Das Landesarbeitsgericht München hat entschieden, dass ein Münchener Versicherungs- und Finanzvermittler einer Arbeitnehmerin fast 50.000 € nachzahlen muss, die er als Praktikantin eingestellte hatte.
Fünfeinhalb Jahre Praktikum
Die Praktikantin hatte über einen Zeitraum fünfeinhalb Jahren 43 Stunden in der Woche für einen Monatslohn von 300 € bei dem Finanzdienstleister gearbeitet. Dies entsprach einem Stundenlohn von etwa 1,62 €. Nun erhält sie eine dem Mindestlohn angepasste Nachzahlung.
Ursprünglich war zwischen den Parteien ein Praktikumsvertrag für die Ausbildung zur Finanzfachwirtin vereinbart gewesen. Die Ausbildung habe aber nach Angaben der Klägerin nur an Montagabenden und gelegentlich an Samstagen stattgefunden. Im Übrigen habe sie reguläre Arbeitsleistung erbracht, die als solche zu bezahlen sei.
Da die Vergütung in Höhe von 1,62 € sittenwidrig sei, schulde Ihr der Arbeitgeber eine Vergütung von 8,50 Euro pro Stunde. Der Arbeitgeber wendete dagegen ein, dass die Leistung der Klägerin unterdurchschnittlich gewesen sei und die Ausbildung deshalb auch Samstag und Montagabend hätte erfolgen müssen.
Praktikum diente keinem Praktikumszweck
Das Landesarbeitsgericht hat nun festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestand. Es bestätigte damit die Auffassung des Arbeitsgerichts in der ersten Instanz.
Nach Überzeugung des Gerichts habe in dem Vertragsverhältnis eine Ausbildung ganz überwiegend nicht stattgefunden. Die Klägerin habe stattdessen wie andere Arbeitnehmer auch Arbeitsleistungen erbracht. Sie sei daher entsprechend zu vergüten.
Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass der Vertrag als „Praktikum“ bezeichnet sei. Entscheidend sei nicht die Bezeichnung, sondern die tatsächliche Durchführung des Vertrages. Ein Praktikumszweck sei bei der konkreten Durchführung nicht erkennbar gewesen.
Da ein reguläres Arbeitsverhältnis vorlag, muss der Arbeitgeber für den Zeitraum von über fünf Jahren fast 50.000 Euro Vergütung, Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen nachzahlen.
Anmerkung:
Die Summe, die der Arbeitgeber nachzuzahlen hat, ist erheblich, dennoch dürfte er im Ergebnis „gut weggekommen“ sein. Denn das Gericht hat ihn – wie beantragt – zur Zahlung des Mindestlohnes verurteilt.
Der Mindestlohn steht der Klägerin eindeutig zu, wahrscheinlich wäre die Tätigkeit sogar höher zu bewerten gewesen. Das Gericht hat sich damit jedoch nicht beschäftigt, weil nur der Mindestlohn gefordert war.
Dies mag daran liegen, dass oft schwer zu beweisen ist, welche Vergütung üblicherweise zu zahlen ist. Gelingt der Beweis, dann kann man auch dieses Entgelt fordern und ist insofern nicht auf den Mindestlohn beschränkt.
Lässt sich jedoch der Beweis nicht führen, dass die Tätigkeit regelmäßig mit mehr als 8,50 € zu vergüten ist, so bleibt immerhin der Anspruch auf den Mindestlohn. Auch insofern hilft der gesetzliche Mindestlohn den Beschäftigten im prekären Sektor, ihre Ansprüche wenigstens teilweise durchzusetzen.
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Rechtliche Grundlagen
§ 612 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Vergütung
§ 612 Vergütung
(1) Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.
(2) Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, so ist bei dem Bestehen einer Taxe die taxmäßige Vergütung, in Ermangelung einer Taxe die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen.
(3) (weggefallen)