Ein berechtigtes Rehabilitierungsinteresse des Arbeitnehmers besteht nur dann, wenn dem strafgerichtlichen Urteil Tatsachen zu Grunde liegen, die im vorangegangenen Kündigungsschutzverfahren noch nicht bekannt waren.
Richterrecht wirklich gerecht?
Mit seiner Entscheidung vom 27.06.2017 bestätigte das Bundesarbeitsgericht (BAG) erneut die Zulässigkeit einer Verdachtskündigung. Das Gesetz kennt den Begriff der Verdachtskündigung nicht. Sie ist vielmehr eine Entwicklung des unseligen Richterrechts aus den 30er Jahren.
Erstmals anerkannt wurde die Verdachtskündigung durch das Reichsarbeitsgericht (RAG) mit Urteil vom 23.06.1934. Betroffen hiervon war ein Verkäufer, dem fristlos gekündigt wurde, weil der Verdacht bestand, dass er Kundengelder unterschlagen habe.
Von den Gerichten der Tatsacheninstanz und dem BAG wird diese durchaus kritikwürdige und seit mehr als acht Jahrzehnten bestehende Rechtsprechung weiterhin angewandt, wie dies die neuerliche höchstrichterliche Entscheidung wieder einmal zeigt.
Nach einer anonymen Anzeige folgt Hausdurchsuchung und Freistellung von der Arbeit
Der 1949 geborene Kläger war seit 1978 bei der Beklagten beschäftigt. Seit 1999 leitete er die Abteilung Kaufmännische Projektabwicklung/Aufträge im Bereich „Rückbau Reaktoren“. Ab 2005 war er Leiter der Hauptabteilung Projekte. Er machte gegenüber der Beklagten Schadensersatz und die Wiedereinstellung geltend.
Gegen den Kläger war eine anonyme Anzeige erstattet worden. Begründet wurde diese damit, dass
er Geld von der W GmbH angenommen habe. Auf Grund der Anzeige wurden die Wohnung des Klägers und die Geschäftsräume der Beklagten durchsucht.
In Folge der Durchsuchungen wurde der Kläger von seinen Arbeitspflichten freigestellt. Er zahlte die erhaltenen 80.000,-- Euro nebst Zinsen in Höhe von 4.562,50 Euro zurück. Die Staatsanwaltschaft stellte Ende 2010/Anfang 2011 das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen des Vorwurfs, Geld von der W GmbH angenommen zu haben, ein.
Kündigung trotz Freispruch im Strafprozess wirksam
Im Januar 2011 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Vorteilsnahme. Daraufhin kündigte die Beklagte nach Einsicht in die Ermittlungsakten das Arbeitsverhältnis fristlos. Die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht (LAG)stellte die Wirksamkeit der Verdachtskündigung fest.
Im Dezember 2013 wurde der Kläger vom Landgericht Karlsruhe freigesprochen. Das Landgericht hatte festgestellt, dass es sich bei den Zahlungen eines Unternehmers, an den der Kläger auch Aufträge vergab, nicht um Schenkungen gehandelt habe, sondern um Darlehen.
Die auf Wiedereinstellung und Schadensersatz wegen Unterlassen weiterer Ermittlungsmaßnahmen gerichtete Klage des Klägers wurde vom Arbeitsgericht abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg.
Kein Anspruch auf Schadensersatz und Wiedereinstellung
In seiner Entscheidung kam bereits das LAG Baden-Württemberg zu dem Ergebnis, dass der Kläger von der Beklagten nicht verlangen könne wieder eingestellt zu werden. Auch bestehe kein Anspruch des durch die Kündigung entstandenen Schadens.
Ein Wiedereinstellungsanspruch komme nur dann in Betracht, wenn das Arbeitsverhältnis auf Grund des Verdachts einer strafbaren Handlung erfolgreich gekündigt worden sei und sich später die Unschuld des Arbeitnehmers herausstelle. Auch könnten nachträglich bekannt gewordene Umstände den bestehenden Verdacht entkräften.
Wenn ein Arbeitsverhältnis wegen eines dringenden Verdachts aufgelöst werden könne, bedürfe es eines Korrektivs, wenn sich dieser Verdacht im Nachhinein als nicht berechtigt herausstellt und dem Arbeitnehmer daraus ein schützenswertes Rehabilitierungsinteresse erwächst.
Diese Voraussetzungen aber sah das LAG als nicht gegeben, weshalb der Kläger sich nicht auf ein berechtigtes Rehabilitierungsinteresse berufen könne. Seine Unschuld sei nur strafrechtlich, aber nicht im Rahmen der arbeitsvertraglichen Beziehungen zur Beklagten erwiesen.
Strafrechtlich unschuldig reicht nicht
Nachträglich seien auch keine Umstände bekannt geworden, die den Verdacht einer schwerwiegenden Vertragsverletzung erschüttert hätten. Der Freispruch des Landgerichts sei für sich gesehen kein neuer Umstand, der zu einer Neubewertung der Verdachtskündigung Anlass gäbe. Denn er reiche nicht über den Zuständigkeitsbereich des Strafgerichts hinaus.
Im Ergebnis stellte das LAG fest, dass der Kläger sich nicht mit Erfolg darauf berufen könne, dass seine Unschuld erwiesen sei. Unschuldig sei er nur im strafrechtlichen Sinne. In dem rechtskräftig abgeschlossenen Kündigungsschutzverfahren habe sich jedoch seine "Unschuld" nicht erwiesen. Der Verdacht einer schwerwiegenden Vertragsverletzung wurde als Kündigungsgrund anerkannt.
Die Entgegennahme nicht unerheblicher Geldbeträge von dem Repräsentanten eines Auftragnehmers - ohne dies dem Arbeitgeber mitzuteilen - sei geeignet, den Eindruck zu erwecken, dass die Zahlungen nicht rein privater Natur waren, sondern auch der Pflege der geschäftlichen Beziehungen dienen sollten. Ebenfalls abgelehnt hat das LAG einen Schadensersatzanspruch wegen Unterlassen weiterer Ermittlungsmaßnahmen.
Bundesarbeitsgericht bestätigt Landesarbeitsgericht
Auch beim Bundesarbeitsgericht (BAG) war der Klage des zwischenzeitlich verstorbenen Klägers kein Erfolg beschieden.
In dem von der Ehefrau Klägers weiter betriebenen Revisionsverfahren beim BAG bestätigte der 9. Senat sein Festhalten an der durchaus kritikwürdigen Rechtsprechung und seit über 80 Jahren aufrecht erhaltenen und weiter entwickelten Rechtsprechung bundesdeutscher Gerichte zum Thema „Verdachtskündigung“.
Hier finden Sie das Urteil des Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg vom 22.05.2015 - Az: 12 Sa 5/15
und des
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.06.2017 - Az: 9 AZR 576/15
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Unschuldig in die Arbeitslosigkeit
Was ist eine Verdachtskündigung?
BAG bestätigt Wirksamkeit einer Verdachtskündigung im Ausbildungsverhältnis
Das sagen wir dazu:
Wenn keine Tatkündigung begründet werden kann, dann muss die Verdachtskündigung her!
Schon der bloße Verdacht einer Pflichtverletzung kann für eine Kündigung ausreichen. Die Gerichte sprechen in so einem Fall nicht von einer Tat-, sondern von einer Verdachtskündigung. Hierbei sind jedoch spezielle formelle Voraussetzungen einzuhalten.
Wenn ein Arbeitgeber eine verhaltensbedingte Kündigung ausgesprochen hat, muss er im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens darlegen und beweisen, dass ein Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten vorliegt. Es kann auch schon der unbewiesene Verdacht ausreichen, dass der/die Beschäftigte arbeitsvertragliche Pflichten verletzt hat. In einem solchen Fall spricht nicht von einer Tat-, sondern von einer Verdachtskündigung.
Bei einer Verdachtskündigung besteht immer die Gefahr, dass es einen Unschuldigen trifft. Deshalb kommt diese Form der Kündigung nur unter strengen Bedingungen in Betracht.
Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung
Voraussetzungen sind:
- Es muss der Verdacht eines erheblichen Pflichtverstoßes bestehen. Erheblich sind Pflichtverstöße in diesem Zusammenhang dann, wenn sie – wären sie erwiesen – eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen würden. Der Verstoß muss demnach so schwerwiegend sein, dass der Arbeitgeber schon allein aufgrund des Verdachts nicht zuzumuten ist, den Ablauf der Kündigungsfrist abzuwarten. Dies ist zum Beispiel der Fall, beim Verdacht auf Diebstahl, Unterschlagung, Arbeitszeitbetrug, Tätlichkeiten oder groben Beleidigungen.
- Der Verdacht muss dringend sein. Nur vage Verdachtsmomente können eine Verdachtskündigung nicht begründen.
- Der Verdacht muss sich aus Tatsachen ergeben. Ein rein spekulativer Verdacht reicht nicht aus.
- Eine Verdachtskündigung ohne vorherige Anhörung des/der Beschäftigten ist unwirksam.
- Bei der Anhörung ist es erforderlich, dass der Arbeitgeber die Vorwürfe konkret benennt, so dass sich der/die Beschäftigte mit einem greifbaren Sachverhalt auseinandersetzten kann. Nur, wenn der/die Betroffene ausdrücklich erklärt, er/sie werde sich nicht zu dem Verdacht äußern, ist eine Anhörung nicht erforderlich, weil sie auf keinen Fall zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts führen würde.
- Das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss das Interesse des Arbeitnehmers überwiegen, seinen Arbeitsplatz zu behalten. Kriterien für diese Interessenabwägung sind unter anderem die Schwere der Pflichtverletzung, die Höhe des Schadens, die Dauer des Arbeitsverhältnisses und, ob es bisher störungsfrei verlaufen ist.
Arten der Verdachtskündigung
Wenn sich Arbeitgeber nicht ganz sicher sind, ob sie der/dem Beschäftigten die Pflichtverletzung nachweisen können sprechen sie eine Tatkündigung aus. Um sicher zu gehen, erfolgt gleichzeitig eine Verdachtskündigung. Vorsorglich für den Fall, dass sich die Vorwürfe letztlich nicht beweisen lassen.
Der Normalfall in der Praxis ist, dass der Arbeitgeber eine außerordentliche fristlose Verdachtskündigung ausspricht. Das bedeutet, dass das Arbeitsverhältnis bereits in dem Moment endet, in dem der/die Beschäftigte das Kündigungsschreiben erhält. Möglich wäre auch, eine ordentliche Kündigung auszusprechen. In diesem Fall endet das Arbeitsverhältnis erst, wenn die Kündigungsfrist abgelaufen ist. Aber auch bei einer ordentlichen Verdachtskündigung muss ein erheblicher Verdacht vorliegen.
Das Gericht muss also auch bei einer ordentlichen Verdachtskündigung prüfen, ob sich der Verdacht auf einen Pflichtverstoß bezieht, der zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung führen würde, wenn er tatsächlich vorläge. Einer ordentlichen Verdachtskündigung wird sich daher als unwirksam zu erweisen haben.
Anhörung des Betriebsrats
Wie bei jeder Kündigung muss der Arbeitgeber vor einer Verdachtskündigung den Betriebsrat anhören. Spricht der eine Tatkündigung aus und erklärt die Verdachtskündigung nur hilfsweise, ist er verpflichtet, den Betriebsrat zu beiden Kündigungen anzuhören. Tut er dies nicht, ist diejenige Kündigung, zu der der Betriebsrat nicht angehört wurde, allein schon aus diesem Grunde unwirksam.
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