Mit einer Betriebsänderung, etwa in Gestalt der Verlagerung von Betriebsstätten, oder gar der Stilllegung des Betriebes, sind für Arbeitnehmer*innen nicht selten Nachteile verbunden.
Für diese Nachteile sollen die betroffenen Arbeitnehmer unter bestimmten Umständen entschädigt werden.

Der Interessenausgleich

Ein Interessenausgleich ist eine Regelung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, um die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer vor den Auswirkungen von Betriebsänderungen zu schützen.

So kann der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber etwa in Anbetracht der Stilllegung einzelner Betriebsteile zur Verhinderung von betriebsbedingen Kündigungen die Einführung von Kurzarbeit vereinbaren.

Der Nachteilsausgleich

Mit den Regelungen zum Nachteilsausgleich möchte der Gesetzgeber den Arbeitgeber zum Schutz der Arbeitnehmer zur Vereinbarung eines Interessenausgleichs und dessen Einhaltung anhalten.

Aus § 113 Absatz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) folgt, dass Arbeitnehmer die aufgrund der Abweichung des Arbeitgebers vom vereinbarten Interessenausgleich ohne zwingenden Grund im Rahmen einer Betriebsänderung entlassen werden, Klage vor dem Arbeitsgericht erheben können.
Dies ist dann mit dem Ziel verbunden, eine Abfindung vom Arbeitgeber für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt zu bekommen.

Die Entlassung des Arbeitnehmers muss hierbei nicht durch Kündigung erfolgt sein. Auch die Vereinbarung eines Aufhebungsvertrages ist eine „Entlassung“ im Sinne des Gesetzes.
Ein klassischer Fall der Betriebsänderung, der mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verbunden ist, ist die Stilllegung des Betriebes. In diesem Fall kommt es oft zu betriebsbedingten Kündigungen.

Abweichung des Arbeitgebers vom Interessenausgleich aus zwingenden Gründen

Der Arbeitgeber darf von einem vereinbarten Interessenausgleich abweichen, wenn zwingende Gründe vorliegen.

Dies ist der Fall, wenn diese Gründe entweder bei Abschluss des Interessenausgleichs nicht bekannt waren oder erst nach der Einigung eingetreten sind und für die Verpflichtungen aus dem Interessenausgleich dadurch unzumutbar für den Arbeitgeber geworden sind. Rechtlich relevant sind jedoch nur Gründe, die einem Wegfall der Geschäftsgrundlage gleichkommen, also solche, die der Arbeitgeber unmöglich voraussehen konnte und die nicht in seine Risikosphäre fallen.

Höhe der Abfindung

Hinsichtlich der Höhe der Abfindung verweist § 113 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) auf eine Regelung zu der Abfindung im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses:

Vorgesehen ist grundsätzlich eine Abfindung bis zu zwölf Monatsverdiensten. Ist der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Entlassung mindestens 50 Jahre alt und mindestens seit 15 Jahren in einem bestehenden Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber, so beträgt die Abfindung bis zu 15 Monatsgehälter. Wenn der Arbeitnehmer bei der Entlassung mindestens 55 Jahre alt ist und das Arbeitsverhältnis mindestens 20 Jahre besteht, so beträgt die Abfindung sogar achtzehn Monatsgehälter.

Ausnahmen von den Regeln zur Abfindungshöhe

Dies gilt allerdings nicht, wenn der Arbeitnehmer bei der Entlassung, also zum Ende des Arbeitsverhältnisses, bereits das Alter von 67 Jahren erreicht hat.

Grund hierfür ist schlicht, dass Abfindungen wirtschaftliche Widrigkeiten abfedern sollen, die aufgrund des Verlustes des Arbeitsplatzes auf den Arbeitnehmer zukommen. Der Gesetzgeber geht hierbei davon aus, dass der Eintritt in die Altersrente für den Arbeitnehmer unmittelbar nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses die wirtschaftlichen Widrigkeiten ausreichend abfedert, es also keiner Abfindung bedarf.

Ausgleich von anderen Nachteilen bei Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses

Doch der Arbeitnehmer muss nicht erst entlassen worden sein, das Arbeitsverhältnis muss nicht beendet worden sein, um einen Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs gegen seinen Arbeitgeber zu haben.

Denn § 113 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) sieht in seinem Absatz 2 auch einen Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs vor, wenn der Arbeitnehmer andere Nachteile als die Entlassung in Kauf nehmen muss.

Dies kann etwa im Rahmen einer Versetzung passieren.
Möchte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer nicht beenden, etwa durch betriebsbedingte Kündigung oder durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrages, sondern den Arbeitnehmer lediglich versetzen, so sind damit eventuell für den Arbeitnehmer wirtschaftliche
Nachteile verbunden.

Der Arbeitnehmer behält zwar seinen Arbeitsplatz. Doch mag er nun einen längeren Fahrweg zu seinem Arbeitsort aufgrund der Versetzung haben, da sein neuer Arbeitsplatz weiter von seinem Wohnort entfernt ist als sein alter Arbeitsplatz.

Der Arbeitnehmer kann dann die erhöhten Fahrtkosten von seinem Arbeitgeber bis zu einem Zeitraum von zwölf Monaten vom Arbeitgeber ersetzt verlangen, § 113 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG).

Arbeitgeber muss Vereinbarung eines Interessenausgleichs mit Betriebsrat versucht haben

Dies gilt aber gemäß § 113 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) nicht nur dann, wenn der Arbeitgeber von einem mit dem Betriebsrat vereinbarten Interessenausgleich abweicht, sondern auch dann, wenn es der Arbeitgeber versäumt, überhaupt die Vereinbarung eines Interessenausgleiches mit dem Betriebsrat versucht zu haben.

Die vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Hürden für einen rechtlich anerkennenswerten Versuch sind für den Arbeitgeber relativ hoch:
Der Arbeitgeber muss alle Möglichkeiten, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich zu vereinbaren, ausgeschöpft haben.

Anrufung der Einigungsstelle

Zudem muss eine Verständigung vor der Einigungsstelle gescheitert sein.

Die Einigungsstelle ist die betriebsinterne Schlichtungsstelle für Konflikte zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Sofern der Betriebsrat nicht seinerseits die Einigungsstelle zur Beilegung des Streits einschaltet, muss dies der Arbeitgeber tun, wenn er alle Möglichkeiten der Verständigung über einen Interessenausgleich versucht haben will.

Hinreichend versucht hat der Arbeitgeber den Abschluss eines Interessenausgleichs, wenn der Arbeitgeber die Einigungsstelle anruft und der Betriebsrat eine Verhandlung über einen Interessenausgleich dann verweigert.

Gleiches gilt für den Fall, dass sich Arbeitgeber und Betriebsrat bereits im Vorfeld darüber verständigen, dass die Einigungsstelle nicht angerufen werden soll, weil Verhandlungen von beiden Seiten als zwecklos angesehen werden.
Auch ein offenbar sinnloser Versuch zum Abschluss eines Interessenausgleichs ist dem Arbeitgeber nicht zumutbar. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Arbeitgeber überschuldet ist. Anzunehmen ist dies, wenn etwa Gehälter nur noch mit Hilfe von Krediten gezahlt werden können.

Wenn nun der Arbeitgeber die Betriebsänderung bereits durchführt, ohne die Vereinbarung eines Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat versucht zu haben, folgt für den Arbeitnehmer ein Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs einzig aus § 113 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG).

Dies gilt selbst für den Fall, dass der Betriebsrat im Nachhinein noch erklärt, er nehme die Betriebsänderung auch ohne den Versuch einer Einigung auf einen Interessenausgleich hin.

Im Betrieb des Arbeitgebers für die Betriebsänderung etwaige vorliegende „zwingende Gründe“ für die Betriebsänderung entbinden den Arbeitgeber ebenfalls nicht von der Notwendigkeit zur Anrufung der Einigungsstelle.

Maßgeblicher Zeitpunkt für Vorliegen einer Betriebsänderung

Maßgeblich ist der Beginn der Durchführung einer Betriebsänderung. Die häufigsten Fälle einer Betriebsänderung sind die Betriebsstillegung oder das Einschränken von wesentlichen Betriebsteilen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verlangt hierbei, dass der Arbeitgeber unumkehrbare Maßnahmen unternommen haben muss. Dies kann sich durch die Aussprache von Kündigungen oder durch die unwiderrufliche Freistellung von der Arbeitspflicht für einen großen Teil der Belegschaft äußern.

Hört der Arbeitgeber zunächst lediglich den Betriebsratz zu beabsichtigten Kündigungen nach § 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) an, so liegt nur eine vorbereitende Maßnahme durch den Arbeitgeber vor, noch keine Betriebsänderung.

Gleiches gilt für die vom Arbeitgeber gegenüber der Agentur für Arbeit darzulegende Massenentlassungsanzeige und die lediglich widerrufliche Freistellung von Arbeitnehmern von der Arbeitspflicht.

Der Arbeitgeber ist somit im Grunde gänzlich frei, eine Betriebsänderung ohne Beteiligung des Betriebsrates durchzuführen. Nur muss er dann den Ansprüchen der Arbeitnehmer auf Zahlung eines Nachteilsausgleiches entgegensehen.

Tatsächlich wird gegen kaum eine Pflicht aus dem Betriebsverfassungsgesetz so oft von Arbeitgebern verstoßen wie gegen die Pflicht aus § 111 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), wonach der Arbeitgeber den Betriebsrat in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmer über die geplante Betriebsänderung rechtzeitig und umfassend unterrichten soll.

Viele Arbeitgeber nehmen lieber die Pflicht zur Zahlung eines Nachteilsausgleiches in Kauf.

Keine Möglichkeit für den Betriebsrat, die Betriebsänderung gerichtlich zu stoppen

Der Betriebsrat kann gegen die Betriebsänderung selbst nichts tun. Einen Anspruch des Betriebsrates aus Unterlassung der Durchführung der Betriebsänderung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, also durch einstweilige Verfügung, erkennt das Bundesarbeitsgericht bisher nicht an.

Ansprüche bestehen nur, wenn es einen Betriebsrat gibt

Festzuhalten bleibt: Ohne bestehenden Betriebsrat hat der Arbeitgeber keinen Ansprechpartner für die Vereinbarung eines Interessenausgleichs. Ein solcher kann dann nicht vereinbart werden. Der Arbeitgeber ist gänzlich frei in seiner Entscheidung hinsichtlich der Betriebsänderung und muss keinen Nachteilsausgleich oder eine Abfindung an seine Arbeitnehmer zahlen.

Nur wenn im Betrieb ein Betriebsrat besteht, haben Arbeitnehmer die oben genannten Ansprüche.

Rechtliche Grundlagen

§ 113 Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG

§ 113 Betriebsverfassungsgesetz
Nachteilsausgleich

(1) Weicht der Unternehmer von einem Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund ab, so können Arbeitnehmer, die infolge dieser Abweichung entlassen werden, beim Arbeitsgericht Klage erheben mit dem Antrag, den Arbeitgeber zur Zahlung von Abfindungen zu verurteilen; § 10 des Kündigungsschutzgesetzes gilt entsprechend.
(2) Erleiden Arbeitnehmer infolge einer Abweichung nach Absatz 1 andere wirtschaftliche Nachteile, so hat der Unternehmer diese Nachteile bis zu einem Zeitraum von zwölf Monaten auszugleichen.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend, wenn der Unternehmer eine geplante Betriebsänderung nach § 111 durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden.