Jean-Baptiste Abel, Rechtsschutzsekretär und Online Redakteur
Jean-Baptiste Abel, Rechtsschutzsekretär und Online Redakteur

Irgendwie hatte sich Frau M ihren Arbeitstag anders vorgestellt. Die Kassiererin eines Berliner Supermarktes hatte an diesem Freitag gerade erst mit der Arbeit angefangen, als sie per Lautsprecherdurchsage ins Büro der Geschäftsführung kommandiert wurde. Verdutzt folgte sie der Anweisung der Lautsprecher. Dort wurde sie von der Filialleiterin, ihrem Stellvertreter und zwei Mitarbeiterinnen der Unternehmenszentrale empfangen.

Eine halbe Stunde lang befragten die vier Frau M. Ob sie denn wisse, wie sie als Kassiererin mit der Bonuskarte umzugehen habe. Ob sie selbst die Bonuskarte benutze. Wie sie an Coupons komme, mit denen sich die Punkte verdoppeln lassen. Wo sie diese aufbewahre. Warum sie so oft Sonderpunkte kassiere. Wofür sie die Punkte einlöse. Die Stimmung war unangenehm.

Frau M erklärte sich, so gut sie konnte. Beantwortete die Fragen mal souverän, mal weniger. Versuchte, sich ihre Anspannung nicht anmerken zu lassen.

Schließlich wurde Frau M bis zum kommenden Dienstag suspendiert. Bis dahin wolle die Filialleitung den Sachverhalt prüfen und über weitere Schritte nachdenken.

Zum zweiten Gespräch am Dienstag kam Frau M vorbereitet – und mit moralischer Unterstützung. „Ich möchte, dass mein Mann bei dem Gespräch dabei ist“, sagte sie. Die Filialleiterin lehnte ab. Dann wolle sie wenigstens ein Betriebsratsmitglied ihres Vertrauens beim Gespräch dabei haben. Auch dies lehnte die Filialleiterin ab. Damit endete das Gespräch, bevor es begonnen hatte.

Die Filialleiterin kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis wegen Betruges mit Bonuspunkten fristlos.

 

Arbeitgeber muss den Sachverhalt aufklären


Zu Unrecht, wie das Arbeitsgericht Berlin feststellte. Wer eine Kündigung aufgrund eines Verdachts aussprechen will, muss alles Erforderliche tun, um den Verdacht aufzuklären. Schließlich kann eine Verdachtskündigung auch Unschuldige treffen.

Dazu gehört natürlich, dass dem oder der Verdächtigten die Möglichkeit gegeben wird, den Verdacht zu entkräften. Der Arbeitgeber muss aber auch für faire Rahmenbedingungen sorgen, damit der Arbeitnehmer eine echte Chance hat, sich gegen den Vorwurf zu wehren.

Arbeitgeber muss Thema des Gesprächs ankündigen


Im Fall von Frau M bedeutet das, dass man ihr hätte mitteilen müssen, worum es bei dem Gespräch gehen soll und ihr Zeit gibt, sich auf das Gespräch vorzubereiten, sagt das Arbeitsgericht Berlin. Man hätte ihr auch mitteilen müssen, dass ihr Arbeitsverhältnis auf dem Spiel steht.

Arbeitnehmer darf Vertrauensperson bei Gespräch dabeihaben


Zudem hätte man ihr die Möglichkeit geben müssen, sich von einer Vertrauensperson, zum Beispiel einem Betriebsratsmitglied oder einem Gewerkschaftssekretär begleiten zu lassen. Darauf hätte man sie – sagt das Gericht – sogar hinweisen müssen. Der Arbeitgeber durfte Frau M damit nicht die Teilnahme des Betriebsratsmitglieds ihres Vertrauens verweigern dürfen – obwohl ein anderes Mitglied des Betriebsrats bei dem Gespräch anwesend war.

Arbeitgeber muss Vorwürfe klar formulieren


Zumindest aber hätte der Arbeitgeber konkret sagen müssen, was er Frau M vorwirft. Anstatt sie verhörartig ihr Wissen über Bonuskarten, Rabattgutscheine und ihr persönliches Sammelverhalten auszufragen, hätte der Arbeitgeber die Katze aus dem Sack lassen müssen und Farbe bekennen. Nur dann hätte Frau M auch die Möglichkeit gehabt, zu jedem Vorfall ausführlich Stellung zu nehmen.

Von einer fairen Anhörung, bei der Frau M eine echte Chance gehabt hätte, die Vorwürfe zu entkräften, konnte damit keine Rede sein. Zu offensichtlich war die Absicht, Frau M unvorbereitet mit einer Drohkulisse zu konfrontieren und damit zu Fehlern zu zwingen.

Zwei Kolleginnen wurde der gleiche Vorwurf gemacht; sie hielten diesem Druck nicht stand und unterzeichneten noch in der Anhörung ihre Aufhebungsverträge.

Für Frau M zahlte sich die Standhaftigkeit aus: weil der Arbeitgeber seinen Pflichten zu einer fairen Anhörung nicht nachgekommen war, erklärte das Arbeitsgericht die Kündigung für unwirksam. Ihr Arbeitsverhältnis besteht also weiter.

Das Urteil ist rechtskräftig, Frau M arbeitet wieder an ihrem alten Arbeitsplatz.

 

 

Jean-Baptiste Abel

Rechtsschutzsekretär und Online Redakteur