so zu verstehen ist, dass er nicht nur die Unmöglichkeit erfasst, eine berufliche Tätigkeit auszuüben, sondern auch eine Beeinträchtigung der Ausübung einer solchen Tätigkeit. Denn eine andere Auslegung wäre mit dem Ziel der Richtlinie unvereinbar, die insbesondere Menschen mit Behinderung Zugang zur Beschäftigung oder die Ausübung eines Berufs ermöglichen soll.
Der EuGH stellte weiter fest, dass Adipositas als solche keine Behinderung im Sinne der Richtlinie 2000/78 ist, da sie ihrem Wesen nach nicht zwangsläufig eine Einschränkung zur Folge hat. Aber: Die Adipositas eines Arbeitnehmers fällt unter den Begriff Behinderung im Sinne der Richtlinie, wenn sie unter bestimmten Umständen eine Einschränkung mit sich bringt, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist. Außerdem muss sie den Beschäftigten in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können, und diese Einschränkung muss von langer Dauer sein. Dies wäre nach dem EuGH insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Adipositas an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe am Berufsleben, gehindert wäre, und zwar aufgrund eingeschränkter Mobilität oder dem Auftreten von Krankheitsbildern, die ihn an der Verrichtung seiner Arbeit hindern oder zu einer Beeinträchtigung der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit führen.
Die Richtlinie ist dementsprechend auszulegen.
Anmerkung der Redaktion:
In der Presse war nach der Entscheidung des EuGH vielfach zu lesen, krankhaft Fettleibige hätten Kündigungsschutz. Dies ist dem Urteil so nicht zu entnehmen. Der EuGH hat entschieden, dass Adipositas unter bestimmten Umständen eine Behinderung im Sinne der Richtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sein kann.
Sonderkündigungsschutz genießen Arbeitnehmer in Deutschland, wenn eine Schwerbehinderung, also ein Grad der Behinderung von mindestens 50 vorliegt oder der Arbeitnehmer wegen Gefährdung seines Arbeitsplatzes einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist.
Wenn starkes Übergewicht und die damit einhergehenden Beeinträchtigungen Kündigungsgrund ist, dann wäre die Kündigung – wenn die Adipositas in dem bestimmten Fall eine Behinderung im Sinne der Richtlinie ist – als diskriminierende Kündigung unwirksam.