Normalerweise muss eine Arbeitgeberin, die eine verhaltensbedingte Kündigung ausgesprochen hat, beim Arbeitsgericht darlegen und beweisen, dass ein Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten vorliegt. Unter bestimmten Voraussetzungen genügt aber auch schon der - unbewiesene - Verdacht, dass der Arbeitnehmer solche Pflichten verletzt hat. Die Gerichte sprechen in so einem Fall nicht von einer Tat-, sondern von einer Verdachtskündigung.
Bei einer Verdachtskündigung, die auch im Ausbildungsverhältnis möglich ist, besteht immer die Gefahr, dass es einen Unschuldigen trifft. Deshalb kommt diese Form der Kündigung nur unter strengen Bedingungen in Betracht.
Voraussetzungen der Verdachtskündigung
Voraussetzungen für eine wirksame Verdachtskündigung sind:
- Es muss der Verdacht eines erheblichen Pflichtverstoßes bestehen.
Erheblich sind Pflichtverstöße in diesem Zusammenhang dann, wenn sie - wären sie erwiesen - eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen würden. Der Verstoß muss demnach so schwerwiegend sein, dass der Arbeitgeberin schon allein aufgrund des Verdachts nicht zuzumuten ist, den Ablauf der Kündigungsfrist abzuwarten. Dies ist zum Beispiel der Fall beim Verdacht auf Diebstahl, Unterschlagung, Arbeitszeitbetrug, Tätlichkeiten oder groben Beleidigungen. Nicht ausreichend sind beispielsweise eine fehlende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung („gelber Schein“) oder Unachtsamkeit bei der Arbeit.
- Der Verdacht muss dringend sein. Nur vage Verdachtsmomente können eine Verdachtskündigung nicht begründen.
- Der Verdacht muss sich aus Tatsachen ergeben. Ein rein spekulativer Verdacht reicht nicht aus.
- Eine Verdachtskündigung ohne vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist unwirksam.
- Bei der Anhörung ist es erforderlich, dass die Arbeitgeberin die Vorwürfe konkret benennt, so dass sich der Arbeitnehmer mit einem greifbaren Sachverhalt auseinandersetzten kann (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.03.2014, 2 AZR 1037/12). Nur, wenn der Arbeitnehmer ausdrücklich erklärt, er werde sich nicht zu dem Verdacht äußern, ist eine Anhörung nicht erforderlich, weil sie auf keinen Fall zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts führen würde.
- Das Interesse der Arbeitgeberin an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss das Interesse des Arbeitnehmers überwiegen, seinen Arbeitsplatz zu behalten. Kriterien für diese Interessenabwägung sind unter anderem die Schwere der Pflichtverletzung, die Höhe des Schadens, die Dauer des Arbeitsverhältnisses und, ob es bisher störungsfrei verlaufen ist.
Arten der Verdachtskündigung
- Häufig sind sich Arbeitgeberinnen nicht ganz sicher, ob sie ihrem Mitarbeiter die Pflichtverletzung nachweisen können. In diesen Fällen sprechen sie eine Tatkündigung aus. Und gleichzeitig eine Verdachtskündigung. Vorsorglich für den Fall, dass sich die Vorwürfe letztlich nicht beweisen lassen. Das könnte dann etwa lauten:
Sehr geehrter Herr …
Hiermit kündigen wir Ihnen wegen Arbeitszeitbetrugs außerordentlich fristlos. Hilfsweise kündigen wir Ihnen wegen des Verdachts eines Arbeitszeitbetrugs außerordentlich fristlos.
Mit freundlichen Grüßen
- Der Normalfall in der Praxis ist, dass die Arbeitgeberin eine außerordentliche fristlose Verdachtskündigung ausspricht. Das bedeutet, dass das Arbeitsverhältnis bereits in dem Moment endet, in dem der Arbeitnehmer das Kündigungsschreiben erhält. Möglich wäre auch, eine ordentliche Kündigung auszusprechen. In diesem Fall endet das Arbeitsverhältnis erst, wenn die Kündigungsfrist abgelaufen ist. Aber auch bei auch bei einer ordentlichen Verdachtskündigung muss ein erheblicher Verdacht vorliegen. Das Gericht muss also auch bei einer ordentlichen Verdachtskündigung prüfen, ob sich der Verdacht auf einen Pflichtverstoß bezieht, der zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung führen würde, wenn er tatsächlich vorläge (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21. November 2013, 2 AZR 797/11) Deshalb bringt eine ordentliche Verdachtskündigung insofern keine Vorteile für die Arbeitgeberin. Vorteilhaft könnte jedoch eine ordentliche Verdachtskündigung für die Arbeitgeberin sein, weil sie dann nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist kündigen muss, die sich für alle außerordentlichen fristlosen Kündigungen aus dem Gesetz ergibt (§ 626 Bürgerliches Gesetzbuch).
Die Zwei-Wochen-Frist bei außerordentlichen fristlosen Verdachtskündigungen
Diese Frist beginnt bei einer Tatkündigung in dem Moment, in dem die Arbeitgeberin von der Pflichtverletzung erfährt. Bei der Verdachtskündigung hat die Arbeitgeberin häufig zunächst nicht mehr als einen noch unbestimmten Anfangsverdacht. Deshalb liegt ihr daran, durch weitere Nachforschungen zu klären, ob sich der Verdacht erhärten lässt oder nicht. In diesem Zusammenhang wird sie den Arbeitnehmer anhören, da dies ohnehin vorgeschrieben ist. Aber sie kann auch Zeugen befragen oder schriftliche Unterlagen überprüfen. Die Zwei-Wochen-Frist beginnt im Fall weiterer Ermittlungen erst zu laufen, wenn diese Ermittlungen nach Auffassung der Arbeitgeberin abgeschlossen sind. Aber sie kann den Beginn der Frist auf diese Weise nicht beliebig nach hinten schieben. Die Ermittlungen dürfen nach dem Bundesarbeitsgericht nur aus verständigen Gründen, nach pflichtgemäßem Ermessen und mit der gebotenen Eile erfolgen. Daraus folgt, dass die Anhörung des betroffenen Mitarbeiters in der Regel innerhalb einer Woche nach dem Auftauchen des Anfangsverdachts erfolgen muss.
Die Arbeitgeberin kann ihrem Mitarbeiter aufgeben, sich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu dem Verdacht zu äußern. Äußert es sich bis dahin nicht, hat die Arbeitgeberin ihre Anhörungspflicht erfüllt. In diesem Moment beginnt aber auch ihre Zwei-Wochen-Frist für die Kündigung zu laufen, wenn sie keine anderen Ermittlungen mehr beabsichtigt.
Anhörung des Betriebsrats
Wie bei jeder anderen Kündigung auch muss die Arbeitgeberin vor einer Verdachtskündigung den Betriebsrat anhören. Spricht sie eine Tatkündigung aus und erklärt die Verdachtskündigung nur hilfsweise, ist sie verpflichtet, den Betriebsrat zu beiden Kündigungen anzuhören. Tut sie dies nicht, ist diejenige Kündigung, zu dem sie den Betriebsrat nicht angehört hat, allein schon aus diesem Grunde unwirksam.
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Februar 2013, 2 AZR 797/11
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20.März 2014, 2 AZR 1037/12
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Rechtliche Grundlagen
§ 626 Bürgerliches Gesetzbuch
§ 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.