Nur die Hälfte: Arbeitnehmerin wird sauer. Copyright by Anthony Leopold/fotolia.
Nur die Hälfte: Arbeitnehmerin wird sauer. Copyright by Anthony Leopold/fotolia.

Die Klägerin arbeitete seit 1984 als DUP-Operator. Seit dieser Zeit erhielt sie jedes Jahr ein Weihnachtsgeld in Höhe eines Brutto-Monatslohns. Der Arbeitgeber überwies jeweils die Hälfte der Gratifikation im Juni und im November eines jeden Jahres.

Im Oktober 2014 erhielt die Klägerin die Mitteilung, dass der Arbeitgeber die zweite Rate für dieses Jahr nicht bezahlen werde. Die wirtschaftliche Situation des Betriebes lasse das nicht zu.
 

Arbeitsvertragliche Regelung

In ihrem Arbeitsvertrag ist die Frage des Weihnachtsgeldes ausdrücklich geregelt.
Dort heißt es:
„Zusätzlich zum Grundgehalt wird … - als freiwillige Leistung - eine Weihnachtsgratifikation gezahlt, deren Höhe jeweils jährlich durch den Arbeitgeber bekanntgegeben wird und deren Höhe derzeit ein volles Monatsgehalt nicht übersteigt.“
Weiter regelt der Arbeitsvertrag, es „ … soll auf die vorstehende Gratifikation im Juni … ein Vorschuß in Höhe von bis zu einem halben Monatsgehalt gezahlt werden.“
 

Wie argumentiert die Klägerin?

Die Klägerin vertrat die Auffassung, die Regelung im Arbeitsvertrag sei so auszulegen, dass jährlich mindestens ein Monatsgehalt als Weihnachtsgratifikation gezahlt werden müsse. Außerdem habe der Arbeitgeber bereits durch die Zahlung der ersten Rate im Mai 2014 zum Ausdruck gebracht, dass im November eine zweite Zahlung in gleicher Höhe folgen werde. Und schließlich habe sie einen Anspruch auf das Weihnachtsgeld, weil eine entsprechende Betriebliche Übung bestehe.
 

Hat die Klägerin grundsätzlich Anspruch auf Weihnachtsgeld?

Zunächst stellt das Bundesarbeitsgericht klar, dass sich aus der Regelung im Arbeitsvertrag ein Anspruch der Klägerin ergebe. Daran ändere weder die Bezeichnung als „freiwillige Leistung“ noch die Formulierung „derzeit“ etwas. Denn mit der gewählten Formulierung begründe ein Arbeitgeber typischerweise einen Anspruch eines Arbeitnehmers.
 

Darf der Arbeitgeber die Höhe der Gratifikation alleine bestimmen?

Im Hinblick auf die Höhe ist im Arbeitsvertrag geregelt, dass sie „jeweils jährlich durch den Arbeitgeber bekanntgegeben wird und … derzeit ein volles Monatsgehalt nicht übersteigt.“
Diese Formulierung lasse  - so das Bundesarbeitsgericht  - offen, ob die Höhe der Gratifikation auch zukünftig gleich bleiben oder sich verändern wird. Damit könne der Arbeitgeber die Höhe der Weihnachtsgratifikation einseitig nach billigem Ermessen festsetzen.
 

Ändert es etwas, dass der Arbeitgeber jahrelang bezahlt hat?

Ein Verlust der Möglichkeit für den Arbeitgeber, die Höhe nach billigem Ermessen zu bestimmen, könnte sich aus zwei Gesichtspunkten ergeben.

  • Die Regelungen im Arbeitsvertrag haben sich auf die Summe konkretisiert, die der Arbeitgeber immer bezahlt hat.
  • Die Vertragsparteien haben den Vertrag stillschweigend abgeändert.

 
Eine Konkretisierung liege nicht vor, meint das Bundesarbeitsgericht. Allein die gleichbleibende Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts über einen längeren Zeitraum reiche dafür nicht aus.
Die Parteien haben den Vertrag auch nicht stillschweigend abgeändert. Von einer stillschweigenden Verpflichtung des Arbeitgebers durch regelmäßiges Bezahlen sei nur auszugehen, wenn es keine ausdrückliche Vereinbarung gebe. Aber genau das sei im Arbeitsvertrag der Klägerin der Fall.
 

Ändert es etwas, dass der Arbeitgeber die erste Rate bezahlt hat?

Das Bundesarbeitsgericht vertritt die Auffassung, der Arbeitgeber habe mit der ersten Rate nicht erklärt, dass er auch die zweite bezahlen wolle und werde. Er habe damit lediglich zum Ausdruck gebracht, dass er im Kalenderjahr 2014 jedenfalls ein halbes Gehalt als Weihnachtsgratifikation auszahlen wolle. Für die zweite Rate bleibe das Recht bestehen, die Höhe der Leistung einseitig zu bestimmen.
 

Entsprach die Kürzung des Weihnachtsgeldes billigem Ermessen?

Der Arbeitgeber hat unwidersprochen vorgetragen, dass das Betriebsergebnis zum Jahresende im vierstelligen Bereich unter null gerutscht wäre, wenn er weitere 320.000 bis 350.000 Euro für die zweite Rate ausgeschüttet hätte. Vor diesem Hintergrund sei die Entscheidung des Arbeitgebers, keine weitere Weihnachtsgratifikation an die Belegschaft zu zahlen, für das Bundesarbeitsgericht nachvollziehbar,.
 

Kann sich die Klägerin auf eine Betriebliche Übung berufen?

Eine Betriebliche Übung kann durchaus einen Anspruch von Arbeitnehmer*innen begründen. Sie entsteht, wenn ein Arbeitgeber freiwillig mindestens drei Jahre lang ohne Unterbrechung und gleichförmig Weihnachtsgeld bezahlt.

Vergleiche dazu im Einzelnen:
Betriebliche Übung  - was ist das denn?
 
Weitere Voraussetzung ist jedoch, dass auf die Leistung des Arbeitgebers kein
(tarif-)vertraglicher Anspruch besteht.
Die Klägerin hatte aber einen Anspruch auf Weihnachtsgeld aus dem Arbeitsvertrag. Deshalb konnte eine Betriebliche Übung in ihrem Fall nicht entstehen.
 
Hier finden Sie das vollständige Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23. August 2017 - 10 AZR 376/16

Rechtliche Grundlagen

§ 315 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

§ 315 BGB
Bestimmung der Leistung durch eine Partei
(1) Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.
(2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.
(3) 1Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. 2Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.